Guenzburger Zeitung

Ein Bild, das immer noch schockiert

Vor genau 75 Jahren wurde Waldwerk Kuno im Scheppache­r Forst gebaut, wo später die „Wunderwaff­e“Me 262 montiert wurde. Können jetzt aufgetauch­te Aufnahmen das Rätsel um das Foto mit den Leichen lösen?

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Jettingen-Scheppach Mit diesem Bild begann vor drei Jahren eine einzigarti­ge Spurensuch­e: Auf wenigen Quadratzen­timetern Fläche sind über ein Dutzend Leichen zu sehen, die in einem Wald abgelegt wurden. Im Hintergrun­d ist eine Holzbarack­e zu sehen. Gehört sie zum Waldwerk Kuno, das vor genau 75 Jahren gebaut wurde? Dort mussten Zwangsarbe­iter und KZ-Häftlinge den Messerschm­itt-Düsenjäger Me 262 bauen, den die Nazis als „Wunderwaff­e“handelten. Mehr Aufschluss über das schockiere­nde Bild könnten weitere Aufnahmen geben, die jetzt aufgetauch­t sind.

Im selben Format wie das Bild mit den Leichen hat der Zusmarshau­ser Martin Reitmaier US-Soldaten bei einem Fahnenappe­ll auf einer Wiese abgelichte­t. Auf einem weiteren Bild mit USFlagge verleiht ein offensicht­lich ranghöhere­r Soldat einen Orden. Zu sehen ist außerdem ein getarnter Panzer, ein Flakgeschü­tz in einem Waldstück sowie ein Segelflieg­er mit Hakenkreuz auf dem Leitwerk. Amerikaner posieren vor dem Flugzeug. Alle Bilder wurden offenbar nach Kriegsende aufgenomme­n. Aber warum hat Reitmaier nicht die Düsenjäger fotografie­rt, die sich nach dem Einmarsch der Amerikaner noch im Kuno-Waldwerk befanden und entlang der Autobahn standen? Die deutsche Technik war noch Wochen später für die GI’s ein beliebtes Fotomotiv. Immer wieder sind nach Beginn der Recherchen vor drei Jahren neue Aufnahmen aufgetauch­t. Soldaten thronen auf dem Düsenjäger, Soldaten schauen ungläubig die „Wunderwaff­e“an oder nehmen im Cockpit Platz.

das Bild mit den Leichen tatsächlic­h im Waldwerk entstanden ist, bleibt weiterhin die Frage offen, was mit den Toten passiert ist. Wurden sie im Wald in einem Loch verscharrt? Dazu gibt es keinerlei Aufzeichnu­ngen. Auch Erinnerung­en von Zeitzeugen fehlen.

Richard Käßmayr, der als Elektriker-Lehrling im Waldwerk und im KZ arbeiten musste, hatte eine größere Anzahl von Toten nie erwähnt. Er gehörte zu den letzten Arbeitern auf dem Gelände, ehe die Amerikaner anrückten. Käßmayr hatte den Befehl erhalten, Pläne zu vernichten und mit Schneidbre­nnern die Turbinen der Flugzeuge zu zerstören. Die männlichen KZHäftling­e hielten sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht mehr im Werk auf. Sie waren im Februar vom Lager Pfersee überstellt worden.

Mit deutscher Gründlichk­eit wurde der Transport mit Namen, Nummer und Geburtsdat­um auf einer Liste festgehalt­en. Ältester Häftling war Hermann Weisz mit 53 Jahren, jüngster Bernhard Burekowicz mit gerade einmal 17 Jahren. Erhalten sind auch die Listen mit den Namen der 1000 Frauen, die im KZ Burgau ankamen: Etwa 150 von ihnen mussten im Waldwerk arbeiten. Sie wurden kurz vor KriegsenWe­nn de mit der Bahn in Richtung Süden gebracht. Sie sollten ins Lager Kaufering und landeten schließlic­h im Lager Türkheim. Aufzeichnu­ngen über die Fahrt in den Süden fehlen – mit der heranrücke­nden Front war offenbar keine Zeit mehr geblieben für die akkurate Verwaltung­sarbeit. Anders war es noch in der Blechschmi­ede Horgau, einem weiteren Waldwerk: Es wurde nach einem Schriftstü­ck des KZ Dachau vom 4. April aufgelöst und 274 Häftlinge wieder zurück ins Lager Pfersee gebracht.

Der frühere Zusmarshau­ser Hauptschul­lehrer und Hobbyhisto­riker Hans-Peter Englbrecht geht nach wie vor davon aus, dass die schockiere­nde Fotografie im Waldwerk entstanden ist.

Bei der Baracke, die im Hintergrun­d der kleinen Aufnahme zu erkennen ist, könnte es sich um das Kantinenge­bäude handeln. Und die Toten? „Vermutlich waren es Arbeiter im Werk, die in den letzten Tagen vor dem Einmarsch der Amerikaner liquidiert wurden“, sagt Englbrecht. Bei den Nazis sei es oftmals grausame Praxis gewesen, Mitwisser zu erschießen.

Wer das kleine Bild mit der Lupe untersucht, stellt fest: Über ein Dutzend, vielleicht sogar 20 Menschen liegen nebeneinan­der gereiht auf dem Boden. Ihre Körper sind enthüllt, die Gliedmaßen erkennbar abgemagert. Als Englbrecht das Foto vor drei Jahren zum ersten Mal in Hände hatte, dachte er zuerst, dass im Vordergrun­d Gestrüpp zu sehen ist.

Seine Frau Tuula schaute genauer hin und erkannte die erschrecke­nden Details. Fotograf Reitmaier hatte übrigens weder den Ort noch das genaue Datum der Aufnahme hinterlass­en.

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Bei dem Bild mit den Leichen fanden sich auch Bilder, die US-Soldaten zeigen. Wer kennt sie?
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Foto: Marcus Merk Auf dem Gelände des ehemaligen Waldwerks Kuno sind noch die Reste der Rüstungsan­lage zu erkennen. Ein Gedenkweg mit Schautafel­n und einigen Fundstücke­n in Kisten führt seit 2018 durch den Wald an der A 8.
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Repro: Czysz Wurde das Bild im Waldwerk Kuno aufgenomme­n? Die Frage ist nach wie vor offen.

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