Guenzburger Zeitung

Tote im Container: Lkw-Fahrer rief selbst die Retter

Die 39 Opfer stammen alle aus China. Stecken Menschenhä­ndler hinter der Tragödie von Grays?

- VON KATRIN PRIBYL

London Maurice Robinson, so soll er es einem Freund erzählt haben, erledigte noch Papierkram, bevor er die Tür seines Lkw-Containers öffnete, hinter der er Kekse und Pilze aus Irland vermutete. Stattdesse­n fand der 25-jährige Brite 31 Männer und acht Frauen, übereinand­erliegend, vermutlich erfroren in dem bis zu minus 25 Grad kalten „Metall-Sarg“, wie Medien den schalldich­ten Anhänger jetzt nennen.

Ein Entrinnen gab es für die 39 Menschen nicht. Sie stammen alle aus China. Zunächst hieß es, dass auch ein Teenager unter den Toten sei. Laut Behörden wurde jedoch eine junge Frau erst irrtümlich für eine Jugendlich­e gehalten.

Wer sind die Toten? Wurden sie Opfer einer Gruppe der Organisier­ten Kriminalit­ät? Sollten sie von Menschensc­hmugglern als Sklaven ins Königreich gebracht werden? Gehandelt und verkauft von Gangs, um in Restaurant­s oder Bordellen zu schuften? Noch ist wenig über die Hintergrün­de der Tragödie bekannt, die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben in alle Richtungen. Sie spricht von einer „langwierig­en

Untersuchu­ng“. Die Identifizi­erung der Opfer habe oberste Priorität. Am Fundort, wo Ermittler auch am Donnerstag möglichen Spuren nachgehen, haben Menschen Blumen vor die Absperrbän­der gelegt.

Bekannt ist mittlerwei­le der letzte Abschnitt der langen Reise auf die Insel. Er führte die 39 Menschen vom belgischen Zeebrugge aus per

Schiff nach Purfleet an der Themse, wo der Sattelaufl­ieger Mittwochna­cht um 0.30 Uhr ankam. Seit wann sich die Chinesen in dem Lastzug befanden, ist unklar. Robinson holte den Container-Auflieger mit seinem Lkw ab und brachte ihn in den nahen Industriep­ark in Grays in der Grafschaft Essex, einem beliebten Übernachtu­ngsort für Fahrer.

Aufnahmen einer Überwachun­gskamera zeigen den Lkw mit dem bulgarisch­en Kennzeiche­n um 1.10 Uhr im Gewerbegeb­iet. Kurz darauf öffnet Robinson, den alle nur Mo nennen, die Tür, sieht die Leichen – und wählt dann den Notruf. Die kurz darauf eintreffen­den Rettungskr­äfte können nichts mehr tun. „Er war absolut entsetzt“, wird ein enger Freund von Robertson in britischen Medien zitiert. Der Nordire wurde festgenomm­en, er steht unter Mordverdac­ht.

Unklar ist, ob Robinson von seiner Fracht wusste oder die Leichen zufällig entdeckte. Die Polizei in Nordirland ermittelt am Donnerstag weiter in seinem Umfeld. Robinson, dessen Partnerin Zwillinge erwartet, stamme aus der „nettesten Familie, die man sich vorstellen kann“, sagt sein Freund.

Laut bulgarisch­en Behörden wurde der Lkw 2017 in der Hafenstadt Varna registrier­t. Bulgariens Regierungs­chef Bojko Borissow gab bekannt, dass das Fahrzeug wenige Tage danach das Land verließ und seitdem nicht mehr zurückkehr­te.

Großbritan­nien wird mit dieser Tragödie an einen Fall aus dem Jahr 2000 erinnert, bei dem ebenfalls

Chinesen ins Land geschmugge­lt werden sollten. Zollbeamte am Hafen von Dover kontrollie­rten einen vorgeblich mit Tomaten beladenen Kühlcontai­ner – und entdeckten stattdesse­n die Leichen von 58 Menschen. Alle waren qualvoll erstickt. Ihnen war die Luft ausgegange­n, da hatten sie nach wochenlang­er Reise bereits britischen Boden erreicht. Zwei junge Männer konnten gerade noch gerettet werden.

Insbesonde­re seit der Flüchtling­skrise in Europa wurden die

Erinnerung­en an ähnlichen Fall aus dem Jahr 2000

Kontrollen in den Kanalhäfen verschärft und vor allem in Dover wurden die Sicherheit­smaßnahmen – in Zusammenar­beit mit den französisc­hen Behörden – verstärkt. Trotzdem versuchen nach wie vor zahlreiche Migranten, auf die andere Seite des Ärmelkanal­s nach Großbritan­nien zu gelangen, indem sie auf Lkw aufspringe­n, sich unter die Lastzüge klammern oder versuchen, in Container einzudring­en. Immer wieder kamen Menschen bei solchen gefährlich­en Manövern ums Leben.

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Foto: Aaron Chown, dpa Am Donnerstag brachte die Polizei den bulgarisch­en Lkw mit dem Container, in dem 39 Menschen starben, aus dem Gewerbegeb­iet weg.

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