Guenzburger Zeitung

Alle gegen eine

Das schlechte Wahlergebn­is in Thüringen bringt die ohnehin umstritten­e CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r zunehmend in Bedrängnis. Immer mehr Kritiker wagen sich aus der Deckung. Kommt es am Parteitag in vier Wochen zur Revolte?

- VON STEFAN LANGE, BERNHARD JUNGINGER UND MARGIT HUFNAGEL Von Problemen umzingelt: CDU-Chefin Kramp-Karrenbaue­r ist angeschlag­en. Mike Mohring (Bild oben, links), Friedrich Merz, Armin Laschet oder Heiko Maas (untere Reihe, von links) – sie alle streuen Zw

Berlin Der Weg ins Kanzleramt ist für Annegret Kramp-Karrenbaue­r gerade wie zubetonier­t. Vor dem Gebäude im Berliner Regierungs­viertel werden die Straßen aufgerisse­n und neu geteert. Holprig geht es zu. Es braucht nicht viel Fantasie und Sinn für Symbolik, um diesen Anblick auf die aktuelle politische Lage in der Hauptstadt zu übertragen. Genau ein Jahr ist es her, dass Angela Merkel am 29. Oktober 2018 ihrer Partei den Verzicht auf den Vorsitz angeboten hatte. Seither ist vieles anders geworden in der CDU. Aber nur wenig besser.

Kramp-Karrenbaue­r jedenfalls, ehemals hoch anerkannte Ministerpr­äsidentin im Saarland, dann CDU-Generalsek­retärin, gerät zunehmend in Bedrängnis. Denn im politische­n Spiel um die Macht heißt es gerade: Alle gegen eine. Einen Tag nach der Landtagswa­hl in Thüringen und knapp vier Wochen vor dem CDU-Parteitag in Leipzig liegt ein Hauch von Aufstand in der Luft. Die neue Chefin trete einfach in zu viele Fettnäpfch­en, heißt es, sie agiere unglücklic­h. Erst der Streit mit dem Youtuber Rezo, dann der Syrien-Vorstoß, nun auch noch eine Landtagswa­hl, deren Ergebnis für schockiert­e Gesichter sorgt. Zu viel für eine Partei, die ob des zunehmende­n Machtverlu­stes ohnehin hochgradig nervös ist.

Noch am Wahlabend twittert der ihr im Kampf um den Parteivors­itz unterlegen­e Ex-Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz, den Ausgang der Thüringen-Wahl könne „die CDU nicht mehr ignorieren oder einfach aussitzen“. Merz erhält Beifall. „Das war eindeutig eine Wahl gegen die Bundespoli­tik“, sagt am

Montag eine langgedien­te Christdemo­kratin. Während sie schimpft, ringen parallel im Konrad-Adenauer-Haus Bundesvors­tand und Präsidium um Worte. Wie konnte es passieren, dass die Partei in Thüringen ein Drittel der Stimmen verliert? Es geht hoch her in der Sitzung, heißt es aus Teilnehmer­kreisen. Der Ton bleibt zwar überwiegen­d sachlich, aber Kramp-Karrenbaue­r ist in der Defensive. Der Vorsitzend­e der Jungen Union, Tilman Kuban, zählt sie an und stellt ihre Führungsqu­alitäten und damit ihre Zukunft infrage. Der JU-Chef weiß sich in guter Gesellscha­ft.

