Schlägt der IS zurück?
Die Terrormiliz könnte den Tod von Abu Bakr al-Bagdadi zu einer Rekrutierungswelle nutzen. Nicht nur in Syrien und im Irak
Die mitternächtliche US-Militäraktion gegen das einsame Gehöft am Dorfrand von Barisha löste weltweit Erleichterung aus. Der gefährlichste Terrorist der Welt ist tot, Abu Bakr al-Bagdadi, der mit seinem „Islamischen Kalifat“Millionen Menschen unterjochte und dem Nahen Osten eine Apokalypse hinterließ – Massengräber, zerstörte Städte und unbewohnbare Dörfer. Nach einer vierjährigen Völkerschlacht versank sein religiöser Terrorstaat, der zeitweise ein Gebiet so groß wie England umfasste, in Schutt und Asche. Am Sonntag sprengte sich der ISTerrorchef in seinem Versteck in der Rebellenprovinz Idlib in die Luft, um der Gefangennahme durch die Amerikaner zu entgehen.
Doch sein Tod bedeutet nicht das Ende der Terrormiliz. Deren ideologisches Fundament existiere weiter, twitterte der Politikwissenschaftler Hischam Hellyer vom britischen „Royal United Services Institute“. „Die Gruppe wird sich verändern – sie wird nicht verschwinden.“Denn rund um den Erdball haben sich drei Dutzend IS-Terrorfilialen gebildet, die dezentral und auf eigene Faust agieren. Für dieses künftige „globale Kalifat“wurden sogar die IS-Gebiete neu geordnet, wie die Terrorexperten Charlie Winter und Aymenn al-Tamimi schrieben. Dazu stufte die IS-Führung die Kerngebiete Syrien und Irak herab und wertete die IS-Provinzen in Afrika und Asien auf, nach dem Motto – „der Proto-Staat in Syrien und Irak war großartig, aber er öffnete die Tür zu etwas noch viel Größerem“. Und so waren nach Einschätzung der Forscher die Osteranschläge von IS-Extremisten in Sri Lanka, bei denen im April 259 Menschen starben, der erste „Probelauf“für diese neue Strategie.
Doch auch Syrien und Irak bleiben Hochburgen, weil die Terrormiliz nach Schätzungen des Pentagons dort immer noch 18 000 Dschihadisten unter Waffen hat, darunter 3000 Ausländer. Teile der syrischen Zivilbevölkerung sympathisieren weiter mit den Extremisten und verstecken ihre Schläferzellen. Auf irakischer Seite haben IS-Kommandos seit längerer Zeit wieder Fuß gefasst. Dutzende Lokalpolitiker und Stammesführer wurden ermordet. Viele zeitweilig verstummte Facebook-Accounts sind erneut aktiv. Der IS habe bewiesen, dass er Rückschläge verkraften kann, „und wird definitiv den Tod von Bagdadi ausschlachten, um neue Anhänger zu rekrutieren und zu Anschlägen aufzustacheln“, twitterte Rita Katz, Direktorin von „SITE Intelligence Group“, einer US-Organisation, die das Online-Geschehen dschihadistischer Gruppen verfolgt.
Auch die meisten IS-Gefangenen gebärden sich unbeirrt und verhetzt. IS-Mütter fauchten, sie würden weitere Generationen von
Lager in Nordsyrien als Brutstätte von Terror
Dschihadisten zur Welt bringen. 70000 Frauen und Kinder sind in drei Lagern der nordsyrischen Kurden interniert, die sich zu neuen Brutstätten des Terrors entwickeln. Von den 12 000 gefangenen ISMännern konnten nach Angaben des Pentagons 100 bereits in dem jüngsten Kriegschaos entkommen, darunter auch Deutsche.
Ausdrücklich warnte die Führung der syrischen Kurden nach dem Tod Bagdadis vor Racheakten von Dschihadisten, die sich im Untergrund verstecken. „Alles ist möglich, auch Angriffe auf Gefängnisse“, erklärte der Kommandeur der kurdisch-syrischen Streitkräfte, Mazloum Abdi.