Justiz: Was ein junger Mann alles auf dem Kerbholz hat
21-Jähriger muss sich vor dem Jugendschöffengericht in Günzburg verantworten. Allein die Verlesung der Anklageschrift dauert über eine halbe Stunde. Für welche Straftaten der Angeklagte mehr als zwei Jahre ins Gefängnis soll
Er lebte jahrelang auf großem Fuß, obwohl er kein Geld hatte. Wen und wie ein 21-Jähriger betrogen hat, erfahren Sie auf
Günzburg Der Angeklagte lebte offensichtlich nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“: In Augsburg stieg der 21-Jährige im Top-Hotel „Drei Mohren“ab und ließ es sich dort gut gehen. Bei einem renommierten Juwelier suchte sich der junge Mann eine Luxusuhr im Wert von 45000 Euro aus und bezahlte mit Scheckkarte. Die Uhr bekam er trotzdem nicht. Wegen einer ganzen Latte von Betrügereien mit einem Schaden von insgesamt fast 80000 Euro bekam der 21-Jährige jetzt von der Justiz die Quittung: Zwei Jahre und drei Monate soll er in ein Jugendgefängnis, so das Urteil des Günzburger Schöffengerichts.
Über eine halbe Stunde brauchte die Staatsanwältin für die Anklageschrift mit 31 Punkten. Vor etwa zweieinhalb Jahren, da war der junge Mann gerade erst 18, begann die unrühmliche Serie der Delikte. Zunächst noch relativ harmlos mit einem Paar Luxusschuhe, die er auf einer Gebrauchtwaren-Handelsplattform im Internet für 520 Euro orderte, aber nicht bezahlte. Dazu war der Angeklagte aus dem nördlichen Landkreis Günzburg auch kaum in der Lage, denn er hatte die Schule ohne Abschluss verlassen und schlug sich ohne Berufsausbildung mit Gelegenheitsjobs durch. Die Schuhe vertickte er wieder, weil er unter chronischem Geldmangel litt. Das hielt ihn nicht davon ab, auf großem Fuß zu leben. Ende April 2018 stieg er in Augsburg, wo er zeitweise mit seinen Eltern lebte, im Spitzenhotel Drei Mohren ab.
„Ich war damals obdachlos“, begründete der 21-Jährige vor Gericht diesen Aufenthalt. Der wurde mit Restaurantbesuchen und der Plünderung der Zimmerbar so richtig abgerundet. Die Rechnung über knapp 1300 Euro blieb unbeglichen. Besonders sauer stieß Walter Henle als Vorsitzendem des Jugendschöffengericht auf, dass der Angeklagte das Hotel nicht allein wegen eines Daches über dem Kopf genutzt hatte, sondern sich unter anderem auch ein Fläschchen Rotwein aus der
Zimmerbar zum Preis von 9,50 Euro gönnte: „So ein Getränk hätten sie in jedem Geschäft viel günstiger haben können“, sagte der Richter. Der Hotelaufenthalt sollte wohl noch besonders gekrönt werden. Bei einem bekannten Augsburger Juwelier suchte sich der 21-Jährige eine goldene Luxusuhr im Wert von 45000 Uhr aus, die er mit seiner Scheckkarte bezahlte. Glück für den Juwelier, dass er die Uhr nicht aushändigte, denn mangels Deckung erfolgte keine Zahlung.
Aber der Angeklagte ließ sich dadurch nicht entmutigen, sondern machte mit seinen Betrugsmanövern munter weiter. In Berlin lieh er sich eine teure Videokamera. Damit sollte ein Rapperstreifen gedreht werden, von dem sich der 21-Jährige den Durchbruch in der Musikszene versprach. Aus dem Karrieresprung wurde freilich nichts, denn in Berlin wurde die Kamera bei einem Sturm ramponiert, der Dreh fiel ins Wasser. Der Verleih blieb auf etwa 13000 Euro Schaden sitzen, denn Kamera samt Equipment wurde nicht zurückgegeben, sondern für viel weniger Geld weiterverkauft. Wie er zum Dreh nach Berlin gekommen sei, fragte ein Schöffe den Angeklagten, wenn er doch kein Geld hatte: „Mit Kumpels im Flixbus“, sagte der junge Mann. Ebenfalls in Augsburg mietete sich der junge Mann für sich und seine Freundin eine 90 Quadratmeter große Wohnung an, die Kaution wurde aber mangels Masse auf dem Konto nicht eingelöst. Erstaunlich war die Begründung, warum es denn so eine teure Wohnung sein musste: „Die sind leichter zu bekommen als billige“, sagte er auf Frage des Gerichts.
Die Karriere im Musikbusiness – bereits seit dem achten Lebensjahr sei er musikalisch engagiert, so der Angeklagte – sollte mit weiteren Aktionen gefördert werden: Eine Münchner Firma beauftragte er, ein Internet-Musikvideo zu produzieren. Kosten: knapp 27000 Euro. Hergestellt wurde es tatsächlich. Geld floss dafür jedoch nicht. Und für ein CD-Cover wollte der 21-Jährige unbedingt ein Fotoshooting mit lebenden Wölfen – das sollte offenbar richtig cool wirken. Der Fotograf blieb auf knapp 12000 Euro Produktionskosten sitzen.
In zahlreichen anderen Fällen hatte der Angeklagte zumeist teure Smartphones auf Internet-Plattformen angeboten, verkauft und das Geld kassiert, aber nie wirklich Ware versandt. Als Handlungen mit „krimineller Energie“warf Richter Henle dem jungen Mann vor, dass er im Netz sogenannte Dreiergeschäfte anbahnte, um sich Einnahmen zu verschaffen. „Den Trick hatte ich aus dem Internet“, bekannte der Angeklagte. Der funktioniert ungefähr so: A verkauft B angeblich ein Smartphone (das er aber nie an den Käufer schicken wird). B dagegen schickt an C das Geld für die georderte Ware. Mit dem Geld eines anderen begleicht A seine tatsächlichen Schulden (für was auch immer) bei C. Dieses Manöver gelang dem Angeklagten mehrfach. So kam er an teure Produkte, ohne dass er selbst zahlte.
Auf die schiefe Bahn war der 21-Jährige bereits drei Jahre zuvor geraten: Wegen Drogen, Körperverletzung und Betruges setzte es Jugendstrafen und einen Strafbefehl. Die Staatsanwältin beantragte angesichts der Vielzahl krimineller Delikte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.
Verteidigerin Cornelia McReady (Augsburg) verwies auf das umfangreiche Geständnis ihres Mandanten, der eine aufwendige Beweisaufnahme erspart habe. Sie hielt eine Jugendstrafe von zwei Jahren mit Bewährung für ausreichend. Für eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht wegen der erheblichen Entwicklungsverzögerung hatte auch Hannes Klampfl von der Jugendgerichtshilfe plädiert.
Eine Bewährung kam jedoch für das Jugendschöffengericht wegen der enorm hohen Schadenssumme nicht mehr in Frage – ohne Geständnis wären sogar vier Jahre Gefängnis möglich gewesen. Ob das Urteil Bestand hat, wird wohl erst die Berufungsverhandlung beim Landgericht Memmingen zeigen, denn der Angeklagte hat gegenüber unserer Zeitung Rechtsmittel angekündigt.
Er gab ein Musikvideo in Auftrag, zahlte aber nicht