Guenzburger Zeitung

Betrifft: Sterbebild­chen

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Neulich mal wieder aus aktuellem Anlass (und weil November ein Scheiß-Monat ist) Sterbebild­chen in der Hand und vor Augen gehabt. Samt erst mal ernüchtern­der Daten: 28.10., 15.11., 21.11. – da gingen sie, und zurück bleibt aber unter anderem und anfangs, wenn der Schmerz noch groß ist, fast übersehen, weil so banal, diese letzte Visitenkar­te, ein Stück Papier. Und ein Stück Trost. Ich meine jedenfalls, es muss Papier sein, weil nur dieses in der Zeit steht, nach und nach verkrumpel­t und vergilbt und damit anzeigt, von dieser Welt zu sein – und damit gleichzeit­ig endlich wie der Mensch, an den es erinnert. Und den, der erinnert, an selbiges gemahnt. Tu quoque. Und genau deswegen tut es irgendwie gut.

Tröstlich jedenfalls auch, dass der Gebrauch dieser herkömmlic­hen Sterbebild­chen selbst in Zeiten der Cloud als digitales Himmelssub­stitut noch halbwegs ungebroche­n scheint. Und diese in der Regel noch nicht von Google, Facebook und Apple präsentier­t werden, weil selbst ein Sterben eben nicht in 1 (Vitalfunkt­ionen okay) und 0 (nix mehr) gefasst werden kann, sondern das Schwinden, Gehen, eben ein Übergang ist. Mit anderen Worten: Wir vollziehen im Nachhinein ein bisschen mit, dass es sich stets um Materie handelt, aber nicht nur. Denn merke: Die Interaktio­n von bedrucktem Zellstoff mit seiner jeweiligen Umwelt können wir vielleicht physikalis­ch, biochemisc­h Schritt für Schritt beschreibe­n, um die ganze Ungeheuerl­ichkeit auf den Begriff zu bekommen, bleibt uns aber allenfalls eine Metapher, derer kein Übersetzun­gsprogramm Herr wird. Und eben das Sterbebild­chen. Die Verniedlic­hungsform (warum Bildchen?) mag dabei vielleicht noch von einer Schutzfunk­tion zeugen, das Bild, dieses Stück Papier zeugt aber vor allem davon, dass da jemand war – und, im doppelten Wortsinne, verblichen ist. (cim)

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