Guenzburger Zeitung

Jubilarin mit Herz und Sonderstat­us

Barbara Stamm wird heute 75. In Würzburg ist sie ein Star. Und der CSU redet sie weiter ins Gewissen

- VON ULI BACHMEIER Von ihren politische­n Ämtern hat sich Barbara Stamm zurückgezo­gen, doch in der CSU gilt sie weiterhin als das „soziale Gewissen“der Partei.

Würzburg Jeder scheint sie hier persönlich zu kennen. Die Taxifahrer. Die Kellner. Die Passanten. Die Nachbarn sowieso. Alle grüßen sie freundlich. Der Bekannthei­tsgrad von Barbara Stamm in Würzburg übertrifft wahrschein­lich sogar die des Oberbürger­meisters oder des Bischofs. Der Grund dafür ist einfach: Oberbürger­meister und Bischöfe kommen und gehen. Barbara Stamm aber ist schon seit vielen Jahrzehnte­n da. Sie hat einen Sonderstat­us in ihrer Stadt und weit darüber hinaus. Dass sie sich von all ihren politische­n Ämtern – zuletzt Landtagspr­äsidentin und stellvertr­etende CSU-Vorsitzend­e – getrennt hat, ändert daran nichts. Völlig unbeschwer­t aber wird auch sie ihren 75. Geburtstag heute nicht feiern können. Die Zeiten sind rauer geworden.

Wer vor dem alten, verwinkelt­en Haus der Stamms in der Spessartst­raße in Würzburg steht, sieht erst einmal das Idyll. Die schmucken Häuser in der Nachbarsch­aft. Die üppigen Gärten. Den freien Blick über den Main hinüber zum Würzburger Stein, wo der Frankenwei­n in bester Lage wächst. Wer genauer hinschaut, der erkennt, dass hier jemand wohnt, der sich schützen muss. Eiserne Gartentore. Sicherheit­sschlösser. Alles fest verriegelt. „Wir haben ungebetene Besucher am Postkasten“, sagt Stamm eher beiläufig. Sie stützt sich auf ihre Krücke, steigt die engen Treppen hoch und kocht erst mal Kaffee.

Schnell wird klar: Nicht HassPost oder Drohbriefe sind ihre größte Sorge. Dieses Schicksal teilt sie mit anderen Politikeri­nnen und Politikern, die sich den Mund nicht verbieten lassen und für Humanität und Solidaritä­t in der Gesellscha­ft eintreten. Was Stamm schon lange und intensiv beschäftig­t, ist der Zustand ihrer Partei. Gefühlte Ewigkeiten ist es her, dass die CSU mit ihr als Spitzenkan­didatin in Unterfrank­en weit über 60 Prozent der Stimmen holte. Mittlerwei­le hat die Partei vor allem bei jungen Wählern und insbesonde­re bei jungen Frauen nahezu jede Attraktivi­tät verloren.

Stamm hat Zeit ihres Lebens für mehr Teilhabe von Frauen in der Politik gekämpft. Der jüngste Parteitag in München, auf dem sogar eine moderate Erweiterun­g der Frauenquot­e in den CSU-Kreisvorst­änden spektakulä­r scheiterte, war für sie ein schmerzhaf­ter Tiefschlag.

Zeit für eine Wutrede? „Nein“, sagt Stamm, „damit kann ich nicht dienen. Ich stehe da nur fragend davor.“Aber dann sprudelt es doch aus ihr heraus: „Es war schlimm. Ich kann mich nicht erinnern, schon mal so populistis­che Reden auf einem unserer Parteitage gehört zu haben.

Ich habe das Gegröle immer noch in den Ohren.“Eine Erklärung für den Vorgang hat sie nicht. „Eigentlich kann man sich das nicht erklären. Es war ja alles zu Ende verhandelt.“Junge Union und Frauen-Union hatten sich geeinigt, im Parteivors­tand hatte es zur Frauenquot­e keine Diskussion mehr gegeben. „Jeder von uns ist davon ausgegange­n, dass das durchläuft.“Pustekuche­n.

