Guenzburger Zeitung

Lieben und Leben im frühen 21. Jahrhunder­t

Die junge Sally Rooney mischt die englischsp­rachige Literaturw­elt auf. Ist sie wirklich eine Sensation?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

„Ein künftiger Klassiker!“– „Sally Rooney definiert eine Generation“– „Zeitlos… eine klassische Comingof-Age-Liebesgesc­hichte“… Über Seiten hinweg sind im Buch Auszüge aus den Hymnen abgedruckt, die von Kritikern auf dieses geschriebe­n wurden. Lob fürs Gelingen im literarisc­hen Hochspannu­ngsfeld, zugleich das Leben der Gegenwart einzufange­n und über das Menschsein an sich zu erzählen. „Normal People“heißt der Roman, was wohl mit „Normale Leute“zu übersetzen wäre – aber bislang nicht ins Deutsche übertragen wurde. Sondern nur das zuvor ebenfalls gelobte Debüt „Conversati­ons with Friends“, „Gespräche mit Freunden“.

Deren Autorin Sally Rooney ist 28 Jahre alt und wird bereits als „J.D. Salinger ihrer Generation“bezeichnet. Sie ist Irin und ein neuer Star der Literatur, deren Erfolg auch gleich bis in die USA und von da aus in alle Welt durchschlä­gt. Und natürlich, will man in diesen Zeiten fast sagen, wird ihr preisgekrö­ntes Zweitwerk, „Normal People“, nun auch zur großen Fernsehser­ie.

Wer „Gespräche mit Freunden“liest, kann das alles nur bedingt begreifen. Zwar versteht es Sally Rooney in diesem Debüt, die Lebens- und Liebesumst­ände im 21. Jahrhunder­t mit ihrer Geschichte rund um die gut 20-jährige Frances zu spiegeln, während diese, in ihrer Lebens- und Liebeseins­tellung alles andere als festgelegt, in eine Affäre mit einem elf Jahre älteren Mann rutscht. Sie variiert die klassische­n Identitäts­konflikte dieses Alters in ihrer aktuellen Ausprägung – samt Social-Media-Kommunikat­ion und fraglichen Rollenbild­ern, samt einem neuen Realismus in der Work-Life-Balance, samt offenen Beziehungs­modellen und samt Referenzen an neue Heldinnen wie die Autorin Chris Kraus („I love Dick“) und die Filmemache­rin Greta Gerwig („Frances Ha“, „Lady Bird“). Aber ein besonderer Funke, eine bezwingend­e Originalit­ät Rooneys will sich dabei nicht so recht mitteilen. Wer nun aber zum

Vergleich „Normal People“im Original liest, erkennt den Unterschie­d. Hier steht mit Marianne eine noch jüngere Frau im Zentrum, am Übergang zum College und in eine facettenre­iche Geschichte mit dem Mitschüler Connell verstrickt. Auch hier geht es um aktualisie­rte Abgründe des Ich-, des Menschsein­s – auch hier gegen Ende eskalieren­d in einer äußeren Urlaubsrei­se und balanciere­nd auf einem inneren Grat der großen Freiheit, die bei aller Vernetzung allzu oft in Einsamkeit und Depression führt.

Den Unterschie­d aber macht der Ton. Denn im Original herrscht trotz aller bitteren Wendungen eine so lebendige Unmittelba­rkeit und eine mitunter so beglückend kluge Leichtigke­it, dass von der so oft melodramat­ischen Wirkung im übersetzte­n Debüt nichts mehr bleibt – außer dem traurigen bis albernen

Pathos des wirklichen Lebens selbst. Und das, obwohl die deutsche Übersetzun­g doch von der versierten Autorin Zoë Beck stammt. Ihr ist zugutezuha­lten: In „Gespräche mit Freunden“gibt es noch ungelenke Solo-Szenen voller Bedeutung und Larmoyanz, die sich Sally Rooney im zweiten, durch die doppelte Perspektiv­e dynamische­ren Werk zum Glück gespart hat. Aber ansonsten fehlt dem Werk im Deutschen eben das, was „Normal People“im Original“ausmacht: die Sprache. Sie prägt Leben und Lieben in der Kommunikat­ionsgesell­schaft heute – und die Literatur ja sowieso.

» Die Bücher

– Sally Rooney: Gespräche mit Freunden. Übersetzt von Zoë Beck, Luchterhan­d, 384 S., 20 ¤

– Sally Rooney: Normal People. Faber and Faber, 304 S., 8,99 ¤

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Foto: Tristan Fewings, Getty

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