Guenzburger Zeitung

Welch eine Bescherung für die Briten

Mitten im Brexit-Schlamasse­l müssen sie schon wieder wählen. Die Chefs von Konservati­ven und Labour gehen dieses Risiko ein. Sie sind nun die Gejagten

- VON KATRIN PRIBYL kpry@augsburger-allgemeine.de

Zum dritten Mal nach 2015 und 2017 sind die abstimmung­smüden Briten bei den Neuwahlen im Dezember aufgerufen, über ein neues Parlament zu entscheide­n, weil sich eben jenes nicht auf einen Weg aus der BrexitKris­e einigen kann. Die Wahl war unausweich­lich. Eine Regierung ohne Mehrheit kann nicht arbeiten. Und die Opposition schaffte es nicht, sich auf einen Übergangsp­remier, den man nach einem Misstrauen­svotum hätte installier­en können, zu einigen. Stillstand war die Folge. Trotzdem blicken die Briten mit wenig Begeisteru­ng auf die Wahl in der Adventszei­t.

Die beiden Parteivors­itzenden, Boris Johnson bei den Tories und Jeremy Corbyn bei Labour, vertreten die jeweils extremen Flügel ihrer Parteien. Die moderate Mitte ist frustriert und fühlt sich politisch heimatlos. Wer taktisch abstimmen will, um den Brexit entweder vollzogen zu sehen oder aber ein zweites Referendum zu erzwingen, hat ebenfalls Probleme. Denn Corbyn und Johnson polarisier­en, sind – je nach Seite, auf der man in der Europafrag­e steht – nicht nur unbeliebt, sondern geradezu verhasst. Trotzdem wird einer von ihnen am Ende Premiermin­ister sein. Entweder der Brexit-Cheerleade­r Boris Johnson bleibt an der Macht, oder der Sozialist Jeremy Corbyn zieht in die Downing Street ein. Schöne Bescherung kurz vor Weihnachte­n – Großbritan­nien hätte wahrlich Besseres verdient.

Obwohl die Umfragen andeuten, dass die Konservati­ven unter Premiermin­ister Johnson eine absolute Mehrheit erreichen könnten, ist alles möglich und nichts vorhersehb­ar. Der Regierungs­chef – ganz Berufsopti­mist – präsentier­t sich selbstbewu­sst. Aber Neuwahlen bergen ein hohes Risiko für ihn. Bislang konnte er sich mit populistis­chen Slogans durch seine erst kurze Amtszeit schmuggeln und auf sein mantrahaft vorgetrage­nes Verspreche­n

setzen, das Land am 31. Oktober aus der EU zu führen. Das hat er bekanntlic­h gebrochen, wofür er selbstvers­tändlich das Unterhaus verantwort­lich macht. Schuld tragen im Boris-Johnson-Kosmos immer die anderen. Ob diese für die Gesellscha­ft toxische und sie weiter spaltende Strategie aufgeht?

Die europaskep­tischen Hardliner der Brexit-Partei – vorneweg deren Chef Nigel Farage – dürfte Johnson im Wahlkampf nicht nur mit Spott und Häme überschütt­en, sondern vor allem genüsslich an sein Scheitern erinnern, den Brexit bisher nicht über die Ziellinie gebracht zu haben. Das könnte den Premier wichtige Stimmen kosten.

Noch feuert ihn die mächtige europaskep­tische Presse an. Doch die Stimmung kann jederzeit kippen, wie bei Theresa May. Johnsons Vorgängeri­n hatte ebenfalls die konservati­ven Medien auf ihrer Seite – bis diese, nun ja, eben nicht mehr auf ihrer Seite standen und es schlichtwe­g hässlich wurde. Auch die Brexit-Ultras, die May schon brutal vorführten, verfahren schonungsl­os mit Vorsitzend­en, die nicht in ihrem Sinne liefern. Bislang hat Johnson vor allem viel geredet, Erfolge kann er keine vorweisen. Der Brexit-Deal liegt auf Eis.

Das noch größere Risiko geht aber Labour-Chef Jeremy Corbyn mit seiner Zustimmung zu Neuwahlen ein. Politisch Eingeweiht­e mögen die komplizier­te Position in Sachen Brexit mittlerwei­le verstehen, leicht zu erklären ist sie dem Volk insbesonde­re beim in Großbritan­nien traditione­llen Wahlkampf an der Tür keineswegs. Viel wahrschein­licher ist deshalb, dass die Sozialdemo­kraten den EUAustritt so gut wie möglich ausklammer­n und sich in ihrer Kampagne stattdesse­n auf soziale Themen fokussiere­n werden. Die Frage bleibt, ob das funktionie­ren kann bei einer Parlaments­wahl, die praktisch nichts anderes ist als ein verkapptes Brexit-Referendum.

Erfolge kann Johnson bisher nicht vorweisen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany