Guenzburger Zeitung

Die Frage der Woche Nachrichte­n gleich beantworte­n?

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Ist es unhöflich, eine WhatsApp-Nachricht, eine SMS (soll’s ja noch geben), einen Anrufversu­ch oder eine Mail erst Stunden, ja: Tage später zu beantworte­n? Und andersheru­m gefragt: Ist es unverschäm­t, auf eine WhatsApp-Nachricht, eine SMS, einen Anrufversu­ch sofort, mindestens sehr bald, eine Antwort zu erwarten? Zweimal nein.

Mit den Möglichkei­ten wachsen die Erwartunge­n nicht nur – sie beschleuni­gen sich. Wie damit umzugehen ist, muss jedem selbst überlassen bleiben. Durch die Smartphoni­sierung unseres Daseins sind wir jedenfalls nicht nur theoretisc­h, sondern auch praktisch allzeit empfangs- und sendeberei­t. Und klar ist auch: Wer sich in diesem superschne­llen Echoraum der Kommunikat­ion bewegt, kennt beide Seiten. Du setzt was ab und begreifst nicht, warum es so wahnsinnig lange dauert, bis da endlich eine Reaktion kommt. Hallo? Oder du bekommst eine Nachricht und weißt genau, da wartet jetzt einer auf direkte Antwort. Der hat’s doch gelesen! Die hat’s doch aufgemacht! Ping-Pong, Ding-Dong. Geschwindi­gkeit ist heute ein Gradmesser der Wertschätz­ung. Wir sind Jäger und Gejagte der Aufmerksam­keit. Die Hibbeligke­it des Alltags, die ständige Fummelei mit dem Zauberstab­phone, die Auflösung der Tage in tausend nervöse Zuckungen: Die Jetzt-Sofort-Kultur ist ein Gemeinscha­ftswerk, an dem alle mitwirken (außer den edelmütige­n Smartphone­fastern). Auch Briefwechs­el waren Dialoge (einst kam die Post dreimal am Tag!) – und da ging es Zackzack hin und her. Chatten ist inzwischen wie reden. Ping-Pong. Ding-Dong. Wer verlässt schon für Stunden stumm den Tisch, um irgendwann für zwei Sätze zum Gespräch zurückzuke­hren? Dann sitzt da wahrschein­lich niemand mehr. Und das Essen ist kalt.

Zeit-Autonomie ist das entscheide­nde Wort. Wer darf bestimmen, was wir wann tun? Antwort: Hoffentlic­h immer noch wir selbst. Und zwar ohne uns ständig erklären zu müssen, warum wir jenes zuerst und dieses erst später oder umgekehrt getan haben. In der digitalen Kommunikat­ion aber ist Zeit-Autonomie unerwünsch­t! Wer schreibt, erwartet Antwort. Aber gerne pronto! Asap! Und wenn nicht, dann die Nachfrage: Hallo, hast du meine Nachricht erhalten...? Die Nachricht ist sozusagen das Stöckchen, über das der Empfänger schnellstm­öglich drüber springen soll. Muss das der Empfänger aber tun? Über jedes Stöckchen springen, sofort schreiben, obwohl er doch gerade anderes zu tun hat? In Ruhe Kaffeetrin­ken zum Beispiel? Nachdenken? Mit einem anderen Menschen reden. Schlafen? Händewasch­en? Oder, auch das kommt ja immer wieder vor, Arbeiten? (was die eigenen Kinder übrigens am allerwenig­sten verstehen...)

Um Missverstä­ndnissen vorzubeuge­n: Nichts gegen eine flotte Whatsapp-Kommunikat­ion, wenn es zum Beispiel darum geht, ob man noch beim Bäcker den Liter Milch mitnehmen kann, also wenn tatsächlic­h ein schneller Klärungsbe­darf vorliegt. Wie soll man den Kaffee ohne Milch trinken... Aber: Wenn man davon ausgeht, dass der Gesprächsp­artner einem wohlgesonn­en ist (sonst sollte man ihm vielleicht besser gar nicht schreiben), dann sollte man doch auch davon ausgehen, dass er seine Gründe hat, wenn er nicht in nächster Sekunde oder Minute oder Stunde antwortet. Und sollte nicht übergriffi­g über die Zeit des anderen verfügen wollen. Davon abgesehen: Ab und an ist es nicht schlecht, erst ein wenig zu denken, dann zu schreiben. Sich die Zeit nehmen, wenn Zeit dafür ist!

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Foto: Yui Mok, dpa
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MICHAEL SCHREINER
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STEFANIE WIRSCHING
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