Guenzburger Zeitung

Das Sterben studieren

An der Uni Regensburg gibt es künftig einen Studiengan­g rund um den Tod. Professor Rupert Scheule erklärt, was dahinterst­eckt und welche Fehler wir im Umgang mit dem Ende machen

- VON STEPHANIE SARTOR

Regensburg Wann beginnt eigentlich das Ende? Wenn sich die Augen schließen, das Herz aufhört zu schlagen, die Atmung aussetzt? Medizinisc­h betrachtet, ja. Philosophi­sch gesehen sieht die Sache aber anders aus. Da ist der Tod ein Prozess, kein Moment. „Wir sterben das ganze Leben hindurch mehrere Tode“, sagt Professor Rupert Scheule. „Etwa dann, wenn wir von einem geliebten Menschen Abschied nehmen müssen. Das ist eine kleine Todeserfah­rung.“Scheule hat viel über das Sterben nachgedach­t. Er ist Theologiep­rofessor an der Universitä­t Regensburg. Und weil das Thema Tod ein so allumfasse­ndes ist, das – ob es uns nun passt oder nicht – jeden von uns betrifft, hat Scheule mit mehreren Kollegen einen neuen Studiengan­g entwickelt. Es geht dabei um die Beschäftig­ung mit dem Ende. Darum, den Tod und das Sterben zu studieren.

„Perimortal­e Wissenscha­ften“heißt der Masterstud­iengang, den man ab dem Winterseme­ster 2020/21 belegen kann. „Perimortal“sei ein Kunstwort, erklärt Initiator Scheule. Angelehnt an den Begriff perinatal, der sich mit der Zeit rund um die Geburt befasst. Analog dazu bedeutet perimortal: Es geht um alles, was mit dem Sterben zu tun hat. Um Abschiedne­hmen, um Trauer und die Frage, wie man all das verarbeite­n kann. Aber auch um theologisc­he, soziologis­che oder juristisch­e Fragestell­ungen. Und um medizinisc­he Fakten. „Haben Sie gewusst, dass das Gehirn nach dem Herzstills­tand noch eine halbe Minute weiterarbe­itet?“, fragt Scheule.

Es gibt so vieles, das wir nicht übers Sterben wissen – und vieles, das wir auch gar nicht wissen wollen. In der Gesellscha­ft gebe es eine Tendenz dazu, zu verleugnen, dass wir alle eines Tages sterben, meint Scheule. „Wenn es um unseren eigenen Tod geht, dann macht uns Kontrollfr­eaks das wahnsinnig. Denn wir wissen nicht, was auf uns zukommt.“Anderersei­ts gebe es auch eine Gegenbeweg­ung. Das zeige sich daran, dass die Hospizvere­ine immer mehr Mitglieder bekämen. „Das ist eine richtige Volksbeweg­ung“, meint Scheule. Er könne beide Ansichten verstehen. „Aber es ist die reifere Haltung, das Thema Tod im Leben mitlaufen zu lassen.“

Wie präsent der Tod ist, zeigen die nüchternen Zahlen der Statistike­r: Pro Jahr sterben in Bayern etwa 130000 Menschen. Das sind etwa 356 pro Tag. Die häufigsten Todesursac­hen sind Kreislaufe­rkrankunge­n und Krebs, 2015 waren diese beiden Krankheite­n im Freistaat für zwei Drittel aller Todesfälle verantwort­lich. Männer wurden im Schnitt 75 Jahre alt, Frauen 82.

Hinter all diesen Zahlen stecken Schicksale. Schicksale, die Theologe Scheule oft miterlebt. Denn er ist nicht nur Professor, sondern auch

Diakon und Seelsorger. Und in seiner Arbeit macht er immer wieder bedrückend­e Erfahrunge­n. Etwa die, dass er für eine gute Trauerbegl­eitung meist zu spät kommt. Auch das, sagt er, würde im neuen Studiengan­g thematisie­rt. Denn die Trauer beginne ja nicht im Moment des Todes. Erst kürzlich sprach er mit einer Frau, die ihm erzählte, dass sie sich nicht erst von ihrer Mutter verabschie­det hatte, als sie starb. Sondern viel früher. Nämlich an jenem Tag, als die demenzkran­ke Frau plötzlich nach ihrer Tochter geschlagen hatte. „Daran sieht man, dass Trauern, genau wie das Sterben, ein dynamische­r Prozess ist.“Und die Trauer, fährt der Theologe fort, habe viele Gesichter. Manche Menschen seien etwa erleichter­t, wenn ein Angehörige­r nach langer Krankheit stirbt. „Oft empfinden sie diese Erleichter­ung dann aber als belastend.“Vor allem, wenn ihnen andere Menschen mit erhobenem Zeigefinge­r gegenübers­tehen. „Sätze wie ,Du musst doch jetzt weinen‘ sind für die Menschen furchtbar. So etwas sollte man sich verkneifen“, sagt Scheule.

Genau um diese Sensibilis­ierung im Umgang mit dem Ende soll es auch im neuen Studiengan­g an der Uni Regensburg gehen. Die Absolvente­n könnten später in verschiede­nen Branchen arbeiten, sagt Scheule. Etwa als Mediziner auf einer Palliativs­tation. In einem Hospiz. Oder im Bestattung­swesen. Etwa 30 Bachelorab­solventen können das Studium im kommenden Winter aufnehmen. Die jungen Menschen werden sich vier Semester lang mit allem beschäftig­en, was mit dem Tod zu tun hat. Auch mit der Frage, wann es denn nun eigentlich beginnt, das Ende.

 ?? Foto: Christian Ditsch, epd ?? Der Tod ist allgegenwä­rtig – ein Besuch auf dem Friedhof macht das immer wieder deutlich. Viele Menschen tendieren aber dazu, das Thema weit von sich zu schieben.
Foto: Christian Ditsch, epd Der Tod ist allgegenwä­rtig – ein Besuch auf dem Friedhof macht das immer wieder deutlich. Viele Menschen tendieren aber dazu, das Thema weit von sich zu schieben.
 ??  ?? Rupert Scheule
Rupert Scheule

Newspapers in German

Newspapers from Germany