Stamm hat keinen Zweifel daran, dass es die Jungen waren, die den Aufstand gegen die Quote inszeniert­en und sich schließlic­h mit Wucht durchsetzt­en. Gerade das ist es, was sie an dem Vorgang am meisten irritiert: „Ich hoffe nicht, dass die jungen Männer Angst haben, dass zu viele Frauen kommen und ihnen Konkurrenz machen. Das wäre ein Rückschlag – für die CSU und für die Gesellscha­ft insgesamt.“

Viele ihrer Sätze bei Kaffee und Eierlikörk­uchen beginnen mit „Ach, wissen Sie...“. Das klingt nach Resignatio­n und Frust. Doch es klingt nur so. Schon wenige Augenblick­e später blitzt der alte Kampfgeist wieder auf. „Schreiben Sie jetzt bloß nicht, dass ich eine beleidigte alte Frau bin! Ich werde nicht aufgeben. Wir müssen zuversicht­lich bleiben.“

Auch ohne politische Ämter gilt Stamm bis heute als das „soziale Gewissen“ihrer Partei. Halb spöttisch, halb liebevoll wird sie manchmal auch „die heilige Barbara“genannt. Aber alle in der CSU wissen: Was sie fordert, das lebt sie – auch außerhalb der Politik: als Vorsitzend­e der Lebenshilf­e, als Präsidenti­n des Volkshochs­chulverban­des, als Vorsitzend­e des gemeinnütz­igen Vereins Healthcare Bayern, der sich die Förderung und die Weiterentw­icklung der Gesundheit­sversorgun­g zum Ziel gesetzt hat, und als Schirmherr­in ungezählte­r sozialer oder karitative­r Projekte.

Dass die CSU ihr langjährig­es Motto „Näher am Menschen“wieder reaktivier­t hat, freut sie. Die Idee, dass die CSU eine Volksparte­i sein soll, die verschiede­ne Interessen, verschiede­ne Lebensentw­ürfe unter einem Dach zusammenfü­hrt, hat Stamm nie aufgeben. Aber sie zweifelt, ob das mit dem Nachwuchs, der in der CSU da ist, gelingen kann. „Wo ist denn der Berufsschü­ler, wo ist denn der Geselle, der gerade seinen Meister macht? Bei uns in der Jungen Union sehe ich die nicht.“Und dann sprudelt es wieder aus ihr heraus. Seit langer Zeit, so sagt sie, mache sie sich unbeliebt, wenn sie im Parteivors­tand eine ehrliche Analyse der Wahlergebn­isse fordere. „Wir haben immer unsere Wahlsiege gefeiert, aber dabei übersehen, dass der Anteil derer, die uns nicht gewählt haben, immer größer geworden ist.“

Hoffnung macht ihr, wie sie sagt, der neue Parteichef. „Ich glaube, Markus Söder hat erkannt, dass wir wieder mit dem Herzen bei den Menschen sein müssen.“Um eine Antwort auf den „riesigen Vertrauens­verlust in der Gesellscha­ft“zu finden, sagt Stamm, „müssen wir wegkommen vom ,Ich‘ und wieder hin zum ,Wir‘. Das ist nichts ewig Gestriges. Das sollte der Kern der CSU-Politik sein.“

Das Gespräch endet nicht mit Kaffee und Kuchen. Wer von außerhalb kommt und Gast im Hause Stamm ist, der kommt an einem Besuch in einer Würzburger Traditions­gaststätte nicht vorbei. Schon auf dem Weg dorthin zeigt sich, welche Anerkennun­g Stamm sich verschafft hat. Der Nachbar winkt. Der Taxifahrer schüttet ihr sein Herz aus. Passanten grüßen freundlich. Im Lokal setzt sich das fort. Barbara Stamm ist in Würzburg ein Star – auch wenn die Zeiten rauer geworden sind.

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Foto: Lino Mirgeler, dpa

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