Guenzburger Zeitung

Kollege Roboter

Die Firma Kößler Technologi­e aus Babenhause­n ist ein Vorreiter der Automatisi­erung und Digitalisi­erung. Für den Autozulief­erer läuft es nach wie vor gut. Daimler will noch mehr Produkte des Betriebs

- VON STEFAN STAHL

Die Firma Kößler Technologi­e aus Babenhause­n ist ein Vorreiter der Automatisi­erung und Digitalisi­erung. Wie es dem Automobilz­ulieferer geht, lesen Sie heute auf der Seite

Babenhause­n Die Zahl 100 spielt in der Geschichte der Kößler Technologi­e GmbH eine wichtige Rolle. Denn der Autozulief­erer aus Babenhause­n im Landkreis Unterallgä­u hat im vergangene­n Jahr die Zahl der Mitarbeite­r um etwa 100 auf jetzt 450 gesteigert. In dem einzigen Produktion­swerk arbeiten aber auch rund 100 Roboter. Dabei dürfte das Verhältnis Mensch zu Maschine in dem schwäbisch­en Betrieb bundesweit einen Spitzenwer­t aufweisen.

Das Beispiel der Firma widerlegt die verbreitet­e Annahme, dass eine intensive Automatisi­erung automatisc­h zu einem Arbeitspla­tzabbau führt. So will Kößler zwar nicht mehr so stürmisch wie zuletzt wachsen, ist aber noch auf der Suche nach weiteren Beschäftig­ten. Gleichzeit­ig soll auch die Zahl der Roboter weiter steigen. In der Fabrik arbeiten Mensch und Maschine Hand in Hand. Das Wachstum beider Faktoren bedingt sich gegenseiti­g. Der technikbeg­eisterte Geschäftsf­ührer und Hauptgesel­lschafter Reinhard Kößler ist angesichts des Preiskampf­s in der Automobilz­ulieferind­ustrie gezwungen, die Produkte immer günstiger anzubieten. Das funktionie­rt vor allem über Automatisi­erung.

Um die Maschinen zu steuern, zu betreiben und zu warten, braucht der Unternehme­r zusätzlich­e menschlich­e Kräfte. Nur so kann die Firma wachsen, kommt auf höhere Stückzahle­n und wird wettbewerb­sfähiger. Das allein erklärt den Erfolg des Betriebs, der den Umsatz seit 2015 auf 73 Millionen Euro nahezu verdoppelt hat, nicht. Dass gerade deutsche Autoherste­ller wie Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Mercedes in immer stärkerem Maße auf den vergleichs­weise kleinen Zulieferer setzen und wie Daimler gerne noch mehr Teile des Unternehme­ns kaufen wollen, hängt auch mit der klaren strategisc­hen Ausrichtun­g der Firma zusammen. Wer studieren will, wie Industrie 4.0, also die Digitalisi­erung der Wirtschaft, funktionie­rt, muss nicht zu bekannten Adressen wie dem Siemens-Elektrotec­hnikwerk in das oberpfälzi­sche Amberg pilgern. Es lohnt auch ein Abstecher in das rund 25 Kilometer nordöstlic­h von Memmingen gelegene Babenhause­n, wo Arbeitskrä­fte angesichts von Vollbeschä­ftigung und der abgelegene­n Lage schwer zu bekommen sind.

Wer hier wie die Kößler Technologi­e GmbH kräftig gewachsen ist und Teile der Produktion wie so viele andere Autozulief­erer nicht nach Osteuropa, China oder Mexiko verlagert hat, kommt um die Vernetzung von Automatisi­erung und Digitalisi­erung nicht umhin. Reinhard Kößler verfolgt als Tüftler schon lange den Kurs einer hausgemach­ten Industrie 4.0. Findet der 57-Jährige auf dem Markt nicht die richtigen Lösungen, lautet seine Devise: „Dann machen wir das einfach selbst.“So beschloss Kößler im Jahr 2000, als er den Betrieb von seinem Vater übernahm, nicht auf Standard-EDV-Lösungen zurückzugr­eifen, sondern die Software für das Unternehme­n im Familienbe­trieb entwickeln zu lassen. Die Firma verfügt neben einer eigenen Automatisi­erungsauch über eine eigeIT-Abteilung – beides ungewöhnli­ch für einen Betrieb dieser Größenordn­ung. Da wird schon mal ein Roboter selbst programmie­rt, wenn die Anbieter die Wünsche der anspruchsv­ollen Kößler-Führungsri­ege nicht erfüllen. Geht es darum, spezielle Apps zu entwickeln, mit denen sich via Smartphone etwa die durch den Betrieb sausenden fahrerlose­n Transports­ysteme steuern lassen, bedient sich die Kößler Technologi­e GmbH der Hilfe eines auf dem Gebiet besonders begabten Studenten. Die „Ameisen“genannten Fahrzeuge docken dort an, wo sie es auch sollen. Sie übernehmen alle Transporta­ufgaben in der Firma, sodass sich Fahrten mit Gabelstapl­ern weitgehend erübrigen.

Alle Arbeitsplä­tze sind digital, also papierlos gestaltet. Überall hängen Tablets. Die durch sie erfassten Daten fließen zentralen Info-Sammelstel­len zu. Damit wird ein Mehrwert für die Firma generiert. Denn das System ist offen. ProjektVer­antwortlic­he können also sehen, ob alles nach Plan läuft oder ein Team in Verzug geraten ist. Wo früher solche Daten bei Treffen mündlich abgerufen und aus entspreche­nden Excel-Tabellen vorgelesen wurden, herrscht nun Transparen­z.

Wenn ein einzelner Mitarbeite­r mit seinen Aufgaben hinterherh­inkt, geht auf seinem, am Arbeitspla­tz für alle sichtbar aufgehängt­en Tablet ein rotes Lämpchen an. Beschäftig­te können die Funktion ausne schalten. Nur das täten die wenigsten, versichert Reinhard Kößler. Doch wie kommen die Überwachun­gsfunktion­en an? Regt sich Widerstand gegen die schöne neue und effiziente Industrie-4.0-Welt? Der Firmeninha­ber sagt dazu: „Bei all diesen Dingen muss man mit großer Geduld wochen-, ja monatelang Überzeugun­gsarbeit bei den Mitarbeite­rn leisten. Dann lassen sich Widerständ­e überwinden.“Das gelinge ihm und anderen Führungskr­äften immer wieder. Der Technikfan ist überzeugt, dass er die Beschäftig­ten mit den Segnungen der Digitalisi­erung in ihrer Arbeit unterstütz­t: „Wenn wir sehen, dass einer mit der Produktion nicht nachkommt, können wir ihm helfen und Termine verschiebe­n.“

Zu produziere­n gibt es bei Kößler mehr als genug. Das Unternehme­n stellt Teile für Motoren, Getriebe, Antriebsst­ränge, Fahrwerke, Pumpen, Gehäuse oder Ventile her. Noch leistet es sich die sehr gut ausgelaste­te Firma sogar, vereinzelt Aufträge abzulehnen. Wie kann sich Kößler Technologi­e GmbH das erlauben, rutscht die Autozulief­erbranche doch immer mehr in eine Krise? Kurzarbeit und erste Werksschli­eßungen sind die Folge. Die Verantwort­lichen des Betriebs aus Babenhause­n profitiere­n davon, rechtzeiti­g auf einen Mega-Trend in der Autoindust­rie gesetzt zu haben. Kößler stellt viele Bauteile für bullige SUV-Autos her – ohne zu sehr abhängig zu sein von den in Verruf geratenen Diesel-Fahrzeugen. Darum macht die grassieren­de Krise noch einen Bogen um die schwäbisch­e Firma, die natürlich auch Teile für Elektro-Autos liefert.

Reinhard Kößler, der seit seinem 15. Lebensjahr in dem Betrieb arbeitet, freut sich derweil, dass seine beiden Söhne nach Ausbildung und Studium in den profitable­n Betrieb eingestieg­en sind: „Das macht mich unglaublic­h stolz.“Seine Schwester Sabine ist ebenfalls im Unternehme­n aktiv und verantwort­et den kaufmännis­chen Bereich. In der Abteilung arbeitet auch seine Frau.

Und was hält Kößlers Vater Franz, der den Betrieb 1972 gegründet hat, von den digitalen IndustrieA­mbitionen seines Sohnes? Nachdem der 77-Jährige bei einer Führung die hochautoma­tisierte Fabrik begutachte­t hatte, sagte er: „All das macht mich so glücklich, dass ich noch fünf Jahre länger leben will.“Sein Sohn setzt weiter auf die neueste Technik, hat schon Pläne für den Einsatz weiterer Roboter. Franz Kößler könnte also sehr alt werden.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Kößler Technologi­e ist ein Familien- und Hightech-Unternehme­n. Reinhard Kößler (von links) ist Geschäftsf­ührer und Hauptgesel­lschafter. Seine beiden Söhne Patrick und Sascha arbeiten ebenso im Betrieb wie seine Schwester Sabine.
Foto: Alexander Kaya Kößler Technologi­e ist ein Familien- und Hightech-Unternehme­n. Reinhard Kößler (von links) ist Geschäftsf­ührer und Hauptgesel­lschafter. Seine beiden Söhne Patrick und Sascha arbeiten ebenso im Betrieb wie seine Schwester Sabine.

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