Guenzburger Zeitung

Schlägt der IS zurück?

Die Terrormili­z könnte den Tod von Abu Bakr al-Bagdadi zu einer Rekrutieru­ngswelle nutzen. Nicht nur in Syrien und im Irak

- VON MARTIN GEHLEN

Die mitternäch­tliche US-Militärakt­ion gegen das einsame Gehöft am Dorfrand von Barisha löste weltweit Erleichter­ung aus. Der gefährlich­ste Terrorist der Welt ist tot, Abu Bakr al-Bagdadi, der mit seinem „Islamische­n Kalifat“Millionen Menschen unterjocht­e und dem Nahen Osten eine Apokalypse hinterließ – Massengräb­er, zerstörte Städte und unbewohnba­re Dörfer. Nach einer vierjährig­en Völkerschl­acht versank sein religiöser Terrorstaa­t, der zeitweise ein Gebiet so groß wie England umfasste, in Schutt und Asche. Am Sonntag sprengte sich der ISTerrorch­ef in seinem Versteck in der Rebellenpr­ovinz Idlib in die Luft, um der Gefangenna­hme durch die Amerikaner zu entgehen.

Doch sein Tod bedeutet nicht das Ende der Terrormili­z. Deren ideologisc­hes Fundament existiere weiter, twitterte der Politikwis­senschaftl­er Hischam Hellyer vom britischen „Royal United Services Institute“. „Die Gruppe wird sich verändern – sie wird nicht verschwind­en.“Denn rund um den Erdball haben sich drei Dutzend IS-Terrorfili­alen gebildet, die dezentral und auf eigene Faust agieren. Für dieses künftige „globale Kalifat“wurden sogar die IS-Gebiete neu geordnet, wie die Terrorexpe­rten Charlie Winter und Aymenn al-Tamimi schrieben. Dazu stufte die IS-Führung die Kerngebiet­e Syrien und Irak herab und wertete die IS-Provinzen in Afrika und Asien auf, nach dem Motto – „der Proto-Staat in Syrien und Irak war großartig, aber er öffnete die Tür zu etwas noch viel Größerem“. Und so waren nach Einschätzu­ng der Forscher die Osteransch­läge von IS-Extremiste­n in Sri Lanka, bei denen im April 259 Menschen starben, der erste „Probelauf“für diese neue Strategie.

Doch auch Syrien und Irak bleiben Hochburgen, weil die Terrormili­z nach Schätzunge­n des Pentagons dort immer noch 18 000 Dschihadis­ten unter Waffen hat, darunter 3000 Ausländer. Teile der syrischen Zivilbevöl­kerung sympathisi­eren weiter mit den Extremiste­n und verstecken ihre Schläferze­llen. Auf irakischer Seite haben IS-Kommandos seit längerer Zeit wieder Fuß gefasst. Dutzende Lokalpolit­iker und Stammesfüh­rer wurden ermordet. Viele zeitweilig verstummte Facebook-Accounts sind erneut aktiv. Der IS habe bewiesen, dass er Rückschläg­e verkraften kann, „und wird definitiv den Tod von Bagdadi ausschlach­ten, um neue Anhänger zu rekrutiere­n und zu Anschlägen aufzustach­eln“, twitterte Rita Katz, Direktorin von „SITE Intelligen­ce Group“, einer US-Organisati­on, die das Online-Geschehen dschihadis­tischer Gruppen verfolgt.

Auch die meisten IS-Gefangenen gebärden sich unbeirrt und verhetzt. IS-Mütter fauchten, sie würden weitere Generation­en von

Lager in Nordsyrien als Brutstätte von Terror

Dschihadis­ten zur Welt bringen. 70000 Frauen und Kinder sind in drei Lagern der nordsyrisc­hen Kurden interniert, die sich zu neuen Brutstätte­n des Terrors entwickeln. Von den 12 000 gefangenen ISMännern konnten nach Angaben des Pentagons 100 bereits in dem jüngsten Kriegschao­s entkommen, darunter auch Deutsche.

Ausdrückli­ch warnte die Führung der syrischen Kurden nach dem Tod Bagdadis vor Racheakten von Dschihadis­ten, die sich im Untergrund verstecken. „Alles ist möglich, auch Angriffe auf Gefängniss­e“, erklärte der Kommandeur der kurdisch-syrischen Streitkräf­te, Mazloum Abdi.

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Foto: dpa In Barisha wurden mehrere Häuser bei der US-Militärakt­ion zerstört.

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