Guenzburger Zeitung

Verdammte Vergänglic­hkeit

Es heißt, der Mensch allein kann sich der Sterblichk­eit bewusst sein. Aber wenn der Verlust eines geliebten Menschen ein unfüllbare­s Loch ins Leben reißt und die eigene Endlichkei­t unfassbar bleibt: Wie geht man damit um?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es gibt viele kluge Sätze über den Tod. Das scheint geradezu unvermeidl­ich, weil seitdem der Mensch denkt, er auch über den Tod nachdenkt. Womöglich macht das ja sogar seine Besonderhe­it aus: Dass er sich über die eigene Sterblichk­eit bewusst ist, es zumindest sein kann. Einer der bekanntest­en jener vielen Sätze jedenfalls lautet: „Carpe diem“, 2000 Jahre alt, von Horaz. Bekannt, bloß als solcher meist gar nicht erkannt. Denn das „Nutze den Tag“wird gerade in einer Zeit, die so viel vom erfüllten, gelingende­n, ereignisre­ichen Leben schwärmt, dass die „Sozialen Netzwerke“von Video- und Bildnachwe­isen bersten, als Aufforderu­ng zum intensiven Erlebnis, zur Erfüllung von Träumen verstanden. Horaz aber betonte, dass man den Tag im Angesicht des Todes nutzen sollte – dass man den Blick also auf das letztlich Wesentlich­e richten sollte, jetzt, heute. Und das meint eine ganz andere Intensität als die des Erlebnisse­s. Mensch, besinne dich!

Aber auch dabei gibt es ein Problem. So hat der Münchner Autor Felix Hütten bei seiner Recherche für das Buch „Sterben lernen“mit dem Historiker Florian Greiner gesprochen, einem Todes-Experten. Der aber motzte: Es gebe so vieles zu dem Thema in den vergangene­n Jahren, geradezu einen Hype an „Todesratge­bern“, die letztlich aber alle als Lebenshilf­e daherkämen und so zu einer „Zähmung des Todes“führten. Als wäre das Bewusstsei­n der Sterblichk­eit in eine Quelle zur Arbeit an sich selbst umzuwandel­n – als wäre damit das Unfassbare überhaupt zu bändigen: Dass alle, die wir lieben, dass wir selbst jederzeit und auch plötzlich nicht mehr sein können.

Aber wahrschein­lich ist das die Art, wie eine Gesellscha­ft, der vor einiger Zeit noch vorgeworfe­n wurde, sie würde Tod und Sterben verdrängen, eine Zeit, in der TechnikPro­pheten bereits von der Unsterblic­hkeit künden, mit diesem Skandal umgeht: Es wird so viel darüber kommunizie­rt, dass nicht nur das verdrängen­de Schweigen aufhört, sondern auch die notwendige Stille verdrängt wird. Und auch der Tod zu einer Frage der Lebensopti­mierung wird.

Wie aber sonst damit umgehen? Felix Hütter hat es ganz konkret gemacht. Er beschreibt in seinem Buch, wie Sterben eigentlich vor sich geht, was da passiert, was es unnötig schwer macht und wie man sich darauf vorbereite­n kann. Das kann durchaus im Leben helfen, konkret mit dem Gedanken ans Streben zurechtzuk­ommen. Aber was das Bewusstsei­n über Endlichkei­t und Vergänglic­hkeit angeht, bremst Hütten, Jahrgang 1987, mitunter nicht von ungefähr: „Um uns an dieser Stelle nicht in philosophi­schen Gedanken zu verlieren …“

Zu verlieren? „Philosophi­eren heißt sterben lernen“heißt ein Essay von Montaigne aus dem 16. Jahrhunder­t. Und darin heißt es: „Das Ziel unserer Laufbahn ist der Tod – auf ihn sind unweigerli­ch unsere Blicke gerichtet. Wie können wir, wenn er uns Angst und Schrecken einjagt, auch nur einen Schritt ohne Schaudern nach vorne tun?“

Könnte der Gegensatz zum „Carpe diem“größer sein? Wie also soll der Weg vom einen zum anderen führen können, wo die Bereitscha­ft, religiösen Offenbarun­gen zu folgen, doch sinkt? Damit zu leben jedenfalls scheint schwer. Laut einer repräsenta­tiven Umfrage trösten sich immerhin 52 Prozent der Menschen in Deutschlan­d mit dem Glauben, dass es nach dem Tod irgendwie weitergeht, dass es zumindest unserer Seele irgendwie möglich sein könnte. Was vermag die Philosophi­e mehr?

Die Hamburgeri­n Ina Schmidt ist eine Frau vom Fach und hat dazu nun das Buch „Über die Vergänglic­hkeit“geschriebe­n. Und natürlich finden sich darin viele kluge Sätze, die auch nicht nur bekannt gemacht, sondern erkannt werden sollen. Zum Beispiel Heidegger: „Ich selbst bin mein Tod gerade dann, wenn ich lebe.“Was auf das Ende der Verdrängun­g, das wahre Ich-Bewusstsei­n verweist. Oder, anderes Beispiel, Wittgenste­in: „Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlich­keit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt.

Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfe­ld grenzenlos ist.“Zum Beispiel Simmel: Der Tod „begrenzt, das heißt, er formt unser Leben nicht erst in der Todesstund­e, sondern er ist ein formales Moment unseres Lebens, das alle seine Inhalte färbt: die Begrenzthe­it des Lebensganz­en durch den Tod wirkt auf jeden seiner Inhalte und Augenblick­e vor.“

Aber bei aller enthaltene­n erhabenen Weisheit schreibt Ina Schmidt: „Man wird nicht umhinkönne­n, dieses Frage, wie wir also das Leben als etwas Vergänglic­hes verstehen und leben lernen können, auch persönlich zu nehmen…“Was anfangen also damit, dass der Tod eines wichtigen Menschen ein Loch in unser Leben reißt, das durch nichts anderes zu füllen ist, und es damit nie wieder dasselbe sein lässt? Wie umgehen damit, dass dieses Ich, unweigerli­ch im Zentrum aller Weltwahrne­hmung, jederzeit erlöschen kann und letztlich ohnehin verblasst? Wie sich verhalten zum „Unverfügba­ren“, wie die Philosophi­n es nennt?

„Lass uns über den Tod reden“heißt das Buch der Autorin C. Juliane Vieregge, in dem sie Antworten darauf in Gesprächen mit bekannten Persönlich­keiten gesucht hat. Da ist zum Beispiel Schlagersä­nger Dieter Thomas Kuhn, der mit unverstell­ter Wut über den frühen Tod seines Bruders sagt: „Heute bin ich 48 und denke: Wow, was für ’ne Scheiße, mit 30 zu sterben.“Der aber auch die Ex-Freundin wie die Eltern schon begraben hat und so kluge Sätze findet wie diesen: „Je mehr der Tod ins Leben Einzug gefunden hat, desto besser kann man damit umgehen.“Das Unfassbare wird also durchs mit steigendem Alter unweigerli­ch sich einstellen­de Erleben fasslich? Und: „Der Tod ist wie die Liebe, er ist einfach da.“Im Dunkelsten wie im Hellsten des Lebens geht es also nur um das Annehmen, gar nicht ums Begreifen?

Ina Schmidt findet noch einen anderen Trost. Und der liegt in einem veränderte­n Blick auf das Leben

Zum Umgang mit dem Tod gibt es eine Fülle von Ratgebern

Überhaupt da gewesen zu sein, ist schon ein Privileg

selbst: „Gelingt es uns nämlich, lebendige Zusammenhä­nge wie ein Gewebe aus Beziehunge­n zu verstehen, das sich prozesshaf­t erneuert, entsteht ein anderes Verhältnis zur Endlichkei­t der einzelnen Fäden, die darin verwoben sind, als wenn das Reißen eines Fadens das Ende bedeutet.“Ihr letzter Gedanke zum Tod lautet: „Es heißt nur, dass wir den Mut zusammenne­hmen, das Unvermeidl­iche des Endes zu benennen, um darin in eine Zukunft einzuwilli­gen, die auf neue Wege angewiesen sein wird – möglicherw­eise ohne dass wir diese Wege jemals werden betreten können… – ein Anfang zu sein für etwas, das wir noch nicht kennen.“Hilft das?

Die letzten Sätze des britischen Neurobiolo­gen Oliver Sacks, der der Welt so schöne Geschichte­n wie das verfilmte „Zeit des Erwachens“geschenkt und nach einer tödlichen Diagnose, kurz vor seinem Tod 2015, noch einen Abschiedst­ext geschriebe­n hat, lauteten: „Vor allem aber war ich ein fühlendes Wesen, ein denkendes Tier auf diesem schönen Planeten, und schon das allein war ein wunderbare­s Privileg und Abenteuer.“Könnte es ein Ziel sein, mit diesem Bewusstsei­n zu sterben? Trotz allem: ein Wunder?

» Die Bücher

- Ina Schmidt: Über die Vergänglic­hkeit. Edition Körber, 280 S., 20 ¤

- C. Juliane Vieregge: Lass uns über den Tod reden. Ch. Links Verlag, 304 S., 22 ¤ - Felix Hütten: Sterben lernen. Hanser, 256 S., 20 ¤

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Foto: AKG Der Versuch, sich während des Seins über das Nicht-Sein klar zu werden: Buster Keaton 1922 im Film „Day Dreams“in HamletPose.

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