Welch eine Bescherung für die Briten
Mitten im Brexit-Schlamassel müssen sie schon wieder wählen. Die Chefs von Konservativen und Labour gehen dieses Risiko ein. Sie sind nun die Gejagten
Zum dritten Mal nach 2015 und 2017 sind die abstimmungsmüden Briten bei den Neuwahlen im Dezember aufgerufen, über ein neues Parlament zu entscheiden, weil sich eben jenes nicht auf einen Weg aus der BrexitKrise einigen kann. Die Wahl war unausweichlich. Eine Regierung ohne Mehrheit kann nicht arbeiten. Und die Opposition schaffte es nicht, sich auf einen Übergangspremier, den man nach einem Misstrauensvotum hätte installieren können, zu einigen. Stillstand war die Folge. Trotzdem blicken die Briten mit wenig Begeisterung auf die Wahl in der Adventszeit.
Die beiden Parteivorsitzenden, Boris Johnson bei den Tories und Jeremy Corbyn bei Labour, vertreten die jeweils extremen Flügel ihrer Parteien. Die moderate Mitte ist frustriert und fühlt sich politisch heimatlos. Wer taktisch abstimmen will, um den Brexit entweder vollzogen zu sehen oder aber ein zweites Referendum zu erzwingen, hat ebenfalls Probleme. Denn Corbyn und Johnson polarisieren, sind – je nach Seite, auf der man in der Europafrage steht – nicht nur unbeliebt, sondern geradezu verhasst. Trotzdem wird einer von ihnen am Ende Premierminister sein. Entweder der Brexit-Cheerleader Boris Johnson bleibt an der Macht, oder der Sozialist Jeremy Corbyn zieht in die Downing Street ein. Schöne Bescherung kurz vor Weihnachten – Großbritannien hätte wahrlich Besseres verdient.
Obwohl die Umfragen andeuten, dass die Konservativen unter Premierminister Johnson eine absolute Mehrheit erreichen könnten, ist alles möglich und nichts vorhersehbar. Der Regierungschef – ganz Berufsoptimist – präsentiert sich selbstbewusst. Aber Neuwahlen bergen ein hohes Risiko für ihn. Bislang konnte er sich mit populistischen Slogans durch seine erst kurze Amtszeit schmuggeln und auf sein mantrahaft vorgetragenes Versprechen
setzen, das Land am 31. Oktober aus der EU zu führen. Das hat er bekanntlich gebrochen, wofür er selbstverständlich das Unterhaus verantwortlich macht. Schuld tragen im Boris-Johnson-Kosmos immer die anderen. Ob diese für die Gesellschaft toxische und sie weiter spaltende Strategie aufgeht?
Die europaskeptischen Hardliner der Brexit-Partei – vorneweg deren Chef Nigel Farage – dürfte Johnson im Wahlkampf nicht nur mit Spott und Häme überschütten, sondern vor allem genüsslich an sein Scheitern erinnern, den Brexit bisher nicht über die Ziellinie gebracht zu haben. Das könnte den Premier wichtige Stimmen kosten.
Noch feuert ihn die mächtige europaskeptische Presse an. Doch die Stimmung kann jederzeit kippen, wie bei Theresa May. Johnsons Vorgängerin hatte ebenfalls die konservativen Medien auf ihrer Seite – bis diese, nun ja, eben nicht mehr auf ihrer Seite standen und es schlichtweg hässlich wurde. Auch die Brexit-Ultras, die May schon brutal vorführten, verfahren schonungslos mit Vorsitzenden, die nicht in ihrem Sinne liefern. Bislang hat Johnson vor allem viel geredet, Erfolge kann er keine vorweisen. Der Brexit-Deal liegt auf Eis.
Das noch größere Risiko geht aber Labour-Chef Jeremy Corbyn mit seiner Zustimmung zu Neuwahlen ein. Politisch Eingeweihte mögen die komplizierte Position in Sachen Brexit mittlerweile verstehen, leicht zu erklären ist sie dem Volk insbesondere beim in Großbritannien traditionellen Wahlkampf an der Tür keineswegs. Viel wahrscheinlicher ist deshalb, dass die Sozialdemokraten den EUAustritt so gut wie möglich ausklammern und sich in ihrer Kampagne stattdessen auf soziale Themen fokussieren werden. Die Frage bleibt, ob das funktionieren kann bei einer Parlamentswahl, die praktisch nichts anderes ist als ein verkapptes Brexit-Referendum.
Erfolge kann Johnson bisher nicht vorweisen