Mozart, ungesüßt und unvollendet
In lichtem Ton glänzte Wolfgang Amadeus Mozarts c-Moll Messe in der Burgauer Stadtpfarrkirche
Burgau Schon eigenartig, welch drastische Marksteine so manchen Werken von Weltbedeutung vorausgehen. Tatort Salzburg im Jahre 1782. Der 26-jährige Wolfgang Amadé Mozart betitelt, heimlich zwar aber unmissverständlich, seinen erzbischöflichen Arbeitgeber als „Erzlümmel“, bekommt dafür von ihm einen „Tritt im Arsch“, der ihn bis nach Wien befördert. Quasi ein Abschiedsgeschenk, denn dort setzt es das Junggenie in befreienden Arbeitseifer um, unter anderem für zwei Werke, eingefärbt in das dramatisch dunkelwarme Pathos, das der Tonart c-Moll anhaftet: ein „Adagio und Fuge“und eine unvollendete „Große Messe in c-Moll“. Beides brachte der Burgauer Kammerchor unter Herwig Nerdinger zu konzertant sonntäglichem Gehör.
Deutlich herauszuhören aus der knapp achtminütigen Fuge mit vorausgehendem Adagio (KV 546), die vom Geist Bachs und seiner Söhne geprägte, kontemplativ reich ausziselierte polyfone Spannkraft. Die in dissonantem Klanggebaren fugentechnisch durchgebildeten und durchdeklinierten Variationen, Spiegelungen, auf den Kopf gestellten Umkehrungen und gebrochenen Seufzerfiguren, vom orchestral erdig-ätherischen Stimmungsbild der Sinfonietta Lamagna, in harmonisch gemäßigtem Tempo, mit barocknahem Spirit eingefärbt.
Geradezu ins Mysteriöse hinein verdunkelt bleibt die Entstehungsgeschichte von Mozarts c-Moll Messe (KV 427). War sie Erfüllung eines vorehelichen Gelöbnisses, „ganz vür sich in seinem Herzen“? Oder ein Versöhnungsbemühen mit Vater Leopold? Und warum blieb sie unvollendet, ein Fragment? Vollendet sind nur Kyrie und Gloria. Teilweise fertiggestellt das Credo und Benedictus. Sanctus und Hosanna basieren auf lediglich fünf Stimmen. Der Schlussteil des Credo und das Agnus Dei fehlen ganz. Wäre die Missa in c vom Umfang her zu großformatig für den liturgischen Gebrauch geworden? Waren die rigorosen Einschränkungen Kaiser
Josephs II. für kirchliches Musikschaffen ausschlaggebend? Man weiß es nicht. Vermutlich wird dies auch für immer im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben.
Vielfach schon wurde der Versuch unternommen, aus der unvollendeten eine irgendwie geartete vollendete Messe zu schaffen. Herwig Nerdinger entschied sich für das „Original“, auf die allein von Mozart komponierte Vorlage, ohne angestückelt ergänzende Messteile. Und er tat gut daran. Stellte Mozarts grandiosen Torso „unverwässert“, mit musikalischer Intelligenz und sprühender Vitalität auf konzertant nichtliturgisches Terrain. Trotz ihres barockisierenden Charakters gilt die c-Moll Messe als Mozarts bedeutendste Messvertonung. Ein Werk des „gereiften“Meisters. Nie zuvor hatte er ein Kyrie mit solch orchestral hochexpressivem Einleitungsteil komponiert, mit solch erregter Bekundung von Qual, Schmerz und Angst im Eröffnungschor. Bitternisgetränkte Sinn- und Seelensuche, mit einem chorgestützten Sopransolo, vermutlich auf Ehefrau Constanze zugeschnitten, die es bei der Uraufführung 1783 gesungen hat. Nerdinger vermied jeglichen gefällig-gefühlig aufpolierten Banalitätsklang, jegliche romantisierende Mozartseligkeit (wie
Karajan sie herausgezuckerlte), stellte die musikalische Welt Mozarts ungesüßt und seine Musiksprache bruchlos, mit eingehender Transparenz und dramatischem Instinkt dar. Hielt die wie immer technisch blitzsauber und mit bestechend natürlichem Mozartgestus musizierende Sinfonietta Lamagna in temporeduziertem Moll-Duktus und seinen bestens präparierten, alle polyfonen Ausdruckshöhepunkte souverän beherrschenden Kammerchor im vokalen Geist des flehentlichen Bittens im Kyrie, wie auch des prunkenden Jubilierens in den klangmächtigen „Halleluja“- Anspielungen, im majestätisch auftrumpfenden „Qui tollis“oder der groß angelegten „Cum Sancto Spirito“-Fuge des Gloria.
Homogen ins Klangbild eingefügt die lyrisch in Herz und Gemüt einschleichenden Momente der beiden Solo-Sopranistinnen Priska Eser und Gabriele Weinfurter, im zutiefst innigen „Christe eleison“, im bravourösen „Laudamus te“oder dem weihnachtlich zum Himmel frömmelnden, kristallklar beseelten „Et incarnatus“, begleitet von pastoralem Parlando mit Flöte, Oboe und Fagott. Ergreifend. Den beiden männlichen Sängerkollegen Andreas Hirtreiter (Tenor) und Burkhard Mayer (Bass) gestand der Komponist, neben dem „Quoniam“-Terzett, lediglich den Einsatz im melismenverzierten Quartett des Benedictus zu. Beifallumrauschter, stehender Applaus eines zutiefst ergriffenen Publikums.