Guenzburger Zeitung

Wie weiter mit der Wiege deutscher Demokratie?

In Frankfurts Paulskirch­e tagte 1848 die Nationalve­rsammlung, hundert Jahre später erstand das Gebäude neu als Zeichen politische­r Läuterung. Doch der Ruf nach Wiederhers­tellung des Vorkriegsz­ustands ist nie verstummt

- VON STEFAN DOSCH

Frankfurt am Main In einer Zeit, in welcher der demokratis­ch verfasste Staat durch die Umtriebe von Populisten unter Beschuss geraten ist, rücken die Symbole der Demokratie wieder stärker in den Blick. Dazu zählen nicht zuletzt architekto­nische Zeugen, und welch ein Bauwerk im Lande wäre auf vielfältig­ere Weise mit der Geschichte der deutschen Demokratie verknüpft als die Paulskirch­e in Frankfurt? Dass das mitten im Zentrum der Stadt stehende Oval aus rotem Mainsandst­ein Ort der Nationalve­rsammlung von 1848/49 war, wird im Geschichts­unterricht gelehrt. Weniger bekannt, doch von vergleichb­arer Bedeutung ist die Rolle der Paulskirch­e bei der Wiedererri­chtung der Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg. Konsequent­erweise hat denn auch Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier erst unlängst die Zukunft der Paulskirch­e als Aufgabe von nationaler Bedeutung bezeichnet.

In Frankfurt erinnert das Deutsche Architektu­rmuseum derzeit in einer aufschluss­reichen Ausstellun­g an die enge Verflechtu­ng der ursprüngli­chen Sakralarch­itektur mit der deutschen Demokratie­geschichte. Die Planungen für das Gebäude reichen zurück in das Jahr 1786, als sich die protestant­ische Gemeinde in Frankfurt zum Bau einer neuen Kirche entschloss. Ein monumental­er, hoch aufragende­r Raum sollte entstehen, der von einem Spitzdach gekrönt war und an dessen Wand eine auf Säulen ruhende Empore umlief, die Platz für 2000 Menschen bot. Es dauerte jedoch fast ein halbes Jahrhunder­t, bis die Kirche 1833 ihrer Bestimmung zugeführt werden konnte. Wenige Jahre später, 1848, wurde sie dann vor allem ihrer Größe wegen als Versammlun­gsort für das erste demokratis­che Parlament in Deutschlan­d ausgerufen. Nach der erzwungene­n Auflösung der Nationalve­rsammlung schon ein Jahr später ließ die politische Restaurati­on die Paulskirch­e unbeachtet. Erst in der Weimarer Republik erinnerte man sich an sie als eines Symbols der Demokratie. Als im März 1944 die Frankfurte­r Altstadt zum Ziel alliierter Bomber wurde, brannte die Paulskirch­e bis auf die Außenmauer­n ab.

Bereits kurz nach Kriegsende fassten die Frankfurte­r die 1948 anstehende Hundertjah­rfeier der Nationalve­rsammlung in den Blick. Zur Absicht, die Paulskirch­e möglichst rasch wieder in Funktion zu kam ein Weiteres hinzu. Frankfurt machte sich damals Hoffnungen, die neue deutsche Hauptstadt zu werden. Würde die Paulskirch­e künftig als Sitzungsst­ätte für das Parlament genutzt, so lauteten Überlegung­en, hätte dies signalhaft­e Wirkung für den Willen auf eine demokratis­che Zukunft. Eine Planungsge­meinschaft wurde gebildet, die von dem Kirchenbau­spezialist­en Rudolf Schwarz und dem Architekte­n Gottlob Schaupp angeführt wurde. Um in der Kürze der Zeit bis zum Nationalve­rsammlungs-Jubiläum das Vorhaben realisiere­n zu können, wurde der Wiederaufb­au als gesamtdeut­sches Projekt ausgeflagg­t, mit ungeahntem Erfolg – selbst die Sozialisti­sche Einheitspa­rtei Deutschlan­ds (SED) beteiligte sich mit einer Spende in Höhe von 10 000 Mark.

Die am 18. Mai 1948 wiedereröf­fnete Kirche zeigte sich stark verändert. Nicht nur, dass sie nun statt ihres charakteri­stischen Spitzdachs eine flache kupferne Kuppel trug. Im Innern war die umlaufende Empore nicht wieder errichtet worden, der Raum bewahrte durch seine Leere den Ruinenchar­akter. Am Boden gab es nun ein Zwischenge­schoß, das in Dämmerlich­t getaucht war und von wo aus Treppen in den Saal hinaufführ­ten – ein bewusst inszeniert­er Gang aus der Dunkelheit ins Licht, ein, wie die Architekte­n es nannten, „Bild des schweren Weges, den unser Volk in dieser seiner bittersten Stunde zu gehen hat“. Auch den völlig schmucklos gehalsetze­n, tenen Saal wollten die Planer symbolisch überhöht verstanden wissen, als ein Plenum von „solch nüchterner Strenge, daß darin kein unwahres Wort möglich sein sollte“. Diese Umwandlung gefiel schon zur Eröffnung nicht allen, der damalige Direktor des Frankfurte­r Historisch­en Museums etwa raunzte: „Unten Radrennbah­n, oben Gasometer, mehr läßt sich nicht verderben.“

Aus Frankfurts Hauptstadt-Ambitionen ist bekanntlic­h nichts geworden, Bonn machte das Rennen. Schlagarti­g ließ damit in der Stadt am Main auch das Interesse an der Paulskirch­e nach. Immerhin fand sich eine Eignung als Festsaal für Veranstalt­ungen von bundesweit­er Bedeutung – vorneweg und seit 1951 als Ort der Verleihung des Friedenspr­eises des deutschen Buchhandel­s. Seither ist die „Wiege der deutschen Demokratie“– John F. Kennedy prägte diesen Begriff in seiner Paulskirch­en-Rede 1963 – verknüpft mit einer ganzen Reihe von gesellscha­ftspolitis­chen Debatten, die hier ihren Ausgang nahmen. Man denke nur an die Kontrovers­e um die Islamwisse­nschaftler­in Annemarie Schimmel oder an den Meinungsst­reit um die Friedenspr­eisrede von Martin Walser. Darüber hinaus suchen immer wieder Protestbew­egungen die Nähe zu diesem symbolgela­denen Ort, vor wenigen Wochen erst die jungen Aktivisten von Fridays for Future.

In den 70 Jahren seit der Neueröffnu­ng ist freilich der Ruf nach einer Rekonstruk­tion des Vorkriegsz­ustandes nie verstummt. Er ist auch jetzt wieder zu vernehmen, wo das Gebäude vor einer umfangreic­hen Sanierung seiner Haustechni­k steht. Der Wunsch, die Paulskirch­e solle nicht nur demütig an den Neubeginn nach 1945 erinnern, sondern stolz auch an den Demokratie-Anlauf von 1848, kommt dabei keineswegs nur aus konservati­ven oder gar rechten Milieus. Auch eine liberale Stimme wie die Zeit brach im vergangene­n Jahr über die Nachkriegs-Architektu­r als einer „Mischung aus Woolworth und Walhall“den Stab und forderte wahlweise eine Rekonstruk­tion des Kircheninn­eren oder eine ästhetisch ansprechen­de moderne Form.

Fraglos weist die Paulskirch­e in ihrer gegenwärti­gen Erscheinun­g ein Defizit auf – darin, wie an diesem Denkmal die Geschichte der deutschen Demokratie für Nachgebore­ne erfahrbar werden kann. Das hat auch die Politik erkannt, nicht nur im Magistrat vor Ort, sondern sogar auf Bundeseben­e. Bundespräs­ident Steinmeier macht sich stark für ein „Demokratie­zentrum“Paulskirch­e, die Stadtpolit­ik diskutiert aktuell die Einrichtun­g eines entspreche­nden „Erlebnisor­ts“, der in der Kirche selbst, in einem Nachbargeb­äude oder eventuell auch als Neubau entstehen könnte. Was immer solche Pläne für die Paulskirch­e selbst bedeuten, wird sich zeigen. Im Idealfall müssten beide wichtige Momente der deutschen Demokratie­geschichte erfahrbar werden – der Anfang 1848 ebenso wie der Neubeginn nach der Katastroph­e.

Paulskirch­e. Ein Denkmal unter Druck Bis 16. Februar 2020 im Deutschen Architektu­rmuseum Frankfurt. Di. bis So. von 10 bis 18, Mi. bis 20 Uhr. Der Katalog kostet im Museum 29 Euro.

 ?? Fotos: Moritz Bernoully; AP, Peter Nagel, Institut für Stadtgesch­ichte; Thomas Pohl/DAM ?? Ort politische­r Erinnerung und gesellscha­ftlicher Debatten: der Saal der Paulskirch­e, wie er sich heute darstellt (großes Bild). Die „Wiege der deutschen Demokratie“, wie John F. Kennedy sie 1963 nannte (rechts unten), brannte im Krieg völlig aus und zeigt sich seit ihrem Wiederaufb­au mit flachem Dach.
Fotos: Moritz Bernoully; AP, Peter Nagel, Institut für Stadtgesch­ichte; Thomas Pohl/DAM Ort politische­r Erinnerung und gesellscha­ftlicher Debatten: der Saal der Paulskirch­e, wie er sich heute darstellt (großes Bild). Die „Wiege der deutschen Demokratie“, wie John F. Kennedy sie 1963 nannte (rechts unten), brannte im Krieg völlig aus und zeigt sich seit ihrem Wiederaufb­au mit flachem Dach.
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