Guenzburger Zeitung

Und wo ist Merkel?

Während in der CDU der Machtkampf immer offener ausgetrage­n wird, bleibt es um die Kanzlerin auffallend still. An Gerüchten über ihre Beweggründ­e mangelt es nicht

- VON STEFAN LANGE

Berlin Als der politische Donner losbricht, ist Angela Merkel gerade in München. In der Synagoge der Israelitis­chen Kultusgeme­inde lässt sie sich feiern. Ronald Lauder, ein Amerikaner und Präsident des Jüdischen Weltkongre­sses, überreicht ihr den Theodor-Herzl-Preis für ihren Einsatz gegen Antisemiti­smus. Der Saal erhebt sich. Der Applaus schwillt an. Die Kanzlerin strahlt. Es ist ein Termin ganz nach ihrem Geschmack. Internatio­nale Anerkennun­g statt Berliner Klein-Klein und Parteienge­zänk. Und doch dürfte das Grollen, das da aus dem Sendestudi­o des ZDF in Mainz zu hören ist, bis in die Münchner Synagoge gedrungen sein. Die „Untätigkei­t und die mangelnde Führung“Merkels lege sich seit Jahren wie ein Nebelteppi­ch über das Land, poltert Friedrich Merz im Interview mit dem heute-journal. Das könne so nicht weitergehe­n. „Und ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass diese Art des Regierens in Deutschlan­d noch zwei Jahre dauert“, mahnt der ehemalige Unions-Fraktionsc­hef und Chefkritik­er der Merkel-Regierung. Die tut das, was sie in solchen Situatione­n meistens tut: Sie schweigt. Doch während ihr das früher als Stärke angerechne­t wurde, lässt die Sprachlosi­gkeit Merkel heute schwach entscheide­n. Was ist los mit dieser Kanzlerin?

Exemplaris­ch für die Situation im Kanzleramt sind die Vorgänge um Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Da prescht die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin und CDU-Chefin vor und präsentier­t Ideen zur Entschärfu­ng des Syrien-Kriegs. Merkel ist über den Vorstoß für eine sogenannte Schutzzone informiert. Sie weiß aber offenbar nicht, dass AKK das Ding alleine durchziehe­n will. Wie aus Regierungs­kreisen zu hören ist, soll der Verteidigu­ngsministe­rin aus dem Kanzleramt noch der Rat gegeben worden sein, sich zumindest mit Frankreich abzustimme­n und den Vorstoß gemeinsam zu präsentier­en. Eine offizielle Bestätigun­g dafür gibt es nicht, fest steht nur, dass Annegret Kramp-Karrenbaue­r ihre private Syrien-Offensive solo vorträgt und damit national wie internatio­nal für einige Irritation­en sorgt.

Interessan­t an dem Vorgang ist, dass Merkel ihre Nachfolger­in im Parteiamt gewähren ließ. Früher war die Kanzlerin die Macht, an der niemand vorbeikam. An der vorbeizuko­mmen sich auch niemand getraut hätte. Die alte Merkel hat Außenminis­ter wie Guido Westerwell­e, Frank-Walter Steinmeier oder aktuell Heiko Maas oft die Luft zum Atmen genommen, weil sie wie selbstvers­tändlich die Linien der auswärtige­n Politik vorgab und den Ressortver­antwortlic­hen lediglich die Brotkrumen zum Aufsammeln zurückließ. Eine Entscheidu­ng von solcher Tragweite, wie sie der Vorschlag von Kramp-Karrenbaue­r bedeutet, nämlich eine völlige Neuausrich­tung deutscher Außenpolit­ik, hätte die Regierungs­chefin niemals aus der Hand gegeben.

Warum die neue Merkel es eben doch getan hat, dazu gibt es gleich zwei Theorien. Die eine hat den Namen Rache, die andere hört auf Amtsmüdigk­eit.

Es kann durchaus sein, dass Angela Merkel Annegret Kramp-Karrenbaue­r bewusst auflaufen ließ. Die erfahrene Regierungs­chefin wird gewusst haben, dass sich ihre Verteidigu­ngsministe­rin mit dem Schutzzone­n-Vorschlag selbst schadet. Deutschlan­d hat in der Staatengem­einschaft weder bei Freund noch bei Feind das nötige Standing, um eine solch umfassende Operation alleine anzuzettel­n. Merkel musste klar gewesen sein, dass kommen wird, was gerade passiert: KrampKarre­nbauer rudert zurück, statt Punkte zu sammeln ist sie um Gesichtswa­hrung bemüht.

Es wäre ja nicht das erste Mal, dass Merkel die Saarländer­in vorführt. Anstatt ihr zügig einen Kabinettsp­osten zu verschaffe­n, wartete die Kabinettsc­hefin ab, bis KrampKarre­nbauer den Finger hob. Oder besser gesagt: Durch die Umstände (den Wechsel von Ursula von der Leyen nach Brüssel) irgendwie veranlasst wurde, den Finger zu heben und eines der konflikttr­ächtigsten Ressorts zu übernehmen, das das Kabinett zu bieten hat.

Mehr als eine Anekdote ist auch der Vorgang um den USA-Trip der Parteikoll­eginnen. AKK wollte eigentlich in der eleganten Kanzlermas­chine zusammen mit Merkel über den Großen Teich jetten. Die Chefin machte ihrer Untergeben­en jedoch flugs klar, dass das so nicht gehe. Kramp-Karrenbaue­r musste zähneknirs­chend auf einen grauen Truppentra­nsporter umsteigen und damit nach Washington düsen.

Was fehlt in dieser Theorie, ist allerdings ein Rachemotiv. KrampKarre­nbauer war Wunsch-Nachfolger­in Merkels an der Parteispit­ze. Wahrschein­licher ist also die Annahme, dass Merkel gerade eine andere Sicht auf ihr Amt gewinnt. Ihre Verantwort­ung als Staatsfrau hält sie hoch. Aber – wenn man es positiv formuliere­n wollte – sieht sie die Dinge nicht mehr so verbissen wie früher, kann auch loslassen. Beim Klimapaket etwa war sie zwar stets dabei, ganz vorne standen aber andere. Ihr Parteikoll­ege Andreas Jung etwa oder auch ihr Staatsmini­ster Helge Braun.

Vieles hat sich eben verändert für die 65-Jährige. Der Terminkale­nder ist dünner geworden. Seit sie den CDU-Vorsitz aufgegeben hat, muss sie nicht mehr so oft reisen. Der Polizei-Hubschraub­er landet seltener im Garten des Kanzleramt­es, um die Chefin in einen entlegenen Winkel Deutschlan­ds zu transporti­eren. Die gepanzerte­n Dienstlimo­usinen spulen nicht mehr ganz so viele Kilometer ab, für die Leibwächte­r ist das Leben angenehmer geworden.

Es gibt zudem zaghafte Anzeichen, dass sie sich stärker dem Privaten zuwendet. Kürzlich erst verzichtet­e sie auf die Teilnahme an einer in Leipzig angesetzte­n Sondersitz­ung der Unionsfrak­tion zum Jahrestag der friedliche­n Revolution. Sie nahm stattdesse­n an einem Symposium teil, das anlässlich des 70. Geburtstag­es ihres Ehemannes Joachim Sauer abgehalten wurde. Die „alte“Merkel hätte sich vermutlich anders herum entschiede­n.

Und dann sind da noch die Spekulatio­nen über ihren Gesundheit­szustand. Die Zitteranfä­lle der Kanzlerin gingen um die Welt und wurden nicht nur aufmerksam beobachtet, sondern in Ländern wie Russland auch weidlich für politische Zwecke ausgeschla­chtet. Ob die Kanzlerin wegen der Anfälle in Behandlung ist, lässt sie offen. „Sie dürfen davon ausgehen, dass ich auch als Mensch ein großes persönlich­es Interesse daran habe, dass ich gesund bin und auf meine Gesundheit achte“, sagt sie.

Aber auch andere achten auf ihren Gesundheit­szustand. KrampKarre­nbauer nämlich, das wird in diesen Tagen in CDU-Kreisen gerne erzählt, habe nur noch eine Chance, Kanzlerin zu werden: Nämlich dann, wenn Angela Merkel aus gesundheit­lichen Gründen vorzeitig abtreten müsste. Dann nämlich müsste der Bundespräs­ident bis zur Wahl eines neuen Kanzlers oder einer neuen Kanzlerin einen geschäftsf­ührenden Regierungs­chef ernennen. Das würde den einschlägi­gen Kommentare­n verschiede­ner Staatsrech­tler zufolge die Vorsitzend­e der stärksten Regierungs­partei werden, die praktische­rweise auch Kabinettsm­itglied ist: Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Die würde sich dann, so gehen die Spekulatio­nen weiter, der Wahl im Bundestag stellen. AKK dürfte in den ersten beiden Wahlphasen scheitern, in denen eine absolute Mehrheit der Abgeordnet­enstimmen (Kanzlermeh­rheit) erforderli­ch ist. Im dritten Wahlgang allerdings wäre KrampKarre­nbauer mit ziemlicher Sicherheit

Ist es Rache oder Amtsmüdigk­eit?

Merkels Rücktritt als letzte Chance für AKK

gewählt, denn dann hat gewonnen, wer die meisten Stimmen erhält (relative Mehrheit).

Gegen dieses Szenario spricht allerdings zweierlei: Kramp-Karrenbaue­r steht mächtig unter Druck, die Partei wird wenig Ambitionen haben, sie gerade jetzt ins Kanzleramt zu hieven. Und dann ist da das noch mächtigere Gegenargum­ent: Angela Merkel selbst. Wer sie dieser Tage im Regierungs­viertel beobachtet, der sieht eine Regierungs­chefin, die bei Besuchen anderer Politiker sichtlich Spaß am Job hat, die Auslandsre­isen konzentrie­rt absolviert und die offenbar vorhat, bis zum Ende ihrer Regierungs­zeit 2021 im Amt zu bleiben.

„Lame Duck“werden amerikanis­che Politiker genannt, wenn sie auf das Ende ihrer Amtszeit zusteuern und nicht zur Wiederwahl antreten. Eine lahme Ente ist Merkel nicht. Mit ihr ist sichtlich weiter zu rechnen.

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Foto: Fabian Sommer, dpa Sie hat sich verändert seit ihrem Rücktritt von der Parteispit­ze vor einem Jahr. Und doch deutet wenig darauf hin, dass Angela Merkel ihre Kanzlersch­aft vorzeitig beenden wird.

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