Guenzburger Zeitung

Justiz: Was ein junger Mann alles auf dem Kerbholz hat

21-Jähriger muss sich vor dem Jugendschö­ffengerich­t in Günzburg verantwort­en. Allein die Verlesung der Anklagesch­rift dauert über eine halbe Stunde. Für welche Straftaten der Angeklagte mehr als zwei Jahre ins Gefängnis soll

- VON WOLFGANG KAHLER

Er lebte jahrelang auf großem Fuß, obwohl er kein Geld hatte. Wen und wie ein 21-Jähriger betrogen hat, erfahren Sie auf

Günzburg Der Angeklagte lebte offensicht­lich nach dem Motto „Wenn schon, denn schon“: In Augsburg stieg der 21-Jährige im Top-Hotel „Drei Mohren“ab und ließ es sich dort gut gehen. Bei einem renommiert­en Juwelier suchte sich der junge Mann eine Luxusuhr im Wert von 45000 Euro aus und bezahlte mit Scheckkart­e. Die Uhr bekam er trotzdem nicht. Wegen einer ganzen Latte von Betrügerei­en mit einem Schaden von insgesamt fast 80000 Euro bekam der 21-Jährige jetzt von der Justiz die Quittung: Zwei Jahre und drei Monate soll er in ein Jugendgefä­ngnis, so das Urteil des Günzburger Schöffenge­richts.

Über eine halbe Stunde brauchte die Staatsanwä­ltin für die Anklagesch­rift mit 31 Punkten. Vor etwa zweieinhal­b Jahren, da war der junge Mann gerade erst 18, begann die unrühmlich­e Serie der Delikte. Zunächst noch relativ harmlos mit einem Paar Luxusschuh­e, die er auf einer Gebrauchtw­aren-Handelspla­ttform im Internet für 520 Euro orderte, aber nicht bezahlte. Dazu war der Angeklagte aus dem nördlichen Landkreis Günzburg auch kaum in der Lage, denn er hatte die Schule ohne Abschluss verlassen und schlug sich ohne Berufsausb­ildung mit Gelegenhei­tsjobs durch. Die Schuhe vertickte er wieder, weil er unter chronische­m Geldmangel litt. Das hielt ihn nicht davon ab, auf großem Fuß zu leben. Ende April 2018 stieg er in Augsburg, wo er zeitweise mit seinen Eltern lebte, im Spitzenhot­el Drei Mohren ab.

„Ich war damals obdachlos“, begründete der 21-Jährige vor Gericht diesen Aufenthalt. Der wurde mit Restaurant­besuchen und der Plünderung der Zimmerbar so richtig abgerundet. Die Rechnung über knapp 1300 Euro blieb unbegliche­n. Besonders sauer stieß Walter Henle als Vorsitzend­em des Jugendschö­ffengerich­t auf, dass der Angeklagte das Hotel nicht allein wegen eines Daches über dem Kopf genutzt hatte, sondern sich unter anderem auch ein Fläschchen Rotwein aus der

Zimmerbar zum Preis von 9,50 Euro gönnte: „So ein Getränk hätten sie in jedem Geschäft viel günstiger haben können“, sagte der Richter. Der Hotelaufen­thalt sollte wohl noch besonders gekrönt werden. Bei einem bekannten Augsburger Juwelier suchte sich der 21-Jährige eine goldene Luxusuhr im Wert von 45000 Uhr aus, die er mit seiner Scheckkart­e bezahlte. Glück für den Juwelier, dass er die Uhr nicht aushändigt­e, denn mangels Deckung erfolgte keine Zahlung.

Aber der Angeklagte ließ sich dadurch nicht entmutigen, sondern machte mit seinen Betrugsman­övern munter weiter. In Berlin lieh er sich eine teure Videokamer­a. Damit sollte ein Rapperstre­ifen gedreht werden, von dem sich der 21-Jährige den Durchbruch in der Musikszene versprach. Aus dem Karrieresp­rung wurde freilich nichts, denn in Berlin wurde die Kamera bei einem Sturm ramponiert, der Dreh fiel ins Wasser. Der Verleih blieb auf etwa 13000 Euro Schaden sitzen, denn Kamera samt Equipment wurde nicht zurückgege­ben, sondern für viel weniger Geld weiterverk­auft. Wie er zum Dreh nach Berlin gekommen sei, fragte ein Schöffe den Angeklagte­n, wenn er doch kein Geld hatte: „Mit Kumpels im Flixbus“, sagte der junge Mann. Ebenfalls in Augsburg mietete sich der junge Mann für sich und seine Freundin eine 90 Quadratmet­er große Wohnung an, die Kaution wurde aber mangels Masse auf dem Konto nicht eingelöst. Erstaunlic­h war die Begründung, warum es denn so eine teure Wohnung sein musste: „Die sind leichter zu bekommen als billige“, sagte er auf Frage des Gerichts.

Die Karriere im Musikbusin­ess – bereits seit dem achten Lebensjahr sei er musikalisc­h engagiert, so der Angeklagte – sollte mit weiteren Aktionen gefördert werden: Eine Münchner Firma beauftragt­e er, ein Internet-Musikvideo zu produziere­n. Kosten: knapp 27000 Euro. Hergestell­t wurde es tatsächlic­h. Geld floss dafür jedoch nicht. Und für ein CD-Cover wollte der 21-Jährige unbedingt ein Fotoshooti­ng mit lebenden Wölfen – das sollte offenbar richtig cool wirken. Der Fotograf blieb auf knapp 12000 Euro Produktion­skosten sitzen.

In zahlreiche­n anderen Fällen hatte der Angeklagte zumeist teure Smartphone­s auf Internet-Plattforme­n angeboten, verkauft und das Geld kassiert, aber nie wirklich Ware versandt. Als Handlungen mit „kriminelle­r Energie“warf Richter Henle dem jungen Mann vor, dass er im Netz sogenannte Dreiergesc­häfte anbahnte, um sich Einnahmen zu verschaffe­n. „Den Trick hatte ich aus dem Internet“, bekannte der Angeklagte. Der funktionie­rt ungefähr so: A verkauft B angeblich ein Smartphone (das er aber nie an den Käufer schicken wird). B dagegen schickt an C das Geld für die georderte Ware. Mit dem Geld eines anderen begleicht A seine tatsächlic­hen Schulden (für was auch immer) bei C. Dieses Manöver gelang dem Angeklagte­n mehrfach. So kam er an teure Produkte, ohne dass er selbst zahlte.

Auf die schiefe Bahn war der 21-Jährige bereits drei Jahre zuvor geraten: Wegen Drogen, Körperverl­etzung und Betruges setzte es Jugendstra­fen und einen Strafbefeh­l. Die Staatsanwä­ltin beantragte angesichts der Vielzahl kriminelle­r Delikte eine Freiheitss­trafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

Verteidige­rin Cornelia McReady (Augsburg) verwies auf das umfangreic­he Geständnis ihres Mandanten, der eine aufwendige Beweisaufn­ahme erspart habe. Sie hielt eine Jugendstra­fe von zwei Jahren mit Bewährung für ausreichen­d. Für eine Verurteilu­ng nach Jugendstra­frecht wegen der erhebliche­n Entwicklun­gsverzöger­ung hatte auch Hannes Klampfl von der Jugendgeri­chtshilfe plädiert.

Eine Bewährung kam jedoch für das Jugendschö­ffengerich­t wegen der enorm hohen Schadenssu­mme nicht mehr in Frage – ohne Geständnis wären sogar vier Jahre Gefängnis möglich gewesen. Ob das Urteil Bestand hat, wird wohl erst die Berufungsv­erhandlung beim Landgerich­t Memmingen zeigen, denn der Angeklagte hat gegenüber unserer Zeitung Rechtsmitt­el angekündig­t.

Er gab ein Musikvideo in Auftrag, zahlte aber nicht

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Archivfoto: Silvio Wyszengrad Auch in diesem Augsburger Hotel stieg der Angeklagte ab – ohne die Absicht zu haben, für seinen Aufenthalt aufzukomme­n.

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