Bundesgerichtshof hebt Urteil in Teilen wieder auf
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil gegen einen Vermittler von Pflegekräften aus dem Landkreis in Teilen aufgehoben. Jetzt muss neu verhandelt werden. Warum der Beschluss von so großer Bedeutung für die Rechtsprechung ist
Jetzt muss neu gegen einen Pflegedienstvermittler aus dem Landkreis verhandelt werden. Wird es ein Präzedenzfall?
Krumbach/Augsburg Fast zwei Jahre ist es jetzt her, dass das Landgericht Augsburg sein Urteil gegen einen heute 72-Jährigen aus dem südlichen Landkreis Günzburg gesprochen hat. Drei Jahre sollte der Mann nach dem Willen des Gerichts in Haft, weil er mit seiner Vermittlungsagentur für Pflegekräfte entscheidend daran beteiligt war, die Sozialkassen um rund 2,7 Millionen Euro zu bringen.
Nun hatte die Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe tatsächlich Erfolg (siehe Infokasten). Wie der Verteidiger des Unternehmers, Hansjörg Schmid, auf Nachfrage unserer Redaktion bestätigte, hat der Erste Strafsenat des BGH das Urteil in Teilen aufgehoben. Der Beschluss wurde bereits Ende September gefasst und sei am vergangenen Donnerstag ihm und seinem Mandanten zugestellt worden. „Das hatten wir schon erwartet. Wenn es beim BGH übermäßig lange dauert, dann ist eine Aufhebung zu erwarten. Uns war klar, dass da im ersten Urteil etwas nicht richtig gelaufen sein konnte.“
In erster Instanz hatte das Landgericht den Pflegedienstvermittler wegen Beihilfe zum Sozialversicherungsbetrug verurteilt. Die Große Strafkammer in Augsburg hatte die Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Mehr als ein Jahr war an über 40 Tagen verhandelt worden. Über 200 Zeugen wurden gehört, exemplarische 82 der insgesamt 2217 Fälle wurden minutiös aufgearbeitet. Die schriftliche Urteilsbegründung des Landgerichts umfasste mehr als 300 Seiten. Auch aufgrund der Komplexität des Falls ließ die Entscheidung des BGH lange auf sich warten.
Entscheidend sei nun aber laut
Rechtsanwalt Schmid, dass der BGH nun seine Rechtsprechung im Bereich von Sozialversicherungsbetrug geändert habe. „Das hat sich über das vergangene Jahr hinweg bereits angedeutet. Das ist jetzt der bundesweit erste Fall, bei dem das eintritt.“Laut Schmid habe der Senat einem zentralen Argument der Verteidigung recht gegeben: Den Familien, die eine Pflegekraft für ihre Angehörigen brauchten, war vielfach gar nicht bewusst, dass sie sich strafbar gemacht haben. Dass sie selbst Arbeitgeber sind und die Pflegekräfte ordnungsgemäß hätten anmelden müssen, diese Tatsache sei ohne juristisches Fachwissen nicht zu erkennen gewesen. Und wenn eine Tat nicht strafbar ist, kann es auch keine Beihilfe dazu geben. Im Prozess am Landgericht hatten Schmid und sein Kollege Tobias Liebau Freispruch für ihren Mandanten beantragt.
Zumindest in einigen der 82 abgeurteilten Fällen sieht der BGH hier Klärungsbedarf und hat sie an das Landgericht Augsburg zurückverwiesen. Auch über die Gesamthöhe der Strafe soll neu verhandelt werden. Denn laut Schmid habe der BGH bemängelt, dass bei der Berechnung der Schadenshöhe, die trag, zu dem auch die Generalbundesanwaltschaft eine Stellungnahme abgibt.
● Wie kann der BGH entscheiden? Hält der Senat eine Revision für unzulässig oder unbegründet, bleibt das erstinstanzliche Urteil bestehen. Hält er sie für begründet, wird das Urteil aufgehoben. In der Regel muss eine andere Kammer am zuständigen Landgericht darüber verhandeln. (sial) ebenfalls in die Urteilsfindung mit einfließt, falsche Parameter herangezogen worden seien.
Was den Fall nun aber zu einem bundesweiten Präzedenzfall machen könnte, ist eine Abkehr des BGH von einer über zwei Jahrzehnte lang geltenden Rechtssprechung. „Bisher wurde bei Sozialversicherungsbetrug stets der sogenannte vermeidbare Verbotsirrtum angeführt“, erklärt Schmid. Verbotsirrtum heißt, vereinfacht gesagt: Wer nicht weiß, dass etwas verboten ist, kann dafür nicht bestraft werden. Bei Sozialversicherungsbetrug, so Schmid, galt dieser Verbotsirrtum bisher stets als vermeidbar, die Tat blieb strafbar. Im Steuerstrafrecht sei die gesetzliche Regelung hierzu seit Längerem deutlich weniger streng. Dass der BGH die Rechtsprechung hier angleicht, habe er mit der Schaffung eines Präzedenzfalls erreichen wollen. Mit Erfolg.
Am Landgericht Augsburg muss nun eine andere Kammer den Fall nach den Vorgaben des BGH neu aufrollen. Schmid rechnet nicht vor dem Frühjahr 2020 mit einer Terminierung. Der Fall, der mit ersten Ermittlungen 2013 begann, geht also weiter. »Bayern