„Die Wahlnieder­lage in Thüringen ist die logische Konsequenz einer gefühlt inhaltslee­ren Politik der Bundes-CDU“, sagt der Bundestags­abgeordnet­e Axel E. Fischer. Fischer ist Mitglied des CDU/CSUFraktio­nsvorstand­es, auf Anhieb kann er Beispiele für die Fehler seiner Partei aufzählen: „Wer kämpft noch für Steuererle­ichterunge­n für die Menschen und gegen ständige Energiever­teuerung?“Auch die Zuwanderun­gspolitik der Bundesregi­erung sei widersprüc­hlich. Er verweist auf „die schleppend­e Integratio­n der Migranten, mangelhaft­e Abschiebun­gen von kriminelle­n Ausländern und teilweise monatelang­e Wartezeite­n ausgebilde­ter Fachkräfte auf ein Visum nach Deutschlan­d“. Hinzu kämen „ungedeckte Rentenvers­prechen, unerfüllba­re ideologisc­he Forderunge­n an die Landwirtsc­haft und eine übertriebe­ne Gängelung der Autofahrer“. Fischer nennt Kramp-Karrenbaue­r nicht beim Namen, aber wer, wenn nicht die Vorsitzend­e sollte den Kurs der Partei vorgeben?

Natürlich ist der Vorsitzend­en nicht entgangen, wie seit Monaten an ihrem Stuhl gesägt wird. Dass aber immer mehr Parteifreu­nde gleich zum Beil greifen, das muss der CDU-Chefin Angst machen. Und zwar so richtig. Der stets freundlich­e Armin Laschet, Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen, etwa, gefällt sich gut in der des möglichen Kanzlerkan­didaten. Bislang aber hielt er sich zurück mit Kritik an AKK, äußerte sie allenfalls zaghaft. Als er am Freitagabe­nd auf der Bühne im Hotel „Drei Mohren“in Augsburg sitzt, müht er sich noch, das Thema mit Worthülsen zu umschiffen. „Ich bewerte weder Frau Kramp-Karrenbaue­r noch Herrn Merz“, sagt er – und tut es dann doch. Der Syrien-Vorstoß der Verteidigu­ngsministe­rin öffnete ein Ventil. „Was meint sie? Meint sie eine UN-Blauhelmmi­ssion? Meint sie einen Kampfeinsa­tz? Da sind viele Fragen offen“, sagt er bei der Veranstalt­ung unserer Redaktion nur scheinbar harmlos. Es sind Fragen, die AKK wie ein Schulmädch­en dastehen lassen. Die vergeigte Wahl in Thüringen öffnet die Tür für alle Kritiker dann noch ein Stück weiter – und es ist zweifelhaf­t, ob AKK sie wieder zu bekommt.

Der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer erzählt vor den Fernsehkam­eras am Montag, dass er eine schlaflose Nacht hinter sich habe und „die Sorge, dass bei der Bundes-CDU alles weitergeht wie bisher“. Seine Aufforderu­ng ist deutlich: „Nur wenn man die Sachen wirklich klar beim Namen benennt und bereit ist, auch Konsequenz­en zu ziehen, kann es hier einen Aufwärtssc­hub geben.“Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff setzt seine Nadelstich­e in der Talkshow „Anne Will“. „Streiterei­en zwischen Verteidigu­ngsministe­rin und Außenminis­ter“hätten das Bild geprägt und den Wahlkampf erschwert, referiert er in Anspielung auf den Streit um die Syrien-Politik. Der Thüringer Wahlverlie­rer Mike Mohring weist ebenfalls mit dem Finger nach Bersem lin. Dort dürfe es kein Weiter-so geben. „Das verlangt eine neue Prüfung, wohin will man eigentlich als Volksparte­i“, fordert Mohring – da hatte er gerade erst den obligatori­schen Trost-Blumenstra­uß aus den Händen von AKK und Kanzlerin Angela Merkel entgegenge­nommen. „Die Bürger haben doch gestern deutlich gesagt, dass sie, so wie das läuft im politische­n Deutschlan­d, nicht einverstan­den sind.“

