Aus Chile nach Ursberg
Paulina Candia lebt und arbeitet in Ursberg. Nebenbei geht die Handballerin für den TSV Niederraunau auf Torejagd. Wie es die Chilenin hierher verschlug und was sie an Bayern liebt
Ursberg/Niederraunau Pauli ist ein riesiger Bayern-Fan. Also des Bundeslandes, nicht des Fußballvereins. Sie isst für ihr Leben gerne Brezen, war schon im Dirndl auf dem Oktoberfest und findet überhaupt: „Das ist einfach das beste Bundesland.“Dabei hat Paulina Constanza Candia, genannt Pauli, erst Anfang des Jahres zum ersten Mal bayerischen Boden betreten. Denn die 26-Jährige kommt aus Chile und lebt in Ursberg. Für sie ist es „eine zweite Heimat“, sagt sie. Wie hat sie sich so in Schwaben verliebt?
Das hat viel mit ihrer offenen Art zu tun. Die Chilenin, das merkt man im Gespräch schnell, packt die Dinge unvoreingenommen an. „Ich versuche, an neuen Sachen einfach Spaß zu haben. Ich denke mir dann: ,Ich muss das jetzt machen’.“Schließlich habe sie sich mit dem Entschluss, nach Deutschland zu kommen, auch persönlich weiterentwickeln wollen.
Das zumindest war eines der Ziele, als Candia sich vor etwa zwei Jahren für ein Freiwilligen-Austauschprogramm bewarb. Über deutsche Freiwillige, die in ihrer Heimatstadt Los Ángeles in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung arbeiteten, kam der Kontakt zum Programm „Weltwärts“zustande. Unter dem Dach des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und lokaler Träger werden junge Erwachsene für eine bestimmte Zeit ins Ausland geschickt – oder eben auch nach Deutschland geholt.
Und so landete Candia im Januar, gemeinsam mit drei weiteren Chilenen, am Münchner Flughafen. In der Region ist die Diözese Augsburg für den Freiwilligendienst zuständig. Koordinatorin Sonja Treffler hat im vergangenen Jahr bereits zwei Peruaner begleitet, die in Ursberg gearbeitet haben. „Ursberg ist für uns ideal, weil wir hier neben einer Arbeitsstelle auch Apartments zur Verfügung stellen können.“An vielen anderen Standorten müssten für die Freiwilligen erst Gastfamilien gefunden werden.
Für die Neuen organisiert die Diözese zunächst einen vierwöchigen Intensiv-Sprachkurs in Augsburg. „Es hat sich bewährt, dass sie sich so erst einmal an das neue Land, die neue Kultur und auch die Sprache gewöhnen können, bevor sie mit der Arbeit beginnen“, sagt Treffler.
Auch Paulina Candia kam praktisch ohne Deutschkenntnisse hierher. Wenn sie so auf Deutsch über ihr Leben plaudert, würde man das aber nicht vermuten. Sogar einen schwäbischen Einschlag hat die Chilenin mittlerweile entwickelt. Dabei war der Wechsel nach dem Sprachkurs von Augsburg nach Ursberg auch für sie wie ein zweiter kleiner Kulturschock. „Ich kam aus Chile, da war es Sommer, in den Winter in Deutschland. Und dann Ursberg. So einen Ort wie diesen gibt es in Chile nicht.“
Dass praktisch ein ganzes Dorf auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingerichtet ist, war für sie etwas komplett Neues. Und auch die Arbeit mit diesen Menschen musste die 26-Jährige erst lernen. Denn in Chile hatte sie als Steuerberaterin und Buchhalterin gearbeitet, bevor sie sich dazu entschied, etwas radikal Neues zu versuchen.
In Ursberg arbeitet sie nun in der „Wohngruppe Alfons“, wo sie für die Betreuung der Bewohner zuständig ist. Sie gibt ihnen Medikamente, isst mit ihnen, gemeinsam machen sie Ausflüge und gehen oft spazieren. „Es macht immer Spaß, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten. Sie freuen sich über die einfachsten Dinge und genießen jeden Moment. Und wir haben ein gutes Team, von dem ich schon viel gelernt habe.“
Heimweh hat die Chilenin kaum, auch wenn sie die politischen Unruhen in ihrem Heimatland derzeit stark beschäftigen. Dass Ursberg aber mittlerweile zweite Heimat geworden ist, liegt auch daran, dass sie ihre zwei großen Lieben nach Deutschland mitgebracht hat. Zum einen ihren Freund Kevin, der mit ihr gemeinsam das Freiwilligenjahr in Ursberg macht. Und zum anderen den Handball.
Angefangen hat es mit 16 Jahren in der Schule. Seit März geht die zierliche Linksaußen-Spielerin nun für die Damen des TSV Niederraunau in der Bezirksliga auf Torejagd. „Handball ist mir sehr wichtig. In der Universität hatte ich mit Depressionen zu kämpfen. Der Handball hat mir geholfen. Er ist wie eine Therapie für mich.“Und während sie von ihrer Heimatstadt zum Training in die Universitätsstadt Concepción noch zwei Stunden brauchte, ist nun das dienstägliche Training im Krumbacher Schulzentrum nur noch eine Busfahrt entfernt. Einziger Nachteil: Es kam schon vor, dass Candia von Krumbach nach Ursberg laufen musste, weil einfach kein Bus mehr fuhr.
Und wenn der Südamerikanerin aus der 150000-Einwohner-Stadt das Dörfchen Ursberg doch einmal zu klein wird (Zitat: „Hier ist es viel zu ruhig!“), geht sie eben auf Reisen quer durch Europa. Niederlande, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Tschechien, Polen, Ungarn, Kroatien, Griechenland – die 26-Jährige ist schon sehr viel rumgekommen. „Und überall triffst du einen Chilenen“, erzählt sie lachend.
Paulina Candia wird noch weitere Gelegenheiten haben, herumzureisen. Ihr Aufenthalt im Rahmen des Freiwilligendienstes wurde bereits um sechs Monate verlängert. „Am liebsten würden wir sie einstellen“, heißt es vom Dominikus-RingeisenWerk. Tatsächlich kann sich die Chilenin vorstellen, später einmal nach Deutschland zurückzukehren. Vielleicht im Rahmen eines Masterstudiums. Eines ist aber klar: „Wenn, dann nur nach Bayern.“