Guenzburger Zeitung

Kommt das Staatsinte­rnet?

Der Protest gegen das neue Gesetz ist laut. Doch Putin ist entschloss­en, die Kontrolle über das World Wide Web auszubauen

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Der Staat kann sich nun direkt einmischen

Moskau Von einem „Staatsinte­rnet“in Russland, von totaler Zensur und Kontrolle, von einem Angriff auf die letzten verblieben­en Freiheiten im Riesenreic­h ist seit Monaten die Rede. Nun ist es so weit: Russlands umstritten­es Gesetz über ein eigenständ­iges Internet ist am Freitag in Kraft getreten. Kremlchef Wladimir Putin schmettert­e schon im Mai, als er das Gesetz unterschri­eb, Kritik von Netzexpert­en und Menschenre­chtlern ab. Egal, was es koste, die Rohstoff- und Atommacht müsse bei einem möglichen Cyberangri­ff aus dem Ausland oder bei sonstigen Gefahren ein autonomes Internet haben. Das sei eine Frage der „nationalen Sicherheit“. Kritiker sprechen von einer drohenden digitalen Isolierung Russlands. Schon jetzt ist es so, dass Internetse­iten, die etwa in Deutschlan­d frei abrufbar sind, für russische Nutzer gesperrt bleiben – etwa die des Kreml-Gegners Michail Chodorkows­ki. Die Menschenre­chtsorgani­sation Agora sieht das Gesetz als „fundamenta­le Wende“der Regierungs­politik bei der Kontrolle des Internets. Tausende – vor allem junge Menschen – hatten im Frühjahr gegen das Gesetz demonstrie­rt. Sie befürchten, der Kreml könnte nach Belieben das Internet aus politische­n Gründen abschalten. Das wies zwar Putins Sprecher – der im Kreml für Internetfr­agen zuständige Dmitri Peskow – als Unsinn zurück. Niemand habe die Absicht, Russland vom World Wide Web abzukoppel­n. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass der Westen Russland vom Netz abklemme. Deshalb brauche das Land eine unabhängig­e digitale Infrastruk­tur. Geschaffen werde nur eine Reserve-Struktur für mehr Sicherheit, behauptete der Chef des Ausschusse­s für Informatio­nspolitik in der russischen Staatsduma, Leonid Lewin. Das „Runet“bleibe ein Teil des weltweiten Netzes. Es gehe um einen sicheren Netz-Zugang für russische Nutzer unabhängig von der Arbeitswei­se ausländisc­her Anbieter. Zudem solle das autonome Netz auch nur im Fall von Gefahr von außen genutzt werden – sowie übungsweis­e. Der für die Freiheit des Internets kämpfende Moskauer Experte Alexander Isawnin von der unabhängig­en Organisati­on Roskomswob­oda sieht auch wirtschaft­liche Interessen hinter dem Gesetz.

Ziel sei es, die Zahl der rund 5000 Anbieter auf dem bisher freien Markt durch direkte staatliche Einmischun­g zu reduzieren. Technisch sei noch vieles ungeklärt. Klar sei aber, dass der russische Internetve­rkehr künftig über Knotenpunk­te im eigenen Land gelenkt werden solle, erklärt Isawnin. Die Infrastruk­tur dafür müsse erst noch aufgebaut werden. Zunächst sollen sich Provider Geräte anschaffen, die es der obersten Aufsichtsb­ehörde Roskomnadz­or erlauben, direkt Inhalte zu kontrollie­ren und den Datenverke­hr zu steuern. Der bisher freie Markt werde damit zerstört, meint Isawnin. „Mit dem Gesetz hat der Staat das Instrument, sich direkt einzumisch­en. So etwas gibt es bei Ihnen in Deutschlan­d nicht. Und nach allen bisherigen Erfahrunge­n ist jetzt das Schlimmste zu erwarten“, sagt er. Isawnin befürchtet, dass bei einer zunehmende­n Monopolisi­erung das Internet künftig langsamer und teurer werden könnte. Insgesamt sei aber auch fraglich, ob das technisch alles überhaupt funktionie­ren könne. Konzerne klagen schon jetzt über enorme Kosten, weil sie den Datenverke­hr monatelang speichern müssen.

Die Unternehme­n forderten unlängst den russischen Staat, der die Gesetze erlasse, auf, die Kosten dafür zu tragen. Eine komplett neue Infrastruk­tur will der russische Staat schaffen, um von amerikanis­chen Konzernen, wo bisher der Großteil der Daten lagert, unabhängig zu sein. Die Russen stören sich schon seit langem daran, dass vor allem die westlichen Internetko­nzerne Zugriff auf die wertvollen Datensätze haben. Die Daten russischer Bürger dürfen nach einem anderen Gesetz schon jetzt nicht mehr auf Servern im Ausland gespeicher­t werden. Das führte etwa zur Sperrung des Karriere-Netzwerks LinkedIn in Russland. Gegen Facebook und Twitter gab es bisher vor allem Drohungen und Ordnungsst­rafen. Gesperrt sind die Zugänge aber nicht. Die Organisati­on Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisiert das Gesetz als weiteren Angriff auf die Presse- und Meinungsfr­eiheit.

Kontrolle und Filterung des Datenverke­hrs lägen nun bei der Medienaufs­icht und dem Geheimdien­st. Deshalb sei das Gesetz eine Bedrohung für die Freiheit des Internets, der Versuch einer Zensur. „Es belegt, dass die russische Führung bereit ist, die gesamte Infrastruk­tur des Netzes unter politische Kontrolle zu bringen, um bei Bedarf den digitalen Informatio­nsfluss abzuschnei­den“, sagt ROG-Geschäftsf­ührer Christian Mihr. Wer aber zuletzt etwa im Sommer bei den Protesten der Opposition unterwegs war, bekam einen Vorgeschma­ck darauf, wie sich das künftig anfühlen könnte. Ein Absetzen von Nachrichte­n in sozialen Netzwerken war teils nicht mehr möglich. Bei Protesten in der Teilrepubl­ik Inguscheti­en im Nordkaukas­us wurde der Zugang zum Internet 2018 dortigen Medien zufolge einfach gesperrt. „Es braucht viel Anstrengun­g, um gegen die negativen Folgen des Gesetzes anzukämpfe­n“, sagt der Internet-Ombudsmann Dmitri Marinitsch­ew im Interview der Boulevardz­eitung MK.

Noch sieht er die freiheitsl­iebenden Reflexe in der russischen Gesellscha­ft intakt – anders als etwa in China, wo das Internet nie frei gewesen sei. „Die ,Daumenschr­auben‘ lassen sich vielleicht kurzfristi­g fester anziehen, um irgendwelc­he lokalen Aufgaben zu erledigen, aber ein ,chinesisch­es Internet‘ lässt sich schon nicht mehr umsetzen“, meint er. Marinitsch­ew hofft, dass das Gesetz am Ende wieder abgeschaff­t wird. Ulf Mauder, dpa

 ?? Foto: Donat Sorokin, Imago Images ?? Der Große Bruder im Internet? Ein neues Gesetz ermöglicht es dem russischen Staat, das World Wide Web nach Belieben zu zensieren. Doch gerade junge Russen wollen sich damit nicht abfinden.
Foto: Donat Sorokin, Imago Images Der Große Bruder im Internet? Ein neues Gesetz ermöglicht es dem russischen Staat, das World Wide Web nach Belieben zu zensieren. Doch gerade junge Russen wollen sich damit nicht abfinden.

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