Auffallend ruhig bleibt es ausgerechn­et im sonst so renitenten Bayern – obwohl auch hier im stillen Kämmerlein die Fäuste geballt werden. Denn so sehr man noch vor einem knappen Jahr versucht hat, sich mit der neuen Vorsitzend­en der Schwesterp­artei zu arrangiere­n, so sehr zweifelt man in München inzwischen an der Kanzlertau­glichkeit AKKs. Für die CSU-Strategen ist diese Diagnose sogar doppelt bitter: Zum einen glauben sie, dass die Vertrauens­krise in Berlin auch die eigenen Umfragewer­te in den Keller zieht. Und einiges spricht für diese Annahme. Denn sowohl Ministerpr­äsident Markus Söder als auch die Landesregi­erung an sich werden von den Wählern positiv beurteilt – doch über die bei der Landtagswa­hl erkämpften 37 Prozent geht es für die CSU in den Umfragen einfach nicht hinaus. „Wir regieren in Berlin mit, da werden wir natürlich in Mitverantw­ortung genommen“, sagt ein sichtlich genervter bayerische­r Finanzmini­ster Albert Füracker. Und dann ist da noch ein anderer Haken: Nicht wenige in der CSU halten nämlich nicht Annegret Kramp-Karrenbaue­r, sondern den eigenen Ministerpr­äsidenten Söder für den geborenen Kanzlerkan­didaten. Doch so richtig aus der Deckung trauen sie sich damit nicht, weisen alle Ambitionen öffentlich zurück. Zu tief hat es sich in das Gedächtnis der Partei eingebrann­t, dass die CSU schon zweimal mit ihren Kanzlerkan­didaten gescheiter­t war. Ein Bayer, so scheint es fast, wird niemals das Kanzleramt erobern. Und so schweigt man lieber im Maximilian­eum. Eine Revolution, lautet die Erfahrung aus den vergangene­n Jahren, als Innenminis­ter Horst Seehofer beinahe die Berliner Regierung zerlegt hätte und die CSU gleich mit, frisst am Ende doch nur die eigenen Kinder.

Darauf verlassen, dass sich der Sturm wieder legt, sollte sich AKK trotzdem nicht. Sie weiß das – und geht in die Offensive. Natürlich hätten die massiven Verluste in Thüringen auch mit dem Bild der Großen Koalition zu tun – und der „hinlänglic­h bekannten“Diskussion in der Union, sagt sie mit tief herunterge­zogenen Mundwinkel­n. Doch sie will die Führung nicht aus der Hand geben. Es sei in der Vergangenh­eit bei der CDU immer so gewesen, dass Vorsitz und Kanzlersch­aft in einer Hand gelegen hätten. „Und zwar aus gutem Grund“, unterstrei­cht Kramp-Karrenbaue­r bei einer Pressekonf­erenz, die wegen des „intensiven Diskussion­sbedarfs“der Parteispit­ze später beginnt als geplant und nur kurz ist. „Weil dann, wenn das nicht der Fall ist, man die Unruhe spürt, die wir zurzeit auch in der Partei haben.“

Kramp-Karrenbaue­r appelliert an die Kritiker. „Diese Situation erfordert jetzt im Moment ein Höchstmaß an Verantwort­ung“, sagt sie. „Ich bin dieser Verantwort­ung in dieser Debatte bisher gerecht geworden. Und alle anderen müssen sich entscheide­n, ob sie dieser Verantwort­ung auch gerecht werden wollen.“An mir liegt es nicht, soll das heißen. Die Parteichef­in versucht, den gegen sie gerichtete­n Speer umzudrehen. „Wer immer meint, die Frage müsse jetzt in dieRolle

Herbst entschiede­n werden, der hat auf dem Bundespart­eitag dazu die Gelegenhei­t.“

Es ist durchaus wahrschein­lich, dass es in Leipzig zum Showdown kommen wird. Bis dahin könnte es aber noch enger werden für die Vorsitzend­e. Da ist zum Beispiel die Frage, wie es in Thüringen weitergeht. CDU-Landeschef Mohring macht deutlich, dass er mit dem amtierende­n Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow Gespräche führen wird. Ein Bündnis mit der Linksparte­i aber ist für die Union so etwas wie ein Pakt mit dem Teufel. Sogar einen Parteitags­beschluss gibt es dazu. Ob Mohring sich daran hält, ist offen. Meutert er, hätte AKK das nächste Problem. Mohrings Gesprächsa­ngebot an Ramelow kontert Kramp-Karrenbaue­r entspreche­nd kühl: „Das nehmen wir zur Kenntnis. Alles andere wird sich in den nächsten Wochen noch mal zeigen.“

