Gefühlte Wahrheiten
Meinungsfreiheit Wann der Siegeszug des Adjektivs „gefühlt“begann, weiß ich nicht. Es gibt Beispiele zuhauf, etwa aus dem Jahr 2012: „Sängerin meistert gefühlte drei Oktaven“. Immer wieder tat sich Die Zeit hervor: „Gefühlte Geschichte“(2004), „Die gefühlte Lücke“(2008), „Gefühlte Krise“(2010). Klassiker des Gefühlten sind „gefühlte Inflation“und „gefühlte Temperatur“. Aber bitte bringen
Sie mich jetzt nicht in die Verlegenheit, beides erklären zu müssen…
Einen Aufschwung erlebte das Adjektiv mit der Zunahme einer Polarisierung unserer Gesellschaft. So spielte mit Blick auf die „Flüchtlingskrise“stets die „gefühlte Kriminalität“eine Rolle. Und wie dem Wort „News“ein „Fake“angeklebt wurde, so wurde dem Wort „Wahrheit“ein „gefühlt“aufgezwungen. Mit Gefühlen wird Stimmung und Politik „gemacht“, im (politischen) Journalismus sollte daher mit
Gefühlen sehr vorsichtig umgegangen werden. Gerade wieder beliebt, besonders um die Landtagswahl in Thüringen herum, ist die „gefühlte Wahrheit“, dass es mit der Meinungsfreiheit in Deutschland nicht mehr weit her sei. Sagen etwa AfDPolitiker gerne in jedes Mikrofon, das ihnen vor die Nase gehalten wird. Oder schreiben Internetnutzer in sämtliche Kommentarspalten.
Das Problem daran: Gefühle sind eine bedeutende Form der Wahrnehmung. Mit Fakten ist schwer gegen sie anzukommen. Womit wir bei Journalisten wären: Die müssen Fakten recherchieren. Und dürfen nicht der Versuchung erliegen, mit „gefühlten Wahrheiten“um sich zu werfen. Leider haben in den letzten Jahren eine Reihe von Journalisten Gefallen daran gefunden und ein Geschäftsmodell daraus gemacht. In mir löst das ungute Gefühle aus.