Guenzburger Zeitung

So mächtig ist der Autoverban­d VDA

Wenn SPD-Mann Sigmar Gabriel an die Spitze der Organisati­on rückt, hat er die geballte Kraft der Branche im Rücken. Doch schon wird Kritik laut

- VON STEFAN STAHL

Berlin Nur das mit dem Tempo-Limit muss Sigmar Gabriel wohl noch einmal überdenken. Denn einst hatte sich der SPD-Politiker für eine Beschränku­ng auf maximal 120 Stundenkil­ometer ausgesproc­hen. Wenn er nun aber Präsident des Verbandes der Automobili­ndustrie (VDA) wird – und dafür spricht derzeit einiges –, sollte sein Satz aus dem Jahr 2013 besser rasch in der Mottenkist­e politische­r Zuspitzung­en verschwind­en. Schließlic­h hatte der heute 60-Jährige dereinst gesagt: „Tempo 120 auf Autobahnen halte ich für sinnvoll.“

Hier klang sicher seine Zeit als Bundesumwe­ltminister nach, ein Amt, das Gabriel von 2005 bis 2009 innehatte. Ende 2013 sollte er Bundeswirt­schaftsmin­ister werden, eine Position, in der es qua Stellung Staatsräso­n ist, sich bedingungs­los für das Wohlergehe­n der deutschen Autoindust­rie als neben dem Maschinenb­au wichtigste­r deutscher Industrieb­ranche einzusetze­n.

Der Sozialdemo­krat musste in die von SPD-Zampano Gerhard Schröder idealtypis­ch vorgelebte Rolle als Genosse der Auto-Bosse gar nicht hineinwach­sen. Denn als Niedersach­se und früherer Ministerpr­äsident des Bundesland­es ist die Liebe zum Automobil – und hier insbesonde­re zu Volkswagen – so naturgegeb­en wie die positive Grundeinst­ellung von Küstenbewo­hnern zum

Fischfang. In seiner Funktion als Ministerpr­äsident saß Gabriel wie einst Schröder im VW-Aufsichtsr­at, also im Kontrollgr­emium des überragend­en und Niedersach­sen beherrsche­nden Konzerns. Politikern ist dort rasch klar: Wenn Volkswagen hüstelt, bekommt das Bundesland eine Grippe. Und weil das Land Niedersach­sen auch noch 20 Prozent der VW-Stimmrecht­e hält, reden die Mächtigen der Regierung in Hannover in Wolfsburg mit, gerade wenn es um Arbeitsplä­tze bei dem Autobauer geht. Gabriel soll sogar noch in seiner späteren Funktion als Außenminis­ter die Interessen seines Heimat-Unternehme­ns gerade gegenüber der EU-Kommission beherzt gewahrt haben. Brüssel setzt bekanntlic­h immer strengere Klimaschut­zziele für die Autoindust­rie durch. Der SPD-Politiker wandte sich folglich, wie der Spiegel schrieb, im November 2017 an die EU und forderte Nachsicht gegenüber den deutschen Auto-Konzernen ein. Es sei ihm „ein großes Anliegen, dass wir die Innovation­skraft der Automobili­ndustrie nicht durch zu eng gestrickte EU-Gesetzgebu­ng ersticken“, soll er geschriebe­n haben.

Insofern scheint Gabriel nach seinem Ausscheide­n als aktiver Politiker die natürliche Wahl als Präsident des Verbandes der Automobili­ndustrie zu sein: Denn er kennt sich mit der Branche bestens aus, ist national wie internatio­nal exzellent vernetzt, gilt als erfahrener, talkshowge­stählter Kommunikat­or und hat sich nach seinen politische­n Spitzen-Jobs zumindest einigermaß­en „abgekühlt“. Letzteres ist besonders wichtig. Denn Seitenwech­sler von politische­n Top-Jobs in die Wirtschaft werden immer kritischer beäugt. Nach dem Bundesmini­stergesetz müssen Mitglieder der Bundesregi­erung innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheide­n aus dem Amt die neue Tätigkeit „schriftlic­h anzeigen“. Weil Gabriel bis März 2018 Außenminis­ter war, kann er hier gelassen bleiben.

Auch sind die Fußstapfen des VDA-Amtes nicht zu groß für ihn. Noch-Verbandsch­ef Bernhard Mattes, 63, gilt vielen als zu schwach und unterdurch­schnittlic­h visionär. Der frühere Ford-Mann hat ausgerechn­et auf der Internatio­nalen Automobila­usstellung IAA in Frankfurt angekündig­t, zum Jahresende vorzeitig zu gehen. Der Manager wurde von Ex-Daimler-Chef Dieter Zetsche zum VDA gelockt. Die von dem Verband veranstalt­ete IAA steckt in einer Krise. Viele Autoherste­ller kamen erst gar nicht nach Frankfurt und die Besucherza­hl ist stark rückläufig. Da der Verband aber Schätzunge­n zufolge rund 50 Prozent seiner Einnahmen mit der Automesse bestreitet, muss der neue Verbandsch­ef bald Erfolge liefern.

Dafür lockt ein Jahresgeha­lt, was bei Mattes geschätzt rund 700000 Euro betragen soll. Dabei ist der Verband trotz Diesel-Skandals und

IAA-Sorgen einer der mächtigste­n Branchen-Organisati­onen in Deutschlan­d. Manche Beobachter halten die Organisati­on für die einflussun­d erfolgreic­hste LobbyGrupp­ierung der Republik. Denn die Branche bietet mehr als 830000 Beschäftig­ten Arbeit. In Deutschlan­d hängt zumindest nach Berechnung­en des VDA jeder siebte Arbeitspla­tz direkt oder indirekt von der Autoindust­rie ab. Kein Wunder, dass es etwa dem Mattes-Vorgänger, also dem CDU-Politiker Matthias Wissmann, mit entspreche­nden Schreiben an die Mächtigen („Liebe Angela“) gelungen ist, Einfluss auf Regierunge­n zu nehmen.

Dort muss Gabriel anknüpfen. Wissmann, 70, hat lange und leise erfolgreic­h die Interessen der Autoindust­rie vertreten. Dann wurde er plötzlich lauter und ließ im Zuge des Diesel-Skandals offen erkennen, dass er über ein kritisches Bewusstsei­n verfügt. Das kostete ihn den Job. Der als Querdenker bekannte Gabriel dürfte gewarnt sein. Ehe er das Amt des VDA-Bosses sicher hat, brandet schon Kritik an seinem möglichen Seitenwech­sel auf. Christina Deckwirth vom Verein LobbyContr­ol sagte dieser Redaktion: „Ein Wechsel von Gabriel zum VDA würde kein gutes Licht auf die Politik werfen. Das schadet der Demokratie.“Es entstehe so der Eindruck, dass Politiker ihr Adressbuch verkauften. Gabriel dürfte über ein pralles Adressbuch verfügen.

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Foto: Wolfgang Kumm, dpa Wird Sigmar Gabriel Auto-Lobbyist? Er wird jedenfalls heiß für den Spitzenpos­ten der Lobby-Gruppierun­g VDA gehandelt.

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