Lieben und Leben im frühen 21. Jahrhundert
Die junge Sally Rooney mischt die englischsprachige Literaturwelt auf. Ist sie wirklich eine Sensation?
„Ein künftiger Klassiker!“– „Sally Rooney definiert eine Generation“– „Zeitlos… eine klassische Comingof-Age-Liebesgeschichte“… Über Seiten hinweg sind im Buch Auszüge aus den Hymnen abgedruckt, die von Kritikern auf dieses geschrieben wurden. Lob fürs Gelingen im literarischen Hochspannungsfeld, zugleich das Leben der Gegenwart einzufangen und über das Menschsein an sich zu erzählen. „Normal People“heißt der Roman, was wohl mit „Normale Leute“zu übersetzen wäre – aber bislang nicht ins Deutsche übertragen wurde. Sondern nur das zuvor ebenfalls gelobte Debüt „Conversations with Friends“, „Gespräche mit Freunden“.
Deren Autorin Sally Rooney ist 28 Jahre alt und wird bereits als „J.D. Salinger ihrer Generation“bezeichnet. Sie ist Irin und ein neuer Star der Literatur, deren Erfolg auch gleich bis in die USA und von da aus in alle Welt durchschlägt. Und natürlich, will man in diesen Zeiten fast sagen, wird ihr preisgekröntes Zweitwerk, „Normal People“, nun auch zur großen Fernsehserie.
Wer „Gespräche mit Freunden“liest, kann das alles nur bedingt begreifen. Zwar versteht es Sally Rooney in diesem Debüt, die Lebens- und Liebesumstände im 21. Jahrhundert mit ihrer Geschichte rund um die gut 20-jährige Frances zu spiegeln, während diese, in ihrer Lebens- und Liebeseinstellung alles andere als festgelegt, in eine Affäre mit einem elf Jahre älteren Mann rutscht. Sie variiert die klassischen Identitätskonflikte dieses Alters in ihrer aktuellen Ausprägung – samt Social-Media-Kommunikation und fraglichen Rollenbildern, samt einem neuen Realismus in der Work-Life-Balance, samt offenen Beziehungsmodellen und samt Referenzen an neue Heldinnen wie die Autorin Chris Kraus („I love Dick“) und die Filmemacherin Greta Gerwig („Frances Ha“, „Lady Bird“). Aber ein besonderer Funke, eine bezwingende Originalität Rooneys will sich dabei nicht so recht mitteilen. Wer nun aber zum
Vergleich „Normal People“im Original liest, erkennt den Unterschied. Hier steht mit Marianne eine noch jüngere Frau im Zentrum, am Übergang zum College und in eine facettenreiche Geschichte mit dem Mitschüler Connell verstrickt. Auch hier geht es um aktualisierte Abgründe des Ich-, des Menschseins – auch hier gegen Ende eskalierend in einer äußeren Urlaubsreise und balancierend auf einem inneren Grat der großen Freiheit, die bei aller Vernetzung allzu oft in Einsamkeit und Depression führt.
Den Unterschied aber macht der Ton. Denn im Original herrscht trotz aller bitteren Wendungen eine so lebendige Unmittelbarkeit und eine mitunter so beglückend kluge Leichtigkeit, dass von der so oft melodramatischen Wirkung im übersetzten Debüt nichts mehr bleibt – außer dem traurigen bis albernen
Pathos des wirklichen Lebens selbst. Und das, obwohl die deutsche Übersetzung doch von der versierten Autorin Zoë Beck stammt. Ihr ist zugutezuhalten: In „Gespräche mit Freunden“gibt es noch ungelenke Solo-Szenen voller Bedeutung und Larmoyanz, die sich Sally Rooney im zweiten, durch die doppelte Perspektive dynamischeren Werk zum Glück gespart hat. Aber ansonsten fehlt dem Werk im Deutschen eben das, was „Normal People“im Original“ausmacht: die Sprache. Sie prägt Leben und Lieben in der Kommunikationsgesellschaft heute – und die Literatur ja sowieso.
» Die Bücher
– Sally Rooney: Gespräche mit Freunden. Übersetzt von Zoë Beck, Luchterhand, 384 S., 20 ¤
– Sally Rooney: Normal People. Faber and Faber, 304 S., 8,99 ¤