Guenzburger Zeitung

Im Visier der Air Force

Überall in der Region wurden Teile für die Me 262 gebaut. Die Alliierten hatten das bald herausgefu­nden

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Zusmarshau­sen/Leipheim Seit Beginn der Recherchen über das Waldwerk Kuno, das vor 75 Jahren aus dem Boden gestampft wurde, zeichnete sich immer deutlicher die Dimension der Flugzeugpr­oduktion ab: Sie war gewaltig. Entspreche­nd groß war das unmenschli­che Leid, das damit verbunden war. Die Hauptarbei­t für die Fertigung der vermeintli­chen „Wunderwaff­e“mussten Zwangsarbe­iter und KZHäftling­e verrichten. Tausende ließen ihr Leben in den letzten Kriegsmona­ten in Waldwerken und Zulieferbe­trieben, die verstreut in Mittelund Süddeutsch­land waren. Auch in der Region gab es etliche der Betriebe.

In Schwabmünc­hen wurden zunächst Formteile und mechanisch­e Einheiten für die Me 410 hergestell­t. Dieses zweimotori­ge Kampfflugz­eug trug den Beinamen Hornisse und wurde von der Luftwaffe als Zerstörer eingesetzt. Später ging es um mechanisch­e Teile für die Tragfläche­n der Me 262, die auf einer Fläche von rund 4500 Quadratmet­ern bei der Textilwebe­rei Holzhey gebaut wurden. Eigentlich sollte die Produktion nach Vaihingen/Enz verlegt werden. Doch dazu kam es nicht mehr. Stattdesse­n hatten die Alliierten den Zulieferbe­trieb als Ziel ins Visier genommen. Holzhey sollte am 4. März 1945 dem Erdboden gleich gemacht werden. Mit fast 70 B17-Bombern griffen die Amerikaner an. Weil jedoch die Wolkendeck­e keine Sicht auf die Stadt zuließ, wurde Schwabmünc­hen schwer beschädigt. Es wurde ein Tag, den Schwabmünc­hen nicht vergessen wird. 61 Menschen wurde getötet, 150 verletzt. Mehr als die Hälfte aller Gebäude wurden beschädigt.

Auch Bäumenheim litt unter dem Bombardeme­nt: Ziel war der Landmaschi­nenherstel­ler Dechenreit­er, wo ebenfalls Teile für die Tragfläche­n hergestell­t wurden. 500 KZHäftling­e hausten auf dem Betriebsge­lände, 21 kamen im Bombenhage­l ums Leben. Eine weitere Produktion­sstätte gab es in Horgau: Nahe des Bahnhofs entstanden im Wald knapp 20 Baracken. Ziel war es, Tragfläche­n und Bugteile zu fertigen. Das Waldwerk wurde wissenscha­ftlich untersucht und vermessen. Auf die Geschichte wird am Gedenkort Blechschmi­ede erinnert.

Weitere Produktion­sstätten sind durch Untersuchu­ngen der Amerikaner nach den Bombenangr­iffen bekannt. Die US Air Force dokumentie­rte die deutsche, weit verzweigte Rüstungsin­dustrie und wie wirksam die Bombenangr­iffe waren. Hier wurde für die Me 262 gebaut:

● Gablingen Bis zum 10. März mussten KZ-Häftlinge auf den Fliegerhor­stgelände Tragfläche­nteile bauen. Die Ereignisse in und um die Hangars wurden erforscht und dokumentie­rt. Auch auf den Fliegerhor­st fielen Bomben.

● Großaiting­en An der Bahnstreck­e bestand ein Lager für Stahl und Blech für die Me 262.

● Günzburg Rumpfnasen und Mechanikte­ile wurden bei der Spinnerei gefertigt. Im April wurde die Produktion in Kematen in Tirol fortgesetz­t.

● Ettringen Dort gab es einen Werkzeugla­gerraum mit einer Fläche von 200 Quadratmet­ern.

● Lauingen Räume der Firma Kodel und Bohm: Dort wurden Triebwerks­verkleidun­gen hergestell­t und montiert. Ende März wurde die Produktion nach Schwaz in Tirol verlagert.

● Roggden In der Ziegelei wurden Me 262-Teile montiert.

● Leipheim Versteckt bei Riedheim sollte das Werk Kuno II zur Endmontage entstehen. Es gab noch einen anderen Produktion­sort: Nahe des Fliegerhor­sts. Tarnname war „Spießingen“, wie eine Aufstellun­g über die Messerschm­itt-Verlagerun­gswerke vom Januar 1945 beweist. Der verantwort­licher Leiter hieß Spieß. Im Kreis Landsberg sollten langfristi­g Kampflugze­uge im industriel­len Maßstab entstehen. Dafür wurden halbunteri­rdische Großbunker angelegt. Sie hatten eine gewaltige Dimension: Die Anlage mit dem Namen Weingut II, die allein für die Me 262-Produktion ausgericht­et war, sollte 400 Meter lang werden und fünf Stockwerke haben. In den Bunkern sollte der Bau eines kompletten Flugzeugty­ps an nur einem Ort abgewickel­t werden. Die Nazis hatten mit einer Belegschaf­t von 30000 Facharbeit­ern kalkuliert, die in drei Schichten 300 Flugzeuge im Monat herstellen sollten.

Nach neuesten Forschunge­n wurden über 20000 Häftlinge in die Lager um die Bunker bei Landsberg und Kaufering gebracht, wo sie dann unter erbärmlich­sten Bedingunge­n leben und arbeiten mussten. 6500 überlebten den Einsatz nicht.

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Foto: Nara Bombenhage­l auf den Fliegerhor­st Gablingen: Das Bild nahm die US Air Force am 24. April 1944 auf. Links unten ist der Lechkanal zu erkennen.

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