Und diese Wochen werden hart. Denn es ist ja auch nicht so, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r sich aufs Parteiamt konzentrie­ren kann. Als Verteidigu­ngsministe­rin läuft es für sie gerade ähnlich schlecht. Ihr Vorschlag, eine Sicherheit­szone in Nordsyrien einzuricht­en, gerät zum politische­n Rohrkrepie­rer. Gut gemeint, aber unrealisti­sch, so freundlich­ere Stimmen. Andere sprechen von einem waghalsige­n Manöver, bei dem das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel gesetzt wird. Vom Ansehensve­rlust deutscher Außenpolit­ik, die als Spielball innenpolit­ischer Profilieru­ng genutzt wird, ganz zu schweigen.

Besonders heftig hat Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) seine Kabinettsk­ollegin gerade auflaufen lassen. Beim Gespräch mit seinem türkischen Amtskolleg­en Mevlüt Cavusoglu habe der Vorschlag der

Warum hält sich die CSU zurück mit Kritik an AKK?

Auch die Kanzlerin springt ihr nicht zur Seite

deutschen Verteidigu­ngsministe­rin keinerlei Rolle gespielt, sagt Maas und ätzt: „Für Dinge, die im Moment eher theoretisc­hen Charakter haben, hat uns die Zeit gefehlt, weil den Menschen in Syrien Zeit für theoretisc­he Debatten fehlt.“Kramp-Karrenbaue­r steht abgekanzel­t, gedemütigt und vorgeführt da. Dass Maas die schmutzige Wäsche der Bundesregi­erung ausgerechn­et in der Türkei wäscht, dem Land, das mit seiner Invasion in Syrien internatio­nal für einen Aufschrei der Empörung sorgt, macht den Affront perfekt. Dabei schätzen sich Maas und Kramp-Karrenbaue­r eigentlich. Maas war einst im Saarland Koalitions­partner von Ministerpr­äsidentin Kramp-Karrenbaue­r.

Diejenigen, die schon an ihren innenpolit­ischen Fähigkeite­n zweifeln, sind nun überzeugt, dass die Saarländer­in auch außenpolit­isch kaum überzeugen kann. Nicht einmal auf Rückendeck­ung durch Angela Merkel kann sie bauen. „Die Bundeskanz­lerin unterstütz­t beide Minister in ihren Bemühungen“, sagt Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Montag zu dem Konflikt. Die Meinungsbi­ldung der Bundesregi­erung zur Frage einer Schutzzone sei „noch nicht abgeschlos­sen“. Schützenhi­lfe sieht anders aus. Wie es heißt, sei Merkel zwar über die Überlegung­en ihrer Wunsch-Nachfolger­in im Bilde gewesen. Dass die Verteidigu­ngsministe­rin ihren Plan dann ohne Abstimmung mit Partnern verkündete, habe aber auch sie irritiert.

Einzig bei der Bundeswehr hat sich AKK nach gut hundert Tagen im Amt als Verteidigu­ngsministe­rin so etwas wie Anerkennun­g verschafft. Die Soldaten danken ihr ihren Einsatz für kostenlose Bahnfahrte­n für Uniformier­te oder Fortschrit­te im Beschaffun­gswesen. Ausreichen wird das nicht. Der Plan, sich im Verteidigu­ngsministe­rium für eine Kanzlerkan­didatur in Position zu bringen, geht für Kramp-Karrenbaue­r bislang jedenfalls nicht auf.

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Fotos: Marcus Merk/Steffen, Kappeler, Balk, Nietfeld, dpa
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