Kollege Roboter
Die Firma Kößler Technologie aus Babenhausen ist ein Vorreiter der Automatisierung und Digitalisierung. Für den Autozulieferer läuft es nach wie vor gut. Daimler will noch mehr Produkte des Betriebs
Die Firma Kößler Technologie aus Babenhausen ist ein Vorreiter der Automatisierung und Digitalisierung. Wie es dem Automobilzulieferer geht, lesen Sie heute auf der Seite
Babenhausen Die Zahl 100 spielt in der Geschichte der Kößler Technologie GmbH eine wichtige Rolle. Denn der Autozulieferer aus Babenhausen im Landkreis Unterallgäu hat im vergangenen Jahr die Zahl der Mitarbeiter um etwa 100 auf jetzt 450 gesteigert. In dem einzigen Produktionswerk arbeiten aber auch rund 100 Roboter. Dabei dürfte das Verhältnis Mensch zu Maschine in dem schwäbischen Betrieb bundesweit einen Spitzenwert aufweisen.
Das Beispiel der Firma widerlegt die verbreitete Annahme, dass eine intensive Automatisierung automatisch zu einem Arbeitsplatzabbau führt. So will Kößler zwar nicht mehr so stürmisch wie zuletzt wachsen, ist aber noch auf der Suche nach weiteren Beschäftigten. Gleichzeitig soll auch die Zahl der Roboter weiter steigen. In der Fabrik arbeiten Mensch und Maschine Hand in Hand. Das Wachstum beider Faktoren bedingt sich gegenseitig. Der technikbegeisterte Geschäftsführer und Hauptgesellschafter Reinhard Kößler ist angesichts des Preiskampfs in der Automobilzulieferindustrie gezwungen, die Produkte immer günstiger anzubieten. Das funktioniert vor allem über Automatisierung.
Um die Maschinen zu steuern, zu betreiben und zu warten, braucht der Unternehmer zusätzliche menschliche Kräfte. Nur so kann die Firma wachsen, kommt auf höhere Stückzahlen und wird wettbewerbsfähiger. Das allein erklärt den Erfolg des Betriebs, der den Umsatz seit 2015 auf 73 Millionen Euro nahezu verdoppelt hat, nicht. Dass gerade deutsche Autohersteller wie Volkswagen, Audi, Porsche, BMW und Mercedes in immer stärkerem Maße auf den vergleichsweise kleinen Zulieferer setzen und wie Daimler gerne noch mehr Teile des Unternehmens kaufen wollen, hängt auch mit der klaren strategischen Ausrichtung der Firma zusammen. Wer studieren will, wie Industrie 4.0, also die Digitalisierung der Wirtschaft, funktioniert, muss nicht zu bekannten Adressen wie dem Siemens-Elektrotechnikwerk in das oberpfälzische Amberg pilgern. Es lohnt auch ein Abstecher in das rund 25 Kilometer nordöstlich von Memmingen gelegene Babenhausen, wo Arbeitskräfte angesichts von Vollbeschäftigung und der abgelegenen Lage schwer zu bekommen sind.
Wer hier wie die Kößler Technologie GmbH kräftig gewachsen ist und Teile der Produktion wie so viele andere Autozulieferer nicht nach Osteuropa, China oder Mexiko verlagert hat, kommt um die Vernetzung von Automatisierung und Digitalisierung nicht umhin. Reinhard Kößler verfolgt als Tüftler schon lange den Kurs einer hausgemachten Industrie 4.0. Findet der 57-Jährige auf dem Markt nicht die richtigen Lösungen, lautet seine Devise: „Dann machen wir das einfach selbst.“So beschloss Kößler im Jahr 2000, als er den Betrieb von seinem Vater übernahm, nicht auf Standard-EDV-Lösungen zurückzugreifen, sondern die Software für das Unternehmen im Familienbetrieb entwickeln zu lassen. Die Firma verfügt neben einer eigenen Automatisierungsauch über eine eigeIT-Abteilung – beides ungewöhnlich für einen Betrieb dieser Größenordnung. Da wird schon mal ein Roboter selbst programmiert, wenn die Anbieter die Wünsche der anspruchsvollen Kößler-Führungsriege nicht erfüllen. Geht es darum, spezielle Apps zu entwickeln, mit denen sich via Smartphone etwa die durch den Betrieb sausenden fahrerlosen Transportsysteme steuern lassen, bedient sich die Kößler Technologie GmbH der Hilfe eines auf dem Gebiet besonders begabten Studenten. Die „Ameisen“genannten Fahrzeuge docken dort an, wo sie es auch sollen. Sie übernehmen alle Transportaufgaben in der Firma, sodass sich Fahrten mit Gabelstaplern weitgehend erübrigen.
