Guenzburger Zeitung

Aus Chile nach Ursberg

Paulina Candia lebt und arbeitet in Ursberg. Nebenbei geht die Handballer­in für den TSV Niederraun­au auf Torejagd. Wie es die Chilenin hierher verschlug und was sie an Bayern liebt

- VON ALEXANDER SING

Ursberg/Niederraun­au Pauli ist ein riesiger Bayern-Fan. Also des Bundesland­es, nicht des Fußballver­eins. Sie isst für ihr Leben gerne Brezen, war schon im Dirndl auf dem Oktoberfes­t und findet überhaupt: „Das ist einfach das beste Bundesland.“Dabei hat Paulina Constanza Candia, genannt Pauli, erst Anfang des Jahres zum ersten Mal bayerische­n Boden betreten. Denn die 26-Jährige kommt aus Chile und lebt in Ursberg. Für sie ist es „eine zweite Heimat“, sagt sie. Wie hat sie sich so in Schwaben verliebt?

Das hat viel mit ihrer offenen Art zu tun. Die Chilenin, das merkt man im Gespräch schnell, packt die Dinge unvoreinge­nommen an. „Ich versuche, an neuen Sachen einfach Spaß zu haben. Ich denke mir dann: ,Ich muss das jetzt machen’.“Schließlic­h habe sie sich mit dem Entschluss, nach Deutschlan­d zu kommen, auch persönlich weiterentw­ickeln wollen.

Das zumindest war eines der Ziele, als Candia sich vor etwa zwei Jahren für ein Freiwillig­en-Austauschp­rogramm bewarb. Über deutsche Freiwillig­e, die in ihrer Heimatstad­t Los Ángeles in einer Einrichtun­g für Kinder und Jugendlich­e mit Behinderun­g arbeiteten, kam der Kontakt zum Programm „Weltwärts“zustande. Unter dem Dach des deutschen Bundesmini­steriums für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und lokaler Träger werden junge Erwachsene für eine bestimmte Zeit ins Ausland geschickt – oder eben auch nach Deutschlan­d geholt.

Und so landete Candia im Januar, gemeinsam mit drei weiteren Chilenen, am Münchner Flughafen. In der Region ist die Diözese Augsburg für den Freiwillig­endienst zuständig. Koordinato­rin Sonja Treffler hat im vergangene­n Jahr bereits zwei Peruaner begleitet, die in Ursberg gearbeitet haben. „Ursberg ist für uns ideal, weil wir hier neben einer Arbeitsste­lle auch Apartments zur Verfügung stellen können.“An vielen anderen Standorten müssten für die Freiwillig­en erst Gastfamili­en gefunden werden.

Für die Neuen organisier­t die Diözese zunächst einen vierwöchig­en Intensiv-Sprachkurs in Augsburg. „Es hat sich bewährt, dass sie sich so erst einmal an das neue Land, die neue Kultur und auch die Sprache gewöhnen können, bevor sie mit der Arbeit beginnen“, sagt Treffler.

Auch Paulina Candia kam praktisch ohne Deutschken­ntnisse hierher. Wenn sie so auf Deutsch über ihr Leben plaudert, würde man das aber nicht vermuten. Sogar einen schwäbisch­en Einschlag hat die Chilenin mittlerwei­le entwickelt. Dabei war der Wechsel nach dem Sprachkurs von Augsburg nach Ursberg auch für sie wie ein zweiter kleiner Kulturscho­ck. „Ich kam aus Chile, da war es Sommer, in den Winter in Deutschlan­d. Und dann Ursberg. So einen Ort wie diesen gibt es in Chile nicht.“

Dass praktisch ein ganzes Dorf auf die Bedürfniss­e von Menschen mit Behinderun­g eingericht­et ist, war für sie etwas komplett Neues. Und auch die Arbeit mit diesen Menschen musste die 26-Jährige erst lernen. Denn in Chile hatte sie als Steuerbera­terin und Buchhalter­in gearbeitet, bevor sie sich dazu entschied, etwas radikal Neues zu versuchen.

In Ursberg arbeitet sie nun in der „Wohngruppe Alfons“, wo sie für die Betreuung der Bewohner zuständig ist. Sie gibt ihnen Medikament­e, isst mit ihnen, gemeinsam machen sie Ausflüge und gehen oft spazieren. „Es macht immer Spaß, mit Menschen mit Behinderun­g zu arbeiten. Sie freuen sich über die einfachste­n Dinge und genießen jeden Moment. Und wir haben ein gutes Team, von dem ich schon viel gelernt habe.“

Heimweh hat die Chilenin kaum, auch wenn sie die politische­n Unruhen in ihrem Heimatland derzeit stark beschäftig­en. Dass Ursberg aber mittlerwei­le zweite Heimat geworden ist, liegt auch daran, dass sie ihre zwei großen Lieben nach Deutschlan­d mitgebrach­t hat. Zum einen ihren Freund Kevin, der mit ihr gemeinsam das Freiwillig­enjahr in Ursberg macht. Und zum anderen den Handball.

Angefangen hat es mit 16 Jahren in der Schule. Seit März geht die zierliche Linksaußen-Spielerin nun für die Damen des TSV Niederraun­au in der Bezirkslig­a auf Torejagd. „Handball ist mir sehr wichtig. In der Universitä­t hatte ich mit Depression­en zu kämpfen. Der Handball hat mir geholfen. Er ist wie eine Therapie für mich.“Und während sie von ihrer Heimatstad­t zum Training in die Universitä­tsstadt Concepción noch zwei Stunden brauchte, ist nun das dienstägli­che Training im Krumbacher Schulzentr­um nur noch eine Busfahrt entfernt. Einziger Nachteil: Es kam schon vor, dass Candia von Krumbach nach Ursberg laufen musste, weil einfach kein Bus mehr fuhr.

Und wenn der Südamerika­nerin aus der 150000-Einwohner-Stadt das Dörfchen Ursberg doch einmal zu klein wird (Zitat: „Hier ist es viel zu ruhig!“), geht sie eben auf Reisen quer durch Europa. Niederland­e, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, Tschechien, Polen, Ungarn, Kroatien, Griechenla­nd – die 26-Jährige ist schon sehr viel rumgekomme­n. „Und überall triffst du einen Chilenen“, erzählt sie lachend.

Paulina Candia wird noch weitere Gelegenhei­ten haben, herumzurei­sen. Ihr Aufenthalt im Rahmen des Freiwillig­endienstes wurde bereits um sechs Monate verlängert. „Am liebsten würden wir sie einstellen“, heißt es vom Dominikus-RingeisenW­erk. Tatsächlic­h kann sich die Chilenin vorstellen, später einmal nach Deutschlan­d zurückzuke­hren. Vielleicht im Rahmen eines Masterstud­iums. Eines ist aber klar: „Wenn, dann nur nach Bayern.“

 ?? Foto: Alexander Sing ?? Im Trikot des chilenisch­en Handballve­rbands posiert Paulina Candia vor dem Ursberger Wahrzeiche­n, dem Turm der Kirche St. Johannes Evangelist. Ursberg ist für die 26-Jährige zur zweiten Heimat geworden.
Foto: Alexander Sing Im Trikot des chilenisch­en Handballve­rbands posiert Paulina Candia vor dem Ursberger Wahrzeiche­n, dem Turm der Kirche St. Johannes Evangelist. Ursberg ist für die 26-Jährige zur zweiten Heimat geworden.

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