Dieselklage: VW haftet für Audi
Ein Audi-Fahrer aus Günzburg hat Volkswagen auf Schadenersatz verklagt und Recht bekommen. Das Urteil könnte Signalwirkung haben. Aber wer noch Ansprüche durchsetzen will, muss schnell reagieren
München Die rechtliche Aufarbeitung des Dieselskandals wird die Gerichte noch über Jahre beschäftigen. Rund 430000 Dieselfahrer haben sich allein der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen und des ADAC gegen Volkswagen vor dem Oberlandesgericht Braunschweig angeschlossen. Dort ist der nächste Verhandlungstermin am 18. November. Dazu kommen viele tausend Kläger, die über spezialisierte Kanzleien versuchen, Geld von dem Konzern zurückzubekommen. In so einem Verfahren ist nun vor dem Oberlandesgericht München ein Urteil gefallen, das aufhorchen lässt.
Geklagt hat ein Mann aus Günzburg, der sich im Mai 2015 einen fabrikneuen Audi Q3 bestellt hatte. In dem Wagen war ein Motor der Baureihe EA 189 verbaut – die Maschine, die quasi symbolhaft für den Dieselskandal steht. Von den rund 2,5 Millionen Fahrzeugen, die mit einer manipulierten Steuersoftware ausgeliefert wurden, hatten die allermeisten ein Aggregat dieser Baureihe. Der Günzburger Audifahrer verlangte von Volkswagen die Rücknahme des Fahrzeugs, das im Dezember 2016 ein Software-Upda
bekommen hatte, sowie die Rückzahlung des Kaufpreises von rund 31000 Euro. Vor dem Landgericht Memmingen scheiterte er damit. Volkswagen habe zwar den Motor geliefert, nicht aber das Fahrzeug. Diese Einschätzung hielt nun vor der höheren Instanz nicht.
Das Oberlandesgericht geht von einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den VW-Konzern aus. Der Konzern müsse das Auto mit rund 100000 Kilometern auf dem Tacho zurücknehmen und dem Kläger noch rund 17000 Euro zurückzahlen. In dem Urteil, das der Redaktion vorliegt, heißt es: „Es lag also eine bewusste Täuschung der Aufsichtsbehörden einerseits und der Verbraucher andererseits vor, um die entsprechenden Typengenehmigungen für die Fahrzeuge zu erhalten und diese dann so in Verkehr bringen zu können, um dadurch entsprechende Vertragsabschlüsse der Händler mit den Kunden herbeiführen zu können.“
Der Kläger aus Günzburg will sich zu dem Verfahren nicht äußern. Anwalt Markus Klamert aus München, der mit seinem Kollegen Marc Frey das Urteil erstritten hat, hat mit seiner Kanzlei nach eigenen Angaben bereits rund 4000 ähnliche Verfahren abgeschlossen oder noch am Laufen. „Die Chancen für Kläger liegen quasi bei 100 Prozent“, sagt er. In der Regel einige man sich auf einen Vergleich, der die Rückgabe des Wagens und die Rückzahte lung des Kaufpreises vorsieht, abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer.
Nun hat das Gericht eine Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen – und Volkswagen hat angekündigt, diesen Schritt zu gehen. „Nach unserer Auffassung ist dem Kunden kein Schaden entstanden. Das Update der Steuerungssoftware hat nicht zu einem Wertverlust geführt“, sagt VW-Sprecher Christopher Hauss auf Anfrage. Aktuell seien rund 44000 Urteile im Dieselskandal gesprochen worden, die überwiegend zugunsten des Unternehmens oder der Händler ausgefallen seien. Anhängig seien 59000 Verfahren, diese Zahl steige aber weiter. Auch wenn VW nun zum ersten Mal in München verloren hat, könne er keine Signalwirkung erkennen. „Es ist nicht möglich, von Urteilen einzelner OLGs auf die Erfolgsaussichten anderer Verfahren zu schließen“, so der Sprecher. Ohnehin stehe Volkswagen auf dem Standpunkt, dass etwaige Ansprüche in Bezug auf die Baureihe EA 189 seit Anfang des Jahres verjährt seien.
Mehr Klarheit erwarte man erst von einem Urteil des Bundesgerichtshofs. Gegenwärtig sei dort bereits ein Verfahren anhängig, ein Urteil werde noch vor Sommer 2020 erwartet. Klägeranwalt Klamert sagt, bisher habe Volkswagen meist davor zurückgeschreckt, vor den Bundesgerichtshof zu ziehen. Er erwarte, dass die Positionierung des Münchner Gerichts auch die Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentralen beeinflussen wird.
Wer ein Dieselfahrzeug mit der manipulierten Motor-Baureihe gekauft habe, müsse seine Ansprüche gegen VW aber bald anmelden, da Ende des Jahres eine wichtige Verjährungsfrist auslaufe. Auch in dieser Frage urteilen die Gerichte aber unterschiedlich. Entscheidend ist immer die Frage, wann die Käufer von dem Skandal wissen mussten. Chancen hätten auch Kläger, die ein gebrauchtes Fahrzeug gekauft haben.