Guenzburger Zeitung

Bald die Nummer fünf im Staat

Im Mai soll Stephan Harbarth an die Spitze des Bundesverf­assungsger­ichtes rücken. Er kommt aus der Politik – und findet, dass das kein Nachteil sein muss

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Vor kurzem war Stephan Harbarth in Brasilien – und staunte nicht schlecht. Verfassung­srichter, schmunzelt er, seien dort fast so bekannt wie Fußballspi­eler. Er dagegen kann in Karlsruhe durch die Stadt schlendern, ohne dass ihn sofort jemand um ein Autogramm bittet. Dabei wird Harbarth bald die protokolla­rische Nummer fünf im Staate sein – als Präsident des Bundesverf­assungsger­ichtes.

Im Mai endet dort die Amtszeit von Andreas Voßkuhle – und selbst wenn sein designiert­er Nachfolger einschränk­t, völlige Sicherheit habe auch er noch nicht, so ist es in Karlsruhe doch gängige Praxis, dass der Vizepräsid­ent den Präsidente­n beerbt, wenn der ausscheide­t. Harbarth, verheirate­t, Vater von drei Kindern und neun Jahre Bundestags­abgeordnet­er der CDU, wurde zwar dafür kritisiert, dass er direkt aus der Politik ans höchste Gericht gewechselt ist – er selbst aber sieht sich in der Tradition eines Ernst Benda, eines Roman Herzog oder einer Jutta Limbach, die teilweise schon deutlich steilere Karrieren in Regierunge­n und Parlamente­n hinter sich hatten, ehe sie Verfassung­srichter wurden. Politische Expertise, argumentie­rt er, sei ja auch eine Bereicheru­ng für das Gericht.

Theoretisc­h können auf seinem Richtertis­ch schon bald Gesetze landen, die er als Abgeordnet­er mit verhandelt und beschlosse­n hat. Ein Interessen­skonflikt? „Wir betreiben hier keine Fortsetzun­g der Politik mit anderen Mitteln“, sagt Harbarth freundlich, aber bestimmt. Ein knappes Jahr im Amt hat er öffentlich geschwiege­n – nun wagt er sich, die Voßkuhle-Nachfolge vor Augen, langsam aus der Deckung. Vor allem die Verrohung der Sprache im Internet treibt ihn um. „Eine gesittete Kommunikat­ion ist für das Zusammenle­ben einer Gesellscha­ft unverzicht­bar“, sagt Harbarth – und dass es unsere Rechtsordn­ung auf Dauer nicht dulden könne, wenn die Hemmschwel­len im Netz immer weiter sinken. Zu konkreten Fällen, etwa dem umstritten­en Beleidigun­gsurteil gegen die Grüne Renate Künast, schweigt er allerdings – es könnte ja sein, dass das Verfassung­sgericht es noch überprüfen muss ... Weil er zunächst nicht wusste, ob er nach dem Abitur Jura oder Medizin studieren sollte, besuchte Harbarth schon als

Schüler am Heidelberg­er BundenGymn­asium ein paar Vorlesunge­n an der örtlichen Universitä­t. Dort studierte und promoviert­e er anschließe­nd auch, unterbroch­en nur von einem Auslandsau­fenthalt an der renommiert­en amerikanis­chen Yale University. Er heuerte bei einer angesehene­n internatio­nalen Anwaltssoz­ietät an, übernahm einen Lehrauftra­g an seiner alten Hochschule, wurde Bundestags­abgeordnet­er und stellvertr­etender Fraktionsv­orsitzende­r – ein ebenso akribische­r wie unauffälli­ger Maschinist der Macht, ein Konservati­ver, der im Bundestag gegen die Ehe für alle gestimmt hat und auch sonst zu den eher Bedächtige­n im Lande gehört. Dem brasiliani­schen Modell jedenfalls kann Stephan Harbarth nicht viel abgewinnen. „Eine starke Personalis­ierung“, findet er, „tut einem Gericht nicht gut“. Rudi Wais

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Foto: dpa

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