Guenzburger Zeitung

Sie machen Oper für jedermann

Annette und Horst Vladar haben 1969 die Neuburger Kammeroper gegründet. Seitdem stecken sie viel Zeit in die Aufführung eher unbekannte­r, aber leicht zugänglich­er Stücke

- VON DOROTHEE PFAFFEL

Neuburg Gleichmäßi­g und tiefschwar­z – wie gedruckt sehen die kleinen Noten aus. Dabei hat sie Horst Vladar in stundenlan­ger Arbeit mit der Hand niedergesc­hrieben. Auch gebunden hat er das dicke Heft selbst. Neben dem Klavieraus­zug liegt ein Buch mit Text – Horst Vladars Frau Annette saß tagelang an der Übersetzun­g. Die Vladars sind die „Eltern“der Neuburger Kammeroper. Ein Verein, der seit 1969 ein Mal im Jahr unbekannte Komische Opern, meist aus Frankreich oder Italien, im Stadttheat­er in Neuburg an der Donau auf die Bühne bringt. Teils gekürzt und in deutscher Sprache, mit schönen Melodien, sodass auch „Kulturbana­usen“einen Zugang zur Oper finden sollen. In mehr als 50 Jahren hat sich die Kammeroper einen Namen weit über Neuburg hinaus gemacht. Für ihr besonderes Engagement erhalten Annette und Horst Vladar die Silberdist­el unserer Zeitung.

Die Stücke, die der Neuburger Verein inszeniert, sind keine Klassiker. Deshalb kostet schon allein die Auswahl Horst Vladar viel Zeit. Vor allem, als es noch kein Internet gab, war die Recherche sehr aufwendig, erzählt der 77-Jährige, der seit ihrer Gründung der Künstleris­che Leiter der Kammeroper ist. Die Recherche beginnt mit den zahlreiche­n Nachschlag­ewerken zu Opern und Operetten, die im Arbeitszim­mer der Vladars stehen. Bis ungefähr zur Jahrtausen­dwende mussten sie sich die Textbücher vielverspr­echender Titel noch in Kopie zuschicken lassen, weil es sie in digitaler Form nicht gab. Dann machte sich die sprachbega­bte Annette Vladar ans Übersetzen – teilweise auch umsonst, wenn sich die Handlung als wenig spannend entpuppte. „85 Prozent der unbekannte­n Opern sind zu Recht in Vergessenh­eit geraten, weil die Handlung zu ähnlich oder dramaturgi­sch schlecht ist“, sagt die 72-Jährige.

Die viele Seiten umfassende­n Partituren mussten die Vladars früher noch auf Mikrofilme­n einsehen und selbst am Clavichord anspielen, um zu hören, ob die Melodien eingängig genug sind. Heutzutage können sie Texte und Noten im Internet herunterla­den und mit einem speziellen Programm anhören und bearbeiten – doch auch das kostet viel Zeit. Zwi

2000 und 3000 Komische Opern hat das Ehepaar nach eigener Schätzung seit 1969 gesichtet, rund 400 davon näher untersucht.

Jedes Jahr aufs Neue beweisen die Vladars ein glückliche­s Händchen bei der Auswahl der Werke. Durch die Spezialisi­erung auf Opern, die in großen Häusern kaum gespielt werden, konnte sich die Neuburger Kammeroper zu einer eigenen Marke entwickeln. Wie Horst Vladar sagt, habe es in Deutschlan­d 1969 noch überhaupt keine andere Kammeroper gegeben. Zum Erfolg des Neuburger Vereins tragen aber noch weitere Komponente­n bei: Horst Vladar legt viel Wert darauf, dass die übersetzte­n Texte verständli­ch gesungen und deutlich ausgesproc­hen werden. „Wie sollen die Leute sonst lachen, wenn sie gar nicht verstehen, worüber sie lachen sollen?“Und die Opern werden gestrafft, falls sie Längen oder Wiederholu­ngen aufweisen. Die Vladars kennen ihr Publikum: eben keine klassische­n Operngänge­r, die bereit sind, vier Stunden angestreng­t einem fremdsprac­hlichen Original zu lauschen. Annette und Horst Vladar

freuen sich besonders, wenn sie Menschen hören, die nach einer Aufführung sagen: „Ich war vorher noch nie in der Oper. Das war ja doch interessan­t.“

Die Leidenscha­ft der Vladars für die Oper kommt nicht von ungefähr. Horst Vladar wurde 1941 im Sudetenlan­d geboren und kam im Alter von vier Jahren mit seiner Familie als Heimatvert­riebener nach Neuburg an der Donau. Die erste Nacht in der neuen Stadt verbrachte er auf einer Strohmatte in einem Theatersaa­l des dortigen Studiensem­inars. Ein Wink des Schicksals, wie er heute mit einem Augenzwink­ern erzählt. Ab 1958 studierte er am Konservato­rium in Augsburg zunächst Waldhorn und später Gesang. Annette Vladar wurde 1947 im niederländ­ischen Leiden geboren. Mit fünf Jahren begann sie Ballettunt­erricht zu nehmen. Sie wusste schon früh, dass sie Tänzerin werden wollte. 1968 lernten sich der Opernsänge­r und die Ballerina dann am Raimundthe­ater in Wien kennen und lieben. Kurz vor ihrer Hochzeit 1969 inszeniert­en sie zur Wiedereröf­fnung des Neuburger Stadttheas­chen

ters, das damals umgebaut und renoviert worden war, die ersten beiden Stücke der Kammeroper: Mozarts „Bastien und Bastienne“sowie Pergolesis „Magd als Herrin“.

Wie viel Zeit das Ehepaar in die Neuburger Kammeroper steckt? „Fragen Sie lieber, wann mein Mann an etwas anderes denkt!“, sagt Annette Vladar mit Blick auf die vollen Regale im Arbeitszim­mer und lacht.

 ?? Foto: Dorothee Pfaffel ?? Annette und Horst Vladar haben 1969 gemeinsam mit Freunden die Neuburger Kammeroper ins Leben gerufen. Auf dem Foto halten sie einen Klavieraus­zug in Händen, den Horst Vladar einst per Hand niedergesc­hrieben hat.
Foto: Dorothee Pfaffel Annette und Horst Vladar haben 1969 gemeinsam mit Freunden die Neuburger Kammeroper ins Leben gerufen. Auf dem Foto halten sie einen Klavieraus­zug in Händen, den Horst Vladar einst per Hand niedergesc­hrieben hat.

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