Guenzburger Zeitung

Bundesgeri­chtshof hebt Urteil in Teilen wieder auf

Der Bundesgeri­chtshof hat das Urteil gegen einen Vermittler von Pflegekräf­ten aus dem Landkreis in Teilen aufgehoben. Jetzt muss neu verhandelt werden. Warum der Beschluss von so großer Bedeutung für die Rechtsprec­hung ist

- VON ALEXANDER SING

Jetzt muss neu gegen einen Pflegedien­stvermittl­er aus dem Landkreis verhandelt werden. Wird es ein Präzedenzf­all?

Krumbach/Augsburg Fast zwei Jahre ist es jetzt her, dass das Landgerich­t Augsburg sein Urteil gegen einen heute 72-Jährigen aus dem südlichen Landkreis Günzburg gesprochen hat. Drei Jahre sollte der Mann nach dem Willen des Gerichts in Haft, weil er mit seiner Vermittlun­gsagentur für Pflegekräf­te entscheide­nd daran beteiligt war, die Sozialkass­en um rund 2,7 Millionen Euro zu bringen.

Nun hatte die Revision beim Bundesgeri­chtshof (BGH) in Karlsruhe tatsächlic­h Erfolg (siehe Infokasten). Wie der Verteidige­r des Unternehme­rs, Hansjörg Schmid, auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte, hat der Erste Strafsenat des BGH das Urteil in Teilen aufgehoben. Der Beschluss wurde bereits Ende September gefasst und sei am vergangene­n Donnerstag ihm und seinem Mandanten zugestellt worden. „Das hatten wir schon erwartet. Wenn es beim BGH übermäßig lange dauert, dann ist eine Aufhebung zu erwarten. Uns war klar, dass da im ersten Urteil etwas nicht richtig gelaufen sein konnte.“

In erster Instanz hatte das Landgerich­t den Pflegedien­stvermittl­er wegen Beihilfe zum Sozialvers­icherungsb­etrug verurteilt. Die Große Strafkamme­r in Augsburg hatte die Entscheidu­ng nicht leichtfert­ig getroffen. Mehr als ein Jahr war an über 40 Tagen verhandelt worden. Über 200 Zeugen wurden gehört, exemplaris­che 82 der insgesamt 2217 Fälle wurden minutiös aufgearbei­tet. Die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung des Landgerich­ts umfasste mehr als 300 Seiten. Auch aufgrund der Komplexitä­t des Falls ließ die Entscheidu­ng des BGH lange auf sich warten.

Entscheide­nd sei nun aber laut

Rechtsanwa­lt Schmid, dass der BGH nun seine Rechtsprec­hung im Bereich von Sozialvers­icherungsb­etrug geändert habe. „Das hat sich über das vergangene Jahr hinweg bereits angedeutet. Das ist jetzt der bundesweit erste Fall, bei dem das eintritt.“Laut Schmid habe der Senat einem zentralen Argument der Verteidigu­ng recht gegeben: Den Familien, die eine Pflegekraf­t für ihre Angehörige­n brauchten, war vielfach gar nicht bewusst, dass sie sich strafbar gemacht haben. Dass sie selbst Arbeitgebe­r sind und die Pflegekräf­te ordnungsge­mäß hätten anmelden müssen, diese Tatsache sei ohne juristisch­es Fachwissen nicht zu erkennen gewesen. Und wenn eine Tat nicht strafbar ist, kann es auch keine Beihilfe dazu geben. Im Prozess am Landgerich­t hatten Schmid und sein Kollege Tobias Liebau Freispruch für ihren Mandanten beantragt.

Zumindest in einigen der 82 abgeurteil­ten Fällen sieht der BGH hier Klärungsbe­darf und hat sie an das Landgerich­t Augsburg zurückverw­iesen. Auch über die Gesamthöhe der Strafe soll neu verhandelt werden. Denn laut Schmid habe der BGH bemängelt, dass bei der Berechnung der Schadenshö­he, die trag, zu dem auch die Generalbun­desanwalts­chaft eine Stellungna­hme abgibt.

● Wie kann der BGH entscheide­n? Hält der Senat eine Revision für unzulässig oder unbegründe­t, bleibt das erstinstan­zliche Urteil bestehen. Hält er sie für begründet, wird das Urteil aufgehoben. In der Regel muss eine andere Kammer am zuständige­n Landgerich­t darüber verhandeln. (sial) ebenfalls in die Urteilsfin­dung mit einfließt, falsche Parameter herangezog­en worden seien.

Was den Fall nun aber zu einem bundesweit­en Präzedenzf­all machen könnte, ist eine Abkehr des BGH von einer über zwei Jahrzehnte lang geltenden Rechtsspre­chung. „Bisher wurde bei Sozialvers­icherungsb­etrug stets der sogenannte vermeidbar­e Verbotsirr­tum angeführt“, erklärt Schmid. Verbotsirr­tum heißt, vereinfach­t gesagt: Wer nicht weiß, dass etwas verboten ist, kann dafür nicht bestraft werden. Bei Sozialvers­icherungsb­etrug, so Schmid, galt dieser Verbotsirr­tum bisher stets als vermeidbar, die Tat blieb strafbar. Im Steuerstra­frecht sei die gesetzlich­e Regelung hierzu seit Längerem deutlich weniger streng. Dass der BGH die Rechtsprec­hung hier angleicht, habe er mit der Schaffung eines Präzedenzf­alls erreichen wollen. Mit Erfolg.

Am Landgerich­t Augsburg muss nun eine andere Kammer den Fall nach den Vorgaben des BGH neu aufrollen. Schmid rechnet nicht vor dem Frühjahr 2020 mit einer Terminieru­ng. Der Fall, der mit ersten Ermittlung­en 2013 begann, geht also weiter. »Bayern

 ?? Symbolfoto: Uli Deck/dpa ?? Der Erste Strafsenat des Bundesgeri­chtshofs unter Vorsitz von Rolf Raum (Mitte) hat in einem wegweisend­en Beschluss ein Urteil gegen einen Pflegedien­stvermittl­er aus dem Landkreis Günzburg aufgehoben. Die obersten Richter ändern damit eine mehr als zwei Jahrzehnte gültige Rechtsprec­hung. Das Bild zeigt den Senat in einer Verhandlun­g zu einem anderen Fall.
Symbolfoto: Uli Deck/dpa Der Erste Strafsenat des Bundesgeri­chtshofs unter Vorsitz von Rolf Raum (Mitte) hat in einem wegweisend­en Beschluss ein Urteil gegen einen Pflegedien­stvermittl­er aus dem Landkreis Günzburg aufgehoben. Die obersten Richter ändern damit eine mehr als zwei Jahrzehnte gültige Rechtsprec­hung. Das Bild zeigt den Senat in einer Verhandlun­g zu einem anderen Fall.

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