Alle Arbeitsplätze sind digital, also papierlos gestaltet. Überall hängen Tablets. Die durch sie erfassten Daten fließen zentralen Info-Sammelstellen zu. Damit wird ein Mehrwert für die Firma generiert. Denn das System ist offen. ProjektVerantwortliche können also sehen, ob alles nach Plan läuft oder ein Team in Verzug geraten ist. Wo früher solche Daten bei Treffen mündlich abgerufen und aus entsprechenden Excel-Tabellen vorgelesen wurden, herrscht nun Transparenz.
Wenn ein einzelner Mitarbeiter mit seinen Aufgaben hinterherhinkt, geht auf seinem, am Arbeitsplatz für alle sichtbar aufgehängten Tablet ein rotes Lämpchen an. Beschäftigte können die Funktion ausne schalten. Nur das täten die wenigsten, versichert Reinhard Kößler. Doch wie kommen die Überwachungsfunktionen an? Regt sich Widerstand gegen die schöne neue und effiziente Industrie-4.0-Welt? Der Firmeninhaber sagt dazu: „Bei all diesen Dingen muss man mit großer Geduld wochen-, ja monatelang Überzeugungsarbeit bei den Mitarbeitern leisten. Dann lassen sich Widerstände überwinden.“Das gelinge ihm und anderen Führungskräften immer wieder. Der Technikfan ist überzeugt, dass er die Beschäftigten mit den Segnungen der Digitalisierung in ihrer Arbeit unterstützt: „Wenn wir sehen, dass einer mit der Produktion nicht nachkommt, können wir ihm helfen und Termine verschieben.“
Zu produzieren gibt es bei Kößler mehr als genug. Das Unternehmen stellt Teile für Motoren, Getriebe, Antriebsstränge, Fahrwerke, Pumpen, Gehäuse oder Ventile her. Noch leistet es sich die sehr gut ausgelastete Firma sogar, vereinzelt Aufträge abzulehnen. Wie kann sich Kößler Technologie GmbH das erlauben, rutscht die Autozulieferbranche doch immer mehr in eine Krise? Kurzarbeit und erste Werksschließungen sind die Folge. Die Verantwortlichen des Betriebs aus Babenhausen profitieren davon, rechtzeitig auf einen Mega-Trend in der Autoindustrie gesetzt zu haben. Kößler stellt viele Bauteile für bullige SUV-Autos her – ohne zu sehr abhängig zu sein von den in Verruf geratenen Diesel-Fahrzeugen. Darum macht die grassierende Krise noch einen Bogen um die schwäbische Firma, die natürlich auch Teile für Elektro-Autos liefert.
Reinhard Kößler, der seit seinem 15. Lebensjahr in dem Betrieb arbeitet, freut sich derweil, dass seine beiden Söhne nach Ausbildung und Studium in den profitablen Betrieb eingestiegen sind: „Das macht mich unglaublich stolz.“Seine Schwester Sabine ist ebenfalls im Unternehmen aktiv und verantwortet den kaufmännischen Bereich. In der Abteilung arbeitet auch seine Frau.
Und was hält Kößlers Vater Franz, der den Betrieb 1972 gegründet hat, von den digitalen IndustrieAmbitionen seines Sohnes? Nachdem der 77-Jährige bei einer Führung die hochautomatisierte Fabrik begutachtet hatte, sagte er: „All das macht mich so glücklich, dass ich noch fünf Jahre länger leben will.“Sein Sohn setzt weiter auf die neueste Technik, hat schon Pläne für den Einsatz weiterer Roboter. Franz Kößler könnte also sehr alt werden.