Guenzburger Zeitung

Geschmäht, gelobt, gebraucht

Nur wenige Branchen haben einen schlechter­en Ruf als die Zeitarbeit. Ihr Image ist schlecht, die Wirklichke­it grau. Für Flüchtling­e zum Beispiel ist sie eine Chance auf Arbeit

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin „Teile und herrsche“ist eine alte Methode in der Politik. Teile Deine Gegner in verschiede­ne Gruppen und verhindere, dass sie eine gemeinsame Stimme finden. Bereits die Römer verfuhren danach. Die Leiharbeit, sagen ihre Kritiker, sei „teile und herrsche“im Betrieb. Aber was passiert eigentlich, wenn die Chefs gar nicht genügend Leute finden, die sie gegeneinan­der ausspielen können?

Das Bild der Leih- oder Zeitarbeit hierzuland­e ist ein düsteres, eigentlich ist es rabenschwa­rz. Das liegt daran, dass die Branche immer wieder von Skandalen brutaler Ausbeutung gebeutelt wird und es den Zeitarbeit­sfirmen nicht gelingt, schwarze Schafe auszusorti­eren. Geprägt ist das Image auch durch die Zeit der Massenarbe­itslosigke­it in den 2000er Jahren und die schmerzhaf­ten Arbeitsmar­ktreformen unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Leiharbeit und Hartz-IV waren, so wirkte es damals, Instrument­e, um die Arbeiter klein zu halten.

Die Situation heute ist vielschich­tiger, wahrschein­lich war sie es schon immer. Die Empörung über die Zeitarbeit überdeckt, dass sie kein Massenphän­omen ist. Von den 45 Millionen Menschen in Lohn und Brot waren im vergangene­n Jahr eine Million Leiharbeit­er, wie die Bundesagen­tur für Arbeit errechnet hat. Das entspricht einem Anteil von knapp über 2 Prozent. Die Statistike­r der Behörde haben außerdem gezählt, dass mehr als jeder zweite Zeitarbeit­er einfache Helfertäti­gkeiten erledigt. Die Bezahlung ist nicht gut. Verdient der durchschni­ttliche Beschäftig­te in Deutschlan­d jeden Monat 3300 Euro brutto, bekommen Zeitarbeit­er nur 1900 Euro. Es sind überwiegen­d Männer, die sich das antun. Sie besetzen 70 Prozent der Leiharbeit­erstellen.

Die Gewerkscha­ften finden, dass es diese Arbeiter zweiter Klasse nicht geben darf. „Leiharbeit ist von einem Ausnahmein­strument immer mehr zur Normalität geworden. So ist es nicht gedacht, denn Leiharbeit ist immer prekär“, sagt Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) unserer Redaktion. Der DGB verlangt Änderungen bei den Regeln zur Zeitarbeit, um sie für Unternehme­n unattrakti­ver zu machen. Geltende Rechtslage ist, dass niemand länger als 18 Monate in einem Betrieb als Leiharbeit­er beschäftig­t werden darf, außer ein Tarifvertr­ag sieht anderes vor. Danach kann der Drehtüreff­ekt einsetzen. Entweder kommt ein anderer Leiharbeit­er oder – nach einer Karenzzeit von drei Monaten – der bisherige zur zweiten Runde. „So umgehen die Arbeitgebe­r die Übernahme in eine Dauerbesch­äftigung“, beklagt Buntenbach. Die maximale Frist von 18 Monaten soll deshalb nicht für Zeitarbeit­er gelten, sondern für einzelne Stellen im Betrieb.

Ändern müsste das Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil. Doch der SPD-Mann hat mit der Grundrente alle Hände voll zu tun und der Koalitions­vertrag lässt ihm ausdrückli­ch Zeit bis nächstes Jahr. Dann soll eine Evaluierun­g der Zeitarbeit­sbranche zeigen, wo die Probleme liegen. Weil wegen der Grundrente mit CDU und CSU der Frieden in der Koalition ohnehin schwer angespannt ist, will Heil derzeit keine zweite Front aufmachen und hält sich trotz Nachfrage bedeckt.

Hilfreich ist daher ein Blick auf die Pläne seiner Partei. Die Genossen sprechen sich dafür aus, dass Leiharbeit­er in Zukunft vom ersten Tag genauso bezahlt werden müssen wie die fest angestellt­en Kollegen und nicht erst nach neun Monaten. Und zwar mit allem, was dazugehört: Urlaubsgel­d, Sonderzahl­ungen, Zulagen, Zuschläge und vermögensw­irksame Leistungen. Die SPD will den Verleihfir­men außerdem verbieten, Arbeitnehm­er nur für einen Auftrag einzustell­en und anschließe­nd wieder zu entlassen. Die Zeitarbeit­sunternehm­en fürchten, dass ihnen schon wieder die Daumenschr­auben angezogen werden. „Keine andere Branche ist derart häufig von Gesetzesno­vellen betroffen. Die letzte Reform trat im April 2017 in Kraft“, sagte der Präsident des Bundesarbe­itgeberver­bands der Personaldi­enstleiste­r, Sebastian Lazay, unserer Redaktion. Derzeit haben die Verleiher schon mit der Konjunktur­flaute zu tun. Leiharbeit­er müssen zuerst gehen, wenn das Geschäft nicht mehr brummt. Die Zahlen der Arbeitsage­ntur zeigen einen Rückgang von über zehn Prozent bei den Zeitarbeit­ern zwischen Frühjahr 2018 und Frühjahr 2019. Aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor.

In angespannt­en Berufen wie der Pflege, wo trotz Konjunktur­flaute, absoluter Mangel herrscht, geht ohne die ausgeliehe­nen Schwestern und Pfleger nicht viel. Hier bieten Zeitarbeit­sfirmen den Vorteil, dass sie zum Beispiel Personal gezielt für Tagschicht­en oder Nachtdiens­te vermitteln. Die Festangest­ellten allerdings müssen dann mehr in Randdienst­en anpacken. Auch für Flüchtling­e und Menschen ohne Abschluss bleibt die Zeitarbeit ein Tor auf den Arbeitsmar­kt. Die Arbeitsage­ntur spricht von einer „guten Einstiegsm­öglichkeit“.

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