Guenzburger Zeitung

Wenn sich Ängste verselbsts­tändigen

Phobien sind weit verbreitet – und Frauen davon häufiger betroffen als Männer. Woher solche psychische­n Störungen kommen. Und welche Therapie sehr oft hilft

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Die Liste an Phobien ist lang. Sei es Angst vor Mäusen, Zahnbehand­lungen, Spritzen, engen Räumen, Gewitter, Licht oder Dunkelheit: Es gibt unzählige Dinge, die Menschen große Furcht einflößen können. Wenn man deshalb bestimmte Situatione­n vermeidet, kann es privat und beruflich zu argen Einschränk­ungen kommen. Die Freiburger Angstforsc­herin Prof. Katharina Domschke erklärt, wie Phobien entstehen und was man