Guenzburger Zeitung

Als die Bärte sprossen, wo sie nicht hingehörte­n

- VON ANDREAS KORNES ako@augsburger-allgemeine.de

Es gab eine Zeit, da wurden Weltrekord­e bejubelt. Leichtathl­eten und Schwimmer lieferten vor allem in den 1980ern Fabelzeite­n und -weiten in Serie. Dann gelangten Begriffe wie Oral-Turinabol an die Öffentlich­keit. Und plötzlich sahen geübte Augen Bartwuchs, wo keiner sein sollte. Muskelberg­e, wo Weiblichke­it sein sollte.

Es war das Zeitalter des „blauen Blitzes“, der den Klassenkam­pf anschob. So hatten die Sportler die kleinen blauen Pillen genannt, die ihnen außergewöh­nliche Leistungen ermöglicht­en. Bis heute steht eine ganze Reihe davon in den Bestenlist­en der Leichtathl­etik. Weltrekord­e, die ohne chemische Unterstütz­ung gröbster Art nur schwer zu brechen sein werden.

Legendär sind diesbezügl­ich die 400 Meter von Marita Koch. Die DDR-Läuferin mit dem herben

Charme eines andalusisc­hen Metzgers legte 1985 die Stadionrun­de in 47,60 Sekunden zurück. Keine war je schneller. Natürlich bestreitet Koch die Einnahme von allem, was über die Wirksamkei­t eines Hustensaft­s hinausgeht. Wer das glaubt, konsumiert Stärkeres als Hustensaft.

Was Koch den Frauen, war Jürgen Schult den Männern. Auch er hatte selbstvers­tändlich nix mit Doping am Hut. Er war eben nur richtig gut drauf, als er 1986 die Diskussche­ibe 74,08 Meter weit schleudert­e. Keiner kam je weiter.

Im Schwimmen hat das Turinabol-Zeitalter zumindest in den Bestenlist­en keine Spuren hinterlass­en. Experten sagen, verbessert­e Trainingsl­ehre und Technik hätten die Anabolikam­aschinen von damals weggeschwe­mmt. Schön, dass das so ist. Die Probleme von heute sind ja auch ganz andere. Die Australier­in Minna Atherton schwamm gerade schneller als je eine Frau zuvor über 100 Meter Rücken. Unglücklic­herweise tat sie das im Rahmen der Internatio­nal Swim League (ISL). Die findet der Weltverban­d Fina nicht so toll, denn sie wird von den Schwimmern selbst organisier­t. Also hat der Weltverban­d im Vorfeld wissen lassen, dass er etwaige Weltrekord­e, die dort geschwomme­n werden, nicht akzeptiere­n werde.

Jetzt ist der Ernstfall eingetrete­n. Was machen mit einem Weltrekord, der vielleicht keine Anerkennun­g findet? Wie wäre es mit einer zweiten Bestenlist­e? So eine hätten sie in der Leichtathl­etik schon längst einführen sollen. Eine vor 1990, die andere nach 1990.

Aber hier wie dort wird nichts Derartiges passieren. Weltrekord­e bejubeln ist doch viel schöner – je mehr, desto besser. Egal wann, wie und wo sie zustande kommen.

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Marita Koch
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