Die Angst der Schiedsrichter
Prügelattacken und Anfeindungen lassen die Lust auf das Amt rapide sinken
Berlin Der Fußball schlägt Alarm: Die brutale Prügelattacke bei einem hessischen Kreisligaspiel hat die Dauerdiskussion um die Sicherheit der Amateur-Schiedsrichter noch einmal angefacht. Nach zunehmenden verbalen und körperlichen Angriffen haben viele ehrenamtliche Referees null Bock auf die Pfeife, seit 2011 geht die Gesamtzahl der Unparteiischen in Deutschland drastisch zurück. Viele Schiedsrichter geben auf, sie wollen sich nicht von Spielern oder Zuschauern anpöbeln lassen. Auch Freizeit und Ehrenamt – das passt für junge Menschen oft nicht mehr zusammen.
Am vergangenen Wochenende streikten die Berliner Schiedsrichter, ab der 6. Liga fand keine Partie statt. Unterdessen hat sich die Mannschaft des FSV Münster nach der Prügelattacke gegen den Schiedsrichter aus dem laufenden Spielbetrieb abgemeldet. Nach übereinstimmenden Medienberichten zieht der hessische KreisligaKlub damit die Konsequenzen aus dem Vorfall vom Wochenende, der bundesweit für Aufsehen sorgte.
Zudem erhält der Spieler nach Angaben des Vereinsvorsitzenden Hans-Peter Samoschkoff ein lebenslanges Hausverbot. „Außerhalb des Platzes sind sie alle ganz okay“, sagte Samoschkoff der Bild. „Aber auf dem Spielfeld geht eine Lampe aus.“
Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) forderte eine lebenslange Sperre für Täter, die Referees bewusstlos prügeln. Der 22 Jahre alte Unparteiische war am Sonntag in der Partie Münster gegen TV Semd in der C-Liga Dieburg von einem Spieler der Gastgeber bewusstlos geschlagen worden und musste mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus geflogen werden.
Das Problem bei den Schiedsrichtern in den unteren Klassen ist nicht deren Gewinnung – doch viele geben das Ehrenamt nach kurzer Zeit frustriert wieder auf. „Wir haben eine hohe Abbrecherquote – darunter viele Schiedsrichterkolleginnen und -kollegen, die in ihrer Anfangszeit so schlechte Erfahrungen machen, dass sie die Lust am Pfeifen schnell wieder verlieren und aufhören“, sagte Norbert Richter, Vorsitzender des Schiedsrichterausschusses im schleswig-holsteinischen Fußball-Verband. Auch in Bayern gibt es diesen „PraxisSchock“, die Gewinnung von Schiedsrichtern ist nicht das Hauptproblem. Die Anmeldungen für Neulingskurse seien stabil. „Allerdings ist die Absprungquote nach bestandener Prüfung und den ersten Einsätzen relativ hoch“, teilte die Pressestelle des Bayerischen Fußball Verbands (BFV) am Dienstag mit. „Ohne Frage tragen Vorfälle wie zuletzt in Hessen dazu bei, dass es noch schwieriger wird, Menschen für das Schiedsrichterwesen zu begeistern.“Deswegen intensiviert der Verband das Projekt „Tandem-Schiedsrichter“: Ein erfahrener Referee steht da mit dem Neuling bei dessen erstem Match gemeinsam auf dem Platz.
Ob Gewalt oder Drohungen signifikant dazu beigetragen haben, dass die Gesamtzahl der Schiedsrichter in Deutschland seit 2011 drastisch zurückging, lässt sich nicht belegen. Die Statistik spricht dennoch Bände: Gab es am 1. Januar 2011 laut DFB 78 455 Schiris, so waren es am 1. Januar 2015 noch 71 521 und am Ende der Saison 2015/16 nur noch 59482. Mit Stichtag 30. Juni 2019 haben nur noch 56680 Unparteiische gepfiffen, ein Verlust von fast 22000 Schiedsrichtern in gut acht Jahren.