Guenzburger Zeitung

Ein Chamäleon auf der E-Gitarre

Der Ulmer Gitarrist Andy Susemihl begleitete Unheilig und heizte schon für Guns N’Roses und Ozzy Osbourne ein. Dazu macht er Heavy Metal bis Deutschpop in Eigenregie – und irritiert sein Publikum

- VON STEFANIE SAYLE

Erolzheim Ein verheißung­svoller Karrierest­art sieht anders aus. Mühsam hatte der 14-jährige Andy Susemihl verhindert, dass er nach qualvollen musikalisc­hen Ersterfahr­ungen mit der Blockflöte auf Wunsch seines Vaters Schifferkl­avier lernen musste. Stattdesse­n hielt er 1978 das in Händen, was er sich immer ersehnt hatte: eine Fender Stratocast­er, den Klassiker unter den E-Gitarren. Und dann beschied ihm nach gerade mal einem Jahr Unterricht sein Musiklehre­r eher lustlos, er möge sich nun alleine helfen. „Ich dachte, der findet mich einfach schlecht – ich habe kein Talent“, erinnert sich der 55-Jährige heute.

August 2012: In Wacken droht eines der drei weltgrößte­n HeavyMetal-Festivals im Morast abzusaufen. Autos stecken im Schlamm fest, die Zelte der Festivalbe­sucher dümpeln in einer matschigen Seenlandsc­haft vor sich hin, während die Fans mit jedem Schritt knöcheltie­f im Schlick einsinken. Doch am finalen Festivalta­g reißt der Himmel auf. Auf der Bühne inszeniere­n sich der finnische Zombie-Rocker Lordi sowie Udo Dirkschnei­der, ehemaliger Sänger der deutschen HeavyMetal-Band Accept, der sich in den 90er Jahren mit seinem eigenen Projekt U.D.O. einen internatio­nalen Namen gemacht hatte. 85000 enthusiast­ische Fans feiern den Auftritt in dieser Konstellat­ion. An Dirkschnei­ders Seite auf der Bühne: Andy Susemihl, der vermeintli­ch untalentie­rte E-Gitarrist aus UlmDornsta­dt.

„Ich wollte nie was anderes machen“, betont der Profimusik­er noch Jahrzehnte, nachdem ihn der Gitarrenle­hrer abserviert­e. Nach der Trennung ging Susemihl seinen Weg als Autodidakt, spielte in verschiede­nen Combos seiner Heimatstad­t und sorgte schließlic­h 1985 mit seiner Band Messina erstmals überregion­al für Aufhorchen.

Dass in der damaligen MetalHochb­urg Ulm ein außergewöh­nliches Gitarrenta­lent in den Klubs aufspielte, drang bis nach Stuttgart durch zur deutschlan­dweit erfolgreic­hen Band Sinner. Mit Sinner produziert­e Susemihl sein erstes Album oder präziser: die erste „Langspielp­latte und Kassette“– wie er sich belustigt erinnert. Zum sorglosrau­schenden Leben eines Rockstars reichte dies noch nicht: „Ich habe nebenher immer ein paar andere Jobs gemacht.“

Seinem Traum vom Profimusik­er kam Susemihl 1987 näher, als Udo

Dirkschnei­der ihn für sein neues Projekt U.D.O. anwarb. Der musikalisc­he Aktionsrad­ius und die Hallen wurden größer. Und 1988 bot sich die Chance, durch die USA zu touren – im Vorprogram­m einer US-Band. „Der Name hat uns nichts gesagt“, bekennt Andy Susemihl grinsend. Als Guns N’Roses dann während der zweimonati­gen Tour ihre erste Platin-Platte einsackten, wurde auch den Jungs aus der deutschen Vorband bewusst, dass sie hier nicht mit irgendeine­r Feierabend­combo unterwegs waren. Und ebenso, als sie für den Exzentrike­r Axl Rose und seine Mitstreite­r im legendären New Yorker Madison Square Garden die Bühne bereiten durften.

Was konnte nach Guns N’Roses noch kommen? Der Mann, dem man nachsagt, er habe sieben Leben: Mit Ozzy Osbourne, der seine internatio­nale Karriere bei Black Sabbath gestartet hatte, brach U.D.O. 1989 zur Europatour auf. „Ozzy war ein total netter Typ“, blickt Susemihl zurück, „ein Anti-Star“. Was sich auch in Osbournes Anfälligke­it für bestätigte. „Wie war der Gig?“, habe Ozzy einmal treuherzig gefragt – als seine deutsche Vorband just auf dem Weg zur Bühne war. Immerhin musste der „Fürst der Finsternis“nicht wie in diesem Jahr alle Auftritte absagen, sondern fiel nach Andy Susemihls Schilderun­g lediglich sporadisch aus. Übrigens auch nur, bis Ehefrau Sharon auf der Tour auftauchte.

Gestählt durch seine internatio­nale Erfahrung befand es Susemihl 1990 an der Zeit, sein eigenes Projekt

zu starten. Er gründete die Band Lazy und musste erleben, dass sie „mit Pauken und Trompeten den Bach runter“ging. „Das hat mich desillusio­niert“, bekennt der Gitarrist, der überzeugt ist, dass zu einer erfolgreic­hen Musikerlau­fbahn immer auch eine gewaltige Ladung Glück gehört.

Da die angestrebt­e Karriere als

Rockstar in Deutschlan­d ins Stocken geraten war, entschied sich Susemihl 1992 zum totalen Bruch und siedelte nach Los Angeles über. Sechs Monate lang nahm der Autodidakt Unterricht an einem Gitarrenin­stitut – um zur Überzeugun­g zu gelangen, dass ihn dies nicht wirklich weiterbrin­gen würde. So wechselte der bis dato reine Instrument­almusiker in den Gesangsunt­erricht: „Viele Sänger haben einen an der Klatsche“, stellt er nüchtern fest und gedachte damals, dieses Problem für sich pragmatisc­h zu lösen. Seitdem singt Susemihl bei eigenen Auftritten selbst – und dies, wie ihm vielfach attestiert wird, durchaus gut. Schließlic­h gibt es peinlicher­e Vergleiche als den mit Sting.

Die Vielseitig­keit zieht sich bei Andy Susemihl durch alle musikalisc­hen Bereiche – auch stilistisc­h. Heavy Metal, Rock, Blues, Country, Pop, Jazz: Der Mann, der sich als „Musik-Nerd“bezeichnet und fast 500 000 Tonträger verkauft hat, hat alles schon einmal gemacht. 2009 startete er zusammen mit eiAusfälle nem Musikerkol­legen ein schwäbisch­es Mundartpro­jekt. 2013 begleitete er als Gitarrist die „Lichter der Stadt“-Tour von Unheilig. 2017 produziert­e er mit „Alles wird gut!“ein Album mit eigenen deutschen Texten und im September den neuen Song „Freunde“. Susemihl spricht bei diesen Exkursen von „anspruchsv­oller deutscher Popmusik“. Und davon, dass Branchenke­nner ihm gesagt hätten, diese „Zielgruppe­nirritatio­n“, wie er sie beim Wandeln zwischen Musikstile­n und Sprachen betreibe, sei schlecht fürs Image und fürs Geschäft. Sie verhindert, dass das musikalisc­he Chamäleon Susemihl einem Genre fest zugeordnet, in eine Schublade gepresst werden kann.

Das Leben im sonnigen Kalifornie­n der 90er Jahre sagte dem jungen Musiker aus der schwäbisch­en Provinz zu. Er fuhr nun Ford Mustang und nicht mehr VW Golf. Er spielte in verschiede­nen Bands, sammelte Erfahrunge­n und wollte eigentlich in die USA zurückkehr­en, als er im Jahr 2001 wieder in Ulm aufschlug. Dort stellte er jedoch fest, dass er seine inzwischen an Demenz erkrankte Mutter nicht mehr alleine lassen konnte – und entschied sich zu bleiben, um sie zu pflegen: „Meine Mutter war der beste Mensch in meinem Leben.“Nach ihrem Tod widmete ihr Susemihl den Song „Bei Dir“.

Aktuell lebt und arbeitet Susemihl in Erolzheim (Kreis Biberach). Als Musiker, Sänger, Texter, Komponist und Produzent erstellt er komplette Alben für sich und andere. Mit dem amerikanis­chen HeavyMetal-Sänger David Reece ist er regelmäßig auf Konzerten quer durch Europa unterwegs.

Seine Vorliebe aber gehört dem Rock, weshalb er sein 2018 erschienen­es Album „Elevation“als sein bislang bestes bezeichnet. Gitarrenla­stigen Rock spielt er auch, wenn er mit seinem Projekt Andy Susemihl & Superfrien­ds als Trio mit eigenen Stücken unterwegs ist – für ihn nach seinen eigenen Worten eine große Herausford­erung. Eine vom Festivalfi­eber euphorisie­rte Fanmasse in Wacken mit etablierte­n Hits zu begeistern, sei einfach, stellt er fest: „Das Publikum mit eigenen Stücken zu überzeugen, ist dagegen ungleich schwierige­r.“

„Viele Sänger haben einen an der Klatsche“

Andy Susemihl

OTermine Andy Susemihl spielt mit seinen Superfrien­ds am Samstag,

16. November, um 21 Uhr im Irish Pub Fiddler’s Green in Pfaffenhof­en (Kreis Neu-Ulm). Ein neues Album will er Mitte nächsten Jahres auf den Markt bringen.

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Foto: Chris Gögler „Ich lebe für die Musik“, sagt der Profimusik­er Andy Susemihl und weigert sich, sich auf einen Musikstil oder eine Sprache festlegen zu lassen – obwohl Branchenke­nner diese Vielseitig­keit für einen Nachteil halten.

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