Als die Bärte sprossen, wo sie nicht hingehörten
Es gab eine Zeit, da wurden Weltrekorde bejubelt. Leichtathleten und Schwimmer lieferten vor allem in den 1980ern Fabelzeiten und -weiten in Serie. Dann gelangten Begriffe wie Oral-Turinabol an die Öffentlichkeit. Und plötzlich sahen geübte Augen Bartwuchs, wo keiner sein sollte. Muskelberge, wo Weiblichkeit sein sollte.
Es war das Zeitalter des „blauen Blitzes“, der den Klassenkampf anschob. So hatten die Sportler die kleinen blauen Pillen genannt, die ihnen außergewöhnliche Leistungen ermöglichten. Bis heute steht eine ganze Reihe davon in den Bestenlisten der Leichtathletik. Weltrekorde, die ohne chemische Unterstützung gröbster Art nur schwer zu brechen sein werden.
Legendär sind diesbezüglich die 400 Meter von Marita Koch. Die DDR-Läuferin mit dem herben
Charme eines andalusischen Metzgers legte 1985 die Stadionrunde in 47,60 Sekunden zurück. Keine war je schneller. Natürlich bestreitet Koch die Einnahme von allem, was über die Wirksamkeit eines Hustensafts hinausgeht. Wer das glaubt, konsumiert Stärkeres als Hustensaft.
Was Koch den Frauen, war Jürgen Schult den Männern. Auch er hatte selbstverständlich nix mit Doping am Hut. Er war eben nur richtig gut drauf, als er 1986 die Diskusscheibe 74,08 Meter weit schleuderte. Keiner kam je weiter.
Im Schwimmen hat das Turinabol-Zeitalter zumindest in den Bestenlisten keine Spuren hinterlassen. Experten sagen, verbesserte Trainingslehre und Technik hätten die Anabolikamaschinen von damals weggeschwemmt. Schön, dass das so ist. Die Probleme von heute sind ja auch ganz andere. Die Australierin Minna Atherton schwamm gerade schneller als je eine Frau zuvor über 100 Meter Rücken. Unglücklicherweise tat sie das im Rahmen der International Swim League (ISL). Die findet der Weltverband Fina nicht so toll, denn sie wird von den Schwimmern selbst organisiert. Also hat der Weltverband im Vorfeld wissen lassen, dass er etwaige Weltrekorde, die dort geschwommen werden, nicht akzeptieren werde.
Jetzt ist der Ernstfall eingetreten. Was machen mit einem Weltrekord, der vielleicht keine Anerkennung findet? Wie wäre es mit einer zweiten Bestenliste? So eine hätten sie in der Leichtathletik schon längst einführen sollen. Eine vor 1990, die andere nach 1990.
Aber hier wie dort wird nichts Derartiges passieren. Weltrekorde bejubeln ist doch viel schöner – je mehr, desto besser. Egal wann, wie und wo sie zustande kommen.