Guenzburger Zeitung

Deutsche Begegnung mit japanische­r Kultur

Vor 200 Jahren kam der Arzt Philipp Franz von Siebold in das ostasiatis­che Inselreich. Nach einem abenteuerl­ichen Aufenthalt brachte er von dort vieles mit nach Europa. Jetzt ist die Sammlung in München zu sehen

- VON CHRISTA SIGG

München Er hat gesammelt, was ihm unter die Finger kam: Lackkästch­en, Wandschirm­e und vergoldete Buddha-Figuren genauso wie Reiskekse, Kreisel und Magenpille­n. In dieser schrägen Mischung ist das heute noch so attraktiv wie vor fast 200 Jahren, als Philipp Franz von Siebold zum ersten Mal zurück aus Japan kam. Damals allerdings führte der Arzt und Forscher den Europäern einen fremden, über Jahrhunder­te abgeschlos­senen Kosmos vor Augen. Der ist nun in seiner ganzen Vielfalt im Museum Fünf Kontinente in München ausgebreit­et. Und selbst durch die fein geordneten Vitrinen hindurch riecht man das Abenteuer.

Denn dass der junge Siebold, der 1796 in eine Würzburger Medizinerf­amilie geboren worden war, überhaupt japanische­n Boden betreten durfte, hat mit seiner Unverfrore­nheit zu tun. Ohne besondere Berufserfa­hrung heuerte er 1822 als Stabsarzt bei den niederländ­ischen Militärbeh­örden für Ostindien an und gab sich kurzerhand als Holländer aus. Neben den Chinesen waren das die Einzigen, mit denen die Japaner überhaupt Handel pflegten. Streng limitiert natürlich und auch nur aus einer gewissen Distanz heraus. Wie Quarantäne­kandidaten mussten sich die Fremden auf der Insel Dejima vor Nagasaki aufhalten.

Mit seinen modisch in die Stirn gekämmten Haaren und der spitzen langen Nase muss Siebold sofort aufgefalle­n sein. Er hat ja auch etwas hergemacht, trat selbstbewu­sst und kompetent auf. Für die Japaner war der Europäer aber nicht nur äußerlich ein Exot, auch seine Berichte aus dem Westen und erst recht sein Wissen galten als heiße Ware. Bedeutende Gelehrte suchten den Austausch mit ihm, bald schon hatte er zahlreiche Schüler, die die westliche Medizin studieren wollten, und die Patienten standen Schlange.

Dass Siebold kein Holländisc­h sprach, störte niemanden, er hatte ja etwas zu bieten. Und um sich erkenntlic­h zu erweisen – mit Geld zu bezahlen war verpönt –, brachten Schüler wie Patienten regelmäßig Geschenke. So entstand Siebolds Sammlung, die von Anfang an den japanische­n Alltag widerspieg­eln sollte, von kostbaren Tempel- oder Theatergew­ändern bis hin zu einfachen Strohsanda­len oder einer Pfanne fürs Omelette. Selbst geografisc­he Karten wurden getauscht, was streng untersagt, aber schwerlich zu verhindern war. Schon weil es auf beiden Seiten Bedarf gab.

Dem Deutschen brachte das die Verbannung ein, denn in seinem Gepäck wurden nagelneue Landkarten gefunden, die ihm der Hofastrono­m Takahashi gegeben hatte. Siebold kam mit einem blauen Auge davon und konnte nach langwierig­en Vernehmung­en zurück nach Europa segeln. Doch sein japanische­s Umfeld wurde hart bestraft, und der Astronom starb in der Haft, was zu wilden Spekulatio­nen geführt hat. Tatsächlic­h wird die sogenannte „Affäre Siebold“immer noch gerne zum großen Spionagefa­ll hochstilis­iert, doch Kurator Bruno Richtsfeld winkt ab. So etwas mag einer eh schon aufregende­n Biografie den letzten Thrill geben. Aber Siebold hätte dann nicht die beschlagna­hmten Kultur- und Alltagsgeg­enstände mitnehmen dürfen inklusive der fatalen Karte. Genauso wenig wäre die Verbannung auf Lebzeiten kaum zurückgeno­mmen worden.

Davon profitiert München jetzt in besonderem Maße. Denn was Siebold bei seiner zweiten Japan-Reise zwischen 1859 und 1863 zusammenge­tragen hat, bildet den Grundstock des Museums Fünf Kontinente, das als „Königliche Ethnograph­ische Sammlung“gegründet wurde. Siebold bekam davon nichts mehr mit, er starb 1866, nachdem er seine eindrucksv­ollen Objekte immer wieder angedient hatte – 1864 auch König

Ludwig II. Aber der war in dieser Zeit auf ganz anderes fixiert, etwa die Opern Richard Wagners.

Immerhin konnte Siebold seine raren Schätze präsentier­en. Kurz vor seinem Tod eröffnete er im nördlichen Galeriegeb­äude am Hofgarten eine minutiös durchkonzi­pierte Ausstellun­g. Und damit erweist sich der Forscher auch als einer der ersten Museologen. Sein Ordnungs- und Kategorisi­erungssyst­em sollte ein möglichst präzises Bild der japanische­n Kultur vermitteln. Dieses historisch­e Konzept haben Bruno Richtsfeld und Direktorin Uta Werlich nun übernommen, das ist der Clou und zugleich auch die Crux dieser 300-Objekte-Schau.

Medizinisc­he Geräte und Spielzeug gehörten zum Beispiel in eine Gruppe, das würde man heute so nicht kombiniere­n. Anderersei­ts prallen ja auch im Alltag oft genug Welten aufeinande­r. Und jetzt sind es eben die Aderlassge­räte, ein mit Sand gefüllter Bauchwärme­r oder Akupunktur­nadeln, die quasi neben einem hinreißend­en Muschelspi­el, Kinderrass­eln und einem Zikadenkäf­ig liegen. Dreht man sich, steht dort eine „Amida-Trias“aus der späten Edo-Zeit (1603–1868), also ein „Buddha des unermessli­chen Glanzes“auf seiner Lotosblüte zwischen zwei Begleitern. Und im Nebenraum staunt man über viel zu hohe, definitiv unbequeme Frauenschu­he. High Heels sozusagen. Aber so ist halt das ganz normale Leben. Im Westen wie im Osten.

OCollectin­g Japan. Philipp Franz von Siebolds Vision vom Fernen Osten. Bis 26. April im Museum Fünf Kontinente in München, Maximilian­str. 42. Geöffnet Di. bis So. von 9.30 bis 17.30 Uhr.

 ?? Foto: © MFK, Nicolai Kästner ?? Japan-Design: Serviersch­üssel in Gestalt eines Kranichs aus der Edo-Zeit (1603–1868).
Foto: © MFK, Nicolai Kästner Japan-Design: Serviersch­üssel in Gestalt eines Kranichs aus der Edo-Zeit (1603–1868).

Newspapers in German

Newspapers from Germany