Was tun mit kleinen Igeln?
Veterinäramtsleiter Dr. Franz Schmid erklärt, warum die Tiere im Herbst immer öfter in Not geraten. Wann der Mensch eingreifen soll und was er zu einem guten Lebensraum beitragen kann
Landkreis Wie lautet bei kleinen Igeln die berühmte Gretchenfrage? Dr. Franz Schmid, Leiter des Veterinäramts in Günzburg, antwortet mit einer weiteren Frage: „Lebt die Mutter noch?“Denn nicht jedes Igelkind, das einem vielleicht beim Winterfestmachen des Gartens begegnet, braucht unbedingt menschliche Hilfe. Schmid empfiehlt, die Situation aufmerksam zu beobachten, bevor man eingreift. Das Problem: Im Landkreis Günzburg gibt es keine Igel-Auffangstation mehr, „eine kleine Lücke“, sagt Schmid. Eine private Einrichtung im Landkreis hatte im vergangenen Jahr geschlossen werden müssen (wir berichteten). Deren Betreiberin war von Beobachtern vor Kurzem wieder in den Fokus gerückt worden, das Veterinäramt war vor Ort. „Die Auflagen gelten nach wie vor“, sagt Schmid, die von Informanten geäußerten Verdachtsmomente haben sich aber nicht bestätigt. Die Frau habe nur „aus dem häuslichen Umfeld Schützlinge aufgenommen“, also aus ihrem Garten, und das sei „nicht im Stadium des Verbots“.
Zeigt sich, dass ein kleiner Igel verlassen ist, dann kann der Winter für ihn das Ende bedeuten. „500 Gramm ist die Hausnummer“, sagt Schmid, dieses Gewicht brauchen die Säugetiere, um über den Winter zu kommen. Ein ausgewachsener Igel kann es auch auf gut ein Kilo Körpergewicht bringen.
Ob der Igel tatsächlich genug Reserven hat, um aus eigener Kraft durch die kalte Jahreszeit zu kommen, ist für Laien gar nicht so leicht zu erkennen, es sei denn, man wiegt das Tier. „Grundsätzlich sollte man nicht so einfach die Tiere an sich nehmen“, sagt jedenfalls der Leiter des Veterinäramts, „man sollte die Natur ein bisschen Natur sein lassen.“Er verweist auf die Rechtsgrundlage, die sich in Paragraf 39 des Bundesnaturschutzgesetzes findet: Danach ist es verboten, „wild lebende Tiere (...) ohne vernünftigen Grund zu fangen“.
Mindestens genauso wichtig ist für Schmid aber das im Naturschutzgesetz ebenfalls festgeschriebene Verbot, „Lebensstätten wild lebender Tiere und Pflanzen ohne vernünftigen Grund zu beeinträchtigen oder zu zerstören“. Er appelliert deshalb an Gartenbesitzer, im Herbst nicht alles picobello aufzuräumen, sondern einen Haufen mit Laub und Reisig oder einen Holzstapel zu lassen, der nicht nur Igeln Unterschlupf bieten kann. Und mit dem Unterschlupf allein ist es nicht getan. Igel sind nicht nur als Schneckenvertilger beliebt, sie brauchen auch Insekten – gerade auch noch im Herbst, wenn sie sich vollends den Winterspeck anfressen sollen.
Normalerweise gelingt das bis zum Herbst, weil die Igelmutter zeitig im Frühjahr ihre Jungen setzt, sagt Franz Schmid. Allerdings verschieben sich die Setzzeiten durch den Klimawandel. Es wird schon früh im Jahr warm, die Igelbabys kommen früher zur Welt und gehen womöglich durch Kälte und Nässe im April zugrunde. Wenn die Igelmutter dann einen zweiten Wurf setzt, kommt der oft so spät, dass die Jungen nicht mehr genügend Zeit haben, sich das erforderliche Gewicht von 500 Gramm vor dem Winter anzufressen, zumal mit sinkenden Temperaturen im Spätsommer und Herbst der Energiebedarf von Erinaceus europaeus steigt, gleichzeitig aber die dringend als Nahrung gebrauchten Insekten weniger werden.
Von „Dramen, die sich aus diesen veränderten Zeiten ergeben“spricht Schmid deshalb. Außerdem lauern – mal abgesehen vom motorisierten Verkehr, dem zahlreiche Igel zum Opfer fallen – auch andere Gefahren. Kellerschächte können zu bedrohlichen Fallen für die Tiere werden, aus denen sie nicht mehr aus eigener Kraft herauskommen, ebenso angeböschte Fenster in Kellern, weil beispielsweise Betonringe eine unüberwindbar steile Hürde für Igel sind.
Deren etwa 16000 graubraune Stacheln, die sie bei Gefahr blitzschnell mit Muskelkraft aufstellen, bieten übrigens keinerlei Kälteschutz. „Das Stachelkleid wärmt nicht“, sagt Franz Schmid. Also brauchen untergewichtige Igelkinder nicht nur Futter, sondern auch moderate Wärme. Für einen Laien sind Pflege und Aufzucht eines Igelbabys kein leichtes Unterfangen und obendrein ziemlich aufwendig. Anfangs brauchen die verlassenen Igel oft noch flüssige Spezialnahrung, die ihnen angewärmt mit der Pipette tröpfchenweise verabreicht wird. Kuhmilch wäre tödlich. Später können die Igel Katzenfutter fressen, Insekten sind ein Leckerbissen.
Gesunde und kräftige Igel fallen in den Winterschlaf, wenn das Thermometer sinkt. Zwischen 8 und 20 Grad Celsius liegt die Wohlfühltemperatur dieser Tiere, dann sind sie aktiv. Für den Winterschlaf brauchen sie ein ausgepolstertes Nest unter einem Versteck, Laub unter einem Reisighaufen ist perfekt. Veterinäramtsleiter Schmid bezeichnet die Winterruhe als „physiologisch wichtige Phase“, der Winterschlaf gehört als Verhaltensritual zum Phasenablauf eines IgelLebens, wie bei den Störchen der spätsommerliche Zug in den Süden.
Dass Störche vermehrt bei uns überwintern, weil sie in den wärmer werdenden Wintern genug Nahrung finden, sieht der Veterinär ebenso mit Sorge wie die zu spät im Jahreslauf geborenen Igel. Er befürchtet, dass die nachgeborenen Störche das Wissen über den Zug in den Süden verlieren und bald nicht mehr wissen, wann und warum sie wohin ziehen sollen. Für die Igel könnte es fatal sein, wenn sie das angeborene Wissen um die Winterruhe einbüßen, weil es im Winter nicht genug Nahrung für sie gibt. Deshalb sollten auch Igel, die vorübergehend in menschlicher Obhut sind, nach Möglichkeit Winterruhe halten.
Wer Rat braucht, weil er einen zu kleinen Igel gefunden hat, der noch nicht aus eigener Kraft draußen überwintern kann, findet bei Tierärzten eine erste Anlaufstelle. Eine derzeit mehr als ausgelastete Auffangstation bei einer Privatperson gibt es laut Schmid in Burlafingen (Landkreis Neu-Ulm), als weitere Anlaufstelle nennt er den Bund Naturschutz (BUND), allerdings müsse man da in Sachen Igel bis nach Aalen fahren.