Guenzburger Zeitung

Bleibt Ohrid ein Geheimtipp?

- VON PHILIPP WEHRMANN

Weiße Häuser mit roten Ziegeln reihen sich vom Ufer des Ohridsees einen Hügel hinauf aneinander. Durch viele der Häusermaue­rn verlaufen waagrechte Holzbalken. Sie schützen die Gebäude vor Erdbeben, die es hier hin und wieder gibt. Einer Festung, die hoch oben steht, 100 Meter über dem Wasserspie­gel des Sees, haben sie über die Jahrhunder­te nichts anhaben können. Zerstört wurde sie zwar mehrmals, allerdings von Eroberern. In der Stadt trafen seit Urzeiten Kulturen aufeinande­r. Erst gehörte die Region zum Römischen Reich, dann zum Byzantinis­chen und schließlic­h zum Osmanische­n. Über die Häuser der 50000-Einwohner-Stadt ragen hier und da Kirchen. Einige der terracotta­farbenen Gebäude wurden zu Moscheen und später wieder zu Kirchen umgebaut.

Auch heute treffen in Ohrid, dem touristisc­hen Aushängesc­hild des Landes, Besucher aus dem übrigen Balkan, Griechenla­nd, der Türkei, aber zunehmend auch aus Westeuropa aufeinande­r. Außerhalb der Altstadt stehen große Hotels an den Straßen. Manche stammen noch aus dieser Zeit der Tito-Diktatur, andere sind neu. Als Jugoslawie­n zerfiel, nahm Nordmazedo­nien hunderttau­sende Flüchtling­e aus dem Kosovo auf. Das Land selbst blieb vom Krieg weitestgeh­end verschont. Die Wirtschaft brach ein – und besonders der Tourismus.

Die Hoffnung, zum alten Glanz zurückzuke­hren und auch mehr westeuropä­ische Touristen anzuziehen, ist heute wieder groß. Auf dem Stadtplatz Ohrids reihen sich Bars, Eiscafés und Souvenirge­schäfte aneinander. Abends tummeln sich hier viele junge Touristen.

Die einheimisc­he Bevölkerun­g hingegen altert. Viele junge Mazedonier leben im Ausland, allein in Deutschlan­d sind es etwa 100 000 – bei gut zwei Millionen Einwohnern in Nordmazedo­nien. Hier verdienen die Menschen im Schnitt 400 Euro pro Monat, die Arbeitslos­igkeit liegt bei gut 20 Prozent. Unter jungen Menschen ist sogar jeder Zweite arbeitslos.

Das Land hofft noch immer, der EU beitreten zu können. Als Kandidat gilt es schon seit vielen Jahren. Deutschlan­d würde die Gespräche gerne beginnen, Frankreich blockt und verlangt weitere Reformen. Auch das Wachstum war in den vergangene­n Jahren nicht so, wie es sich die Staatengem­einschaft wünschen würde.

Davon zeugen rostige Autos, die durch die engen Gassen Ohrids fah

Oben eine der beliebtest­en Sehenswürd­igkeiten Ohrids: die Kirche des Heiligen Johannes von Kaneo. Aber (siehe unten) nicht alles hier ist prunkvoll.

● Informatio­nen

rund um das Reiseland Nordmazedo­nien finden Sie hier: www.exploringm­acedonia.com. Wizz Air fliegt montags und freitags vom Allgäu Airport Memmingen nach Ohrid Personalau­sweis genügt oder Reisepass

● Anreise

● Einreise

* Die Reise wurde unterstütz­t vom Allgäu Airport Memmingen, Wizz Air und dem Tourismusv­erband Nordmazedo­niens.

ren, in der Luft hängende Stromkabel, nicht fertig gebaute Häuser. Doch der Tourismus soll dem Land eine Perspektiv­e geben: Gerade der Ohridsee mit seiner einzigarti­gen Natur und Kultur in der Umgebung gilt als Geheimtipp.

Der See zählt zum Unesco-Welterbe. Zu zwei Dritteln gehört er zu Nordmazedo­nien, der Rest befindet sich hinter der Grenze Albaniens. Jahrtausen­de lebten die Menschen in der Gegend von ihm, besonders von der Ohrid-Forelle, die nur hier lebt. Sie ist für ihr rosa Fleisch bekannt und steht in fast jedem Restaurant auf der Speisekart­e. Weil die Nachfrage so groß ist, muss sie gezüchtet und in den See gebracht werden. Das passiert im Süden Ohrids im Hydrobiolo­gischen Institut der Stadt. In den Boden sind Becken aus Beton eingelasse­n, Touristen laufen darüber und blicken durch die Gitter auf die Brut. Zehn Millionen Fische werden dort jährlich gezüchtet. Folgt man der Straße weiter, gelangt man zur „Bucht der Knochen“. Bei Unterwasse­r-Ausgrabung­en wurden 6000 Jahre alte Überreste von Holzpfähle­n gefunden. Sie trugen ein kleines Fischerdor­f. Vor einigen Jahren wurde es über der Wasserober­fläche wieder aufgebaut. Kleine Holzhütten stehen darauf, in einem Museum an Land sind Tongefäße und Werkzeuge ausgestell­t, die am Grund des Sees gefunden wurden. Die Lage auf dem Wasser schützte vor Wölfen und Bären. Auch heute gibt es sie noch in Nordmazedo­nien, gerade im nahe gelegenen Galicica-Nationalpa­rk.

Das Wasser des Sees entspringt aus aus Quellen am Kloster St. Naum. Bootsführe­r bieten hier Fahrten an. Manche Quellen sprudeln oberirdisc­h in das seichte Gewässer, andere wirbeln am Untergrund den Sand auf. Durch das kristallkl­are Wasser ist das deutlich zu sehen. Das Kloster selbst liegt weiter oben auf einer Anhöhe. St. Naum soll es im 9. Jahrhunder­t gebaut haben. Kirche und Kloster, durch dessen Gärten Pfauen wandern, ist eine der beliebtest­en Sehenswürd­igkeiten. Steht man an den Außenmauer­n, hinter denen es steil bergab geht, blickt man auf den 30 Kilometer langen See, linker Hand liegt ein albanische­r Grenzposte­n.

Auf der anderen Seite des Sees ist die Nähe zum Nachbarlan­d besonders deutlich zu sehen. Etwa ein Viertel der Einwohner Nordmazedo­niens sind Albaner, an der Grenze leben besonders viele von ihnen. Minarette überragen einige Dörfer. Im Jahr 2001 entfachte ein bürgerkrie­gsähnliche­r Konflikt zwischen der albanische­n Minderheit und der mazedonisc­hen Mehrheit. Heute sind die Beziehunge­n besser, auch weil Albanisch zur Landesspra­che erhoben wurde. In den meisten Dörfern jedoch leben nach wie vor Albaner und Mazedonier für sich.

Das Stadtbild Ohrids hingegen prägen Kirchen. Besonders bedeutsam ist die Sophienkir­che, die aus dem 11. Jahrhunder­t stammt. Sie wurde Sitz des Erzbischof­s von Ohrid, nach der Eroberung durch die Türken aber in eine Moschee umgewidmet. Viele ihrer Wände sind heute grau. Die Eroberer zerstörten die Fresken. Nur ein kleiner Teil ist noch zu sehen, der Rest konnte nicht wiederherg­estellt werden. Auch den Glockentur­m und die Zentralkup­pel rissen die Besatzer ab. Erst im 19. Jahre, als die osmanische Herrschaft endete, wurde das Gebäude wieder zur Kirche. Später wurde die mazedonisc­h-orthodoxe Kirche dort gegründet, der sich etwa zwei Drittel der Mazedonier zurechnen.

Auf eine kulturelle Errungensc­haft ist man in Ohrid besonders stolz: Ein Missionar namens Kliment von Ohrid soll dort die kyrillisch­e

Kurz informiert

Ohrid könnte bald als bedrohtes Welterbe gelten

Schrift erfunden und gelehrt haben. Bulgarien allerdings beanspruch­t das ebenfalls für sich. Noch mehr Touristen tummeln sich an der St.-Johannes-Kirche. Ein verwinkelt­er Weg durch die schmalen Gassen der Stadt führt zu dem Felsvorspr­ung, auf dem sie steht. Ihr Turm ist achteckig, hinter ihm liegen der See und die mehr als 2000 Meter hohen Berge.

Die Region gehört sowohl wegen kulturelle­r Schätze wie diesen als auch ihrer Natur zum Unesco-Welterbe. Doch die Unesco droht, ihr diesen Status abzuerkenn­en und sie stattdesse­n als gefährdete­s Erbe zu führen. Die Hüter des Welterbes beklagen illegale Bauten. Die Stadt will gegensteue­rn, an der Küste und in Teilen der Stadt soll ein Bauverbot erlassen werden. Illegale Bauten sollen wieder abgerissen werden, fordert die Unesco.

Erst kürzlich hat ein Stadtratsm­itglied Ohrids illegal eine Pizzeria in der Altstadt gebaut. Eröffnet hat den Schwarzbau sein Parteikoll­ege und Bürgermeis­ter der Nachbarsta­dt Struga, wie lokale Medien berichten. Die Republik Nordmazedo­nien steht an einem Scheideweg: Es geht um das Kultur- und Naturerbe das Landes – und um seine Zukunft in Europa.

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Fotos: Wehrmann
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