Guenzburger Zeitung

Wie die Pflegemafi­a Millionen scheffelt

Eine Razzia bei Pflegedien­sten in Augsburg bringt das Ausmaß der mutmaßlich­en Betrügerei­en ans Licht. Ein scheinbar Pflegebedü­rftiger arbeitete als Schweißer. Eine Seniorin soll betäubt worden sein, um Prüfer zu täuschen

- VON JÖRG HEINZLE UND JAN KANDZORA

Augsburg Die Ermittler der Soko „Eule“wussten, wonach sie suchen mussten. Und sie wurden fündig. Seit Anfang des Jahres haben 25 Beamte der Augsburger Kriminalpo­lizei die Pflegebran­che in der Stadt genau unter die Lupe genommen. Sie hörten Telefone ab, observiert­en Verdächtig­e – und holten am Mittwoch zum großen Schlag gegen Betrug in der Pflege aus. 530 Beamte durchsucht­en in Augsburg rund 170 Büros und Privatadre­ssen. Die Ermittler stießen in Wohnungen und Schließfäc­hern auf Bargeld in Millionenh­öhe. In der Augsburger Wohnung eines Pflegedien­st-Geschäftsf­ührers fanden sie rund drei Millionen Euro – in zwei Koffern, größtentei­ls in 500er-Scheinen. Kripo-Chef Gerhard Zintl sagt, Bargeld in diesen Mengen stamme in aller Regel nicht aus dem „legalen Wirtschaft­skreislauf“.

Solche Stapel von Banknoten finden Ermittler sonst eher im Rotlichtmi­lieu und im internatio­nalen Drogenhand­el. Betrug in der Pflege scheint aber ähnlich lukrativ zu sein. Augsburgs Kripo-Chef Zintl spricht von „organisier­ter Schwerkrim­inalität“. Den Drahtziehe­rn in der Pflegemafi­a gehe es ums Geld, „das Leben der Patienten ist diesen Leuten relativ egal“. Ein Fall zeigt dies offenbar besonders deutlich. Nach Informatio­nen unserer Redaktion haben die Ermittler konkrete Hinweise darauf, dass einer über 90-jährigen Seniorin gegen deren Willen ein starkes Beruhigung­smittel verabreich­t worden ist. An diesem Tag wollten Prüfer des Medizinisc­hen Diensts der Krankenkas­se kontrollie­ren, ob die Frau wirklich so pflegebedü­rftig ist, wie es in den Papieren steht. Das Medikament sorgte offenbar dafür, dass die Seniorin apathisch auf die Prüfer wirkte.

Der Fall soll sich bei einem privaten Pflegedien­st mit Sitz im Augsburger Stadtteil Lechhausen abgespielt haben. In dem Firmengebä­ude waren die Ermittler am Mittwoch stundenlan­g vor Ort. Allein bei diesem Dienst gibt es nach Informatio­nen unserer Redaktion rund ein Dutzend Beschuldig­te, einige von ihnen sollen in Untersuchu­ngshaft sitzen. Das Unternehme­n hat eigenen Angaben zufolge rund 280 Mitarbeite­r. Die Ermittler gehen nach Informatio­nen unserer Redaktion davon aus, dass dieser Pflegedien­st alleine eine Krankenkas­se in Millionenh­öhe geschädigt hat. Der Geschäftsf­ührer, der einen Wohnsitz in Andalusien hat, wollte sich am Mittwochna­chmittag am Telefon nicht zur Razzia und den Ermittlung­en äußern. „Kein Kommentar“, lautete seine knappe Antwort. Die Ermittler durchsucht­en auch die Räume einer Frau in Niedersach­sen, die laut Handelsreg­ister alle Firmenante­ile an dem Pflegedien­st hält. Bei Ermittlern heißt es, dass nicht in jedem Fall die tatsächlic­hen Besitzer im Handelsreg­ister gemeldet sein müssen. Es sei auch möglich, dass Strohleute eingesetzt worden seien. Eine Vorgehensw­eise, die auch bei Bordellen verbreitet ist.

Die Betrugsmas­che der Dienste soll in vielen Fällen auch darauf bauen, dass Patienten und Angehörige mitmachen – quasi als Komplizen. Auch Ärzte sollen geholfen haben. Das Ziel der Betrüger ist es demnach, Patienten kränker zu machen, als sie in der Realität sind. So können Leistungen abgerechne­t werden, die nie erbracht wurden. Etwa das An- und Ausziehen von Stützstrüm­pfen, das Waschen oder die Gabe bestimmter Medikament­e.

Die Ermittler haben auch ziemlich eindeutige Indizien auf extreme Fälle, in denen Patienten wohl nur auf dem Papier pflegebedü­rftig waren. Einen angeblich Pflegebedü­rftigen erwischten Polizisten am Mittwoch beim Fahren mit einem Motorrolle­r. Und es zeigte sich, dass der Mann an einem Kiosk arbeitet. Ein anderer mutmaßlich­er ScheinPati­ent arbeitet als Schweißer. Der Pflegedien­st rechnete aber unter anderem ab, dass er gewaschen und rasiert werden muss. Alleine bei dieden sem Mann soll der Schaden bei 60 000 bis 70 000 Euro liegen.

In Augsburg richten sich die Ermittlung­en gegen acht Pflegedien­ste, in München sind es zwei. Viele Verantwort­liche sollen einen Bezug zu Osteuropa haben, überwiegen­d stammen sie wohl aus Staaten der ehemaligen Sowjetunio­n. Sie warben teils auch gezielt mit russischen Sprachkenn­tnissen um Kundschaft. Um die Kunden als Komplizen zu gewinnen, sollen die Dienste mit Belohnunge­n gearbeitet haben. So fanden die Ermittler Hinweise auf monatliche Zahlungen zwischen 20 und 120 Euro. Da es sich bei vielen Betroffene­n um Sozialhilf­eempfänger handle, sei das für sie schon eine Menge Geld, sagt Oberstaats­anwalt Richard Findl. Er leitet bei der Staatsanwa­ltschaft München I eine eigene Einheit, die auf Betrug und Korruption im Gesundheit­swesen spezialisi­ert ist. Die Staatsanwä­lte sind zuständig für ganz Südbayern.

Die Ermittler beobachtet­en auch, was bei Pflegedien­sten passierte, wenn sich Prüfer der Krankenkas­sen zum Besuch anmeldeten. Dann sei meist hektische Betriebsam­keit ausgebroch­en, sagt Richard Findl. Dokumente seien angepasst und neu erstellt worden. Auch Hilfsmitte­l wie Rollatoren seien schnell zu Patienten gefahren und nach der Kontrolle wieder abgeholt worden.

Abgeschlos­sen sind die Ermittlung­en längst nicht, der Umfang des beschlagna­hmten Beweismate­rials hat gigantisch­e Ausmaße. 13 Verdächtig­e sitzen in Untersuchu­ngshaft, in Augsburg richten sich die Ermittlung­en derzeit gegen 68 Beschuldig­te – konkret gegen einen Arzt aus der Stadt, 40 Betreiber oder Mitarbeite­r von Pflegedien­sten und 27 Patienten. Äußern wollten sich deren anwaltlich­e Vertreter, die unsere Redaktion erreichen konnte, bislang nicht. Er könnte zu den Vorwürfen aktuell noch keine Stellungna­hme abgeben, sagte etwa Anwalt Moritz Bode, der eine Beschuldig­te vertritt.

Die Augsburger Soko trägt den Namen „Eule“, weil das Tier scharfe Augen hat – und ein guter Jäger ist. Kripo-Chef Gerhard Zintl kündigt schon mal an: „Die Eule wird weiter ihre Kreise ziehen. Und sie wird wieder zuschlagen.“

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Fotos: Silvio Wyszengrad, Polizei In der Privatwohn­ung eines Augsburger Pflegedien­st-Chefs fanden die Ermittler rund drei Millionen Euro in bar. Auch Goldbarren und Schmuck bunkerten die Verdächtig­en. Am Mittwoch hatte es eine Großrazzia gegeben.
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