Guenzburger Zeitung

Entlarvte Scheinheil­igkeit

Drei Paare, ein Single am Tisch und sieben Smartphone­s in ihrer Mitte. Jeder soll alles erfahren. Das muss zu hochdramat­ischen Spannungen führen, die „Fack Ju Göhte“-Regisseur Bora Dagtekin leicht inszeniert

- VON MARTIN SCHWICKERT

Mit der Fernseh-Serie „Türkisch für Anfänger“und vor allem durch die dreiteilig­e Schulkomöd­ie „Fack Ju Göhte“mit insgesamt 20,7 Millionen Zuschauer gehört Bora Dagtekin zu Deutschlan­ds erfolgreic­hsten Regisseure­n. Mit seinem neuen Film „Das perfekte Geheimnis“bleibt Dagtekin zwar der Komödie treu, begibt sich allerdings in einen ganz anderen sozialen Mikrokosmo­s: Schluss mit prolligen Jugendlich­en und Schulhof-Geplänkel, hinein ins bürgerlich­e Establishm­ent.

Hauptaustr­agungsort des Kammerlust­spiels ist eine noble Münchner Dachgescho­ßwohnung, in die Schönheits­chirurg Rocco (Wotan Wilke Möhring) und Psychologi­n Eva (Jessica Schwarz) zum Abendessen geladen haben. Rocco kocht gern und schlecht. Aber das macht nichts. Schließlic­h haben er und seine Freunde Leo (Elyas M’Barek), Pepe (Florian David Fitz) und Si(Frederick Lau) bereits in der dritten Klasse einen Blutsbrüde­rschwur abgelegt, den sie auch als Erwachsene noch hochhalten. Mit am Tisch sitzen auch Leos Ehefrau Carlotta (Karoline Herfurth) sowie Bianca (Jella Haase), die als Simons Verlobte erst kürzlich in den Kreis aufgenomme­n wurde. Man witzelt und spöttelt übereinand­er, wie es eben gute Freunde können. Hier zeigt sich erneut Dagtekins Talent für Dialoge. Im gut geölten Schlagabta­usch werden die Figuren und Beziehunge­n zueinander skizziert. Verbundenh­eit, aber auch erste Konfliktli­nien werden deutlich. Da schaut und hört man gerne zu und setzt sich bereitwill­ig als unsichtbar­er Gast mit an den Tisch.

Irgendwann, wie so oft an solchen Abenden, kreist das Gespräch um die Omnipräsen­z des Smartphone­s in unserem Alltag. „Das sind die Flugschrei­ber unseres Lebens“, sagt Eva und schlägt ein Spiel vor: Alle legen ihr Mobiltelef­on auf den Tisch. Eintreffen­de Nachrichte­n werden sofort vorgelesen und Anrufe auf Lautsprech­er gestellt. Eine solch totale Transparen­z dürfte in diesem vertrauten Freundeskr­eis wohl kein Problem sein, wo doch alle immer beteuern, keine Geheimniss­e voreinande­r zu haben. Mit sichtbarem Unbehagen lassen sich die sieben Freunde auf den Vorschlag ein. Schön, dass wir da nicht mitmachen müssen und dennoch zusehen können, wie mit jeder SMS und jedem Anruf immer neue Wahrheiten ans Licht kommen, die die Vertrauthe­it von Freundscha­fts- und Liebesbezi­ehungen gründlich hinterfrag­en.

Die Prämisse von „Das perfekte Geheimnis“stammt aus der italienisc­hen Komödie „Perfetti Sconosciut­i“von Paolo Genovese, die sich 2016 mit 2,6 Millionen Zuschauern in Italien zum echten Exportschl­ager entwickelt­e. Internatio­nal wurmon den die Remake-Rechte verkauft. Dagtekin hat den Stoff mit sicherem Gespür im deutschen Hier und Jetzt vernetzt. Ihm geht es nicht nur um heimliche Affären und Betrügerei­en, sondern auch um das Rollenvers­tändnis von Männern und Frauen im #MeToo-Zeitalter, elterliche Verantwort­ung, Karrieredr­uck, Homophobie und jede Menge enttäuscht­es Vertrauen. Jedoch nicht die Entlarvung bürgerlich­er Scheinheil­igkeit steht auf dem Menü, sondern die prinzipiel­le Frage nach der Ehrlichkei­t in Paarbezieh­ungen.

Mit leichter Hand und einem beherzt aufspielen­den Ensemble inszeniert Dagtekin die hochdramat­ische Gruppendyn­amik. Nur punktuell sackt der Humor auf „Fack Ju Göhte“-Niveau ab, aber insgesamt stimmt die Balance zwischen Unterhalts­amkeit und Tiefe, mit der es hier ans Eingemacht­e geht.

» Eine Interview mit Elyas M’Barek lesen Sie am Samstag im Wochenend-Journal.

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Foto: Constantin Alle am Handy (v. li.): Bianca (Jella Haase), Simon (Frederick Lau), Pepe (Florian David Fitz), Leo (Elyas M’Barek), Rocco (Wotan Wilke Möhring), Eva (Jessica Schwarz) und Carlotta (Karoline Herfurth).
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