Emin sucht seinen genetischen Zwilling
Der Zehnjährige aus Krumbach kämpft seit anderthalb Jahren tapfer gegen den Lymphdrüsenkrebs. Jetzt braucht er einen Spender – und möchte auch anderen Kindern helfen
Krumbach/Günzburg Fußballprofi oder Rennfahrer. Das sind die Berufswünsche von Emin. Der Zehnjährige hat sich das genau ausgerechnet: „Da verdient man dann bestimmt 500 000 Euro im Monat – 300 000 gebe ich dem Papa, 100 000 meiner Mama, und 100 000 gebe ich dann meiner Frau“. Dass er Letztere finden wird, ist für den hübschen Grundschüler mit den großen Augen natürlich ebenfalls klar. Schließlich schafft er es schon jetzt, spielend die Schwestern und seine Ärztin in der Ulmer Kinderklinik um den Finger zu wickeln. Seit anderthalb Jahren, seit Juli 2018, verbringt der Kleine viel Zeit im Krankenhaus. Damals wurde bei ihm Lymphdrüsenkrebs diagnostiziert. Die Stammzellenspende, die der kleine Krumbacher jetzt dringend braucht, sieht seine Mutter Michaela Cammerata als seine wahrscheinlich letzte Chance an, ganz gesund zu werden.
Auf den Fotos, die seine Mama fein säuberlich in Alben eingeklebt hat, ist Emins ganze Krankheitsgeschichte zu sehen: Angefangen mit den geschwollenen Lymphknoten, die sie erst bei der Untersuchung beim Arzt im Juli 2018 entdeckt hat: „Emin hat sich immer selbst gewaschen, darum habe ich sie nie gesehen.“Gingen die Ärzte zu Beginn noch von einem Infekt aus, war angesichts dieser Schwellung schnell klar: Emin hat etwas viel Schlimmeres, er muss in der Ulmer Klinik bleiben. Dann die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs, ein NonHodgkin-Lymphom. Die Bilder im Album zeigen, wie es weiterging: Emin mit blassem Gesicht im Krankenhausbett, Emin mit dem implantierten Hickman-Katheter, dem „Hicki“, in der Brust für die Chemotherapie, Emin ohne Haare, Emin mit vom Cortison aufgeschwemmten Gesicht und Körper. An seinem zehnten Geburtstag grinst er neben seinem besten Freund in die Kamera – sichtlich gezeichnet von der Therapie.
„Im Januar sollte es nach der Chemo dann eigentlich mit Bestrahlung weitergehen – aber die hatte sich verzögert“, erinnert sich Michaela Cammerata. Die Aufnahmen mit dem Planungs-CT seien noch in Ordnung gewesen. Doch am Abend dieses Tages bekam Emin dann plötzlich starke Schmerzen im Rücken. „Ich konnte nur noch so sein, guck mal“, macht Emin die Schonhaltung vor, die er gegen die Schmerzen eingenommen hat. Die Bilder aus dem MagnetresonanzTomografen (MRT) bestätigten dann den schlimmen Verdacht: ein Rezidiv, also ein Rückfall. Der Zehnjährige ballt seine Finger zusammen: „Da war ein vergrößerter Lymphknoten, so groß wie meine Faust, der hat auf meine Wirbelsäule gedrückt, drum hatte ich die Schmerzen.“
Für die Ulmer Ärzte ist in diesem Moment klar, dass Emin eine stärkere Therapie braucht. Sie entscheiden sich für eine Behandlung mit Emins eigenen Stammzellen. Dafür bekommt er erst einmal eine Hochdosischemo, die den kleinen Kerl stark belastet. „Schon früher hatte er immer wieder Probleme mit den Bronchien“, erzählt seine Mutter. „Durch die Chemo ist die Lunge stark angegriffen worden. Heute hat er nur noch 40 Prozent Lungenleistung.“Weil Emin zwar keine Probleme mit dem Laufen hat, ihm das Atmen aber schwerfällt, hat er einen Rollstuhl, um außerhalb der Wohnung Strecken überwinden zu können.
Emin geht gerne raus an die frische Luft. Dass er überhaupt wieder
nach draußen kann, ist für den Kleinen ein großes Geschenk. Zwei Monate nämlich verbrachte er während der Stammzellentherapie in dem „Glaskasten“, der ihn vor Keimen schützen sollte. Eine schwere Zeit für Mama Michaela, die mit ihrem Lebensgefährten in dieser Zeit in der Elternwohnung der Klinik übernachtete. „Jeden Morgen habe ich gewartet, bis wir endlich zu ihm rüber können. Und dann immer der erste Blick durch die Scheibe: Wie geht es ihm heute? Hat er noch Kraft, das durchzustehen?“
Ein Überbleibsel aus dieser Zeit hängt heute in Emins Kinderzimmer: Eine Schreibtafel, die man bunt beleuchten kann und auf die Emins älterer Bruder ein kleines Kunstwerk gemalt hat. Im Krankenhaus diente die Tafel Emin als Sprachersatz: Eine Weile konnte er nämlich nicht reden, malte und schrieb stattdessen auf seine Tafel – und Mama Michaela antwortete auf dem Gegenstück außerhalb des Glaskastens.
Ein Infekt, dann eine Lungenentzündung: Emin machte eine harte Zeit durch während dieser zwei Monate. Doch Aufgeben kommt für ihn und seine Eltern nicht infrage. Selbst dann nicht, als nach der Stammzellenbehandlung erneut bei den Aufnahmen in seinem Körper leuchtende Stellen auftauchten: Das Zeichen dafür, dass Emins eigene
Stammzellen den Krebs nicht besiegen konnten.
„Man sagt doch, dass alle guten Dinge drei sind“, sagt Michaela Cammerata. Deswegen setzt sie jetzt all ihre Hoffnung auf die dritte Möglichkeit zur Behandlung, welche die Ärzte bei Emin wagen wollen: eine Stammzellentherapie mit Zellen eines Spenders. Mama und Papa haben sich bereits testen lassen – doch wie so oft in diesen Fällen sind sie nicht geeignet für Emin. „50 Prozent Übereinstimmung sind zu wenig“, erklärt die Mutter. Emin würde sonst sehr viel leiden, hätten die Ärzte gesagt. „Wir brauchen Emins genetischen Zwilling.“
Auf der Suche nach dieser Nadel im Heuhaufen will der Kinder- und Jugendhospizdienst der Malteser Günzburg Emin jetzt helfen und hat deshalb gemeinsam mit der DKMS eine Typisierungsaktion in Günzburg organisiert. Sie wird am Samstag, 9. November, von 11 bis 15 Uhr in der Jahnhalle stattfinden. SylviaMaria Braunwarth, Koordinatorin bei den Maltesern, hat den Kleinen längst ins Herz geschlossen und möchte ihm helfen – aber auch anderen. Das ist nämlich auch Emin selbst wichtig. Der aufgeweckte Bub weiß, dass er nicht der Einzige ist, der dringend eine Spende braucht. Das Schicksal anderer Kinder ist ihm genauso wichtig wie sein eigenes. „Da war ein kleines Kind in
Ulm, das auch im Glaskasten war – und der musste sogar seinen dritten Geburtstag drinnen feiern“, erzählt er. Seiner Mama hat er gesagt, sie dürfe nicht nur für ihn beten: „Mama, du betest nicht richtig. Du musst beten, dass alle Kinder wieder gesund werden.“Im Flur neben seinem Kinderzimmer steht die Spardose, mit deren Inhalt er sich einmal einen Wunsch erfüllen wollte. Jetzt soll das Geld, das er sich unter anderem mit Hilfe bei der Hausarbeit verdient hat, als Spende an die DKMS für die Typisierung von Spendern gehen, so hat Emin das bestimmt.
Mit dieser Bestimmtheit unterstützt der Zehnjährige auch seine Mama, die sich rund um die Uhr liebevoll um ihn kümmert. Selbst, wenn sie nicht mehr weiter weiß. Wie bei der Sache mit den Thrombose-Spritzen, die sie ihrem Sohn täglich geben muss. „Ich dachte mir, ich kann doch mein Kind nicht stechen. Aber Emin hat mir gesagt: „Mama, Du musst das machen, ich kann sonst sterben. Du schaffst das, ich vertraue Dir.“Genau so fest vertraut Emin darauf, dass ein Spender für ihn gefunden wird und er wieder ganz gesund werden kann. Worauf er sich schon am meisten freut, wenn die Behandlung zu Ende und der „Hicki“endlich draußen ist? Emin weiß es ganz genau: „Endlich wieder schwimmen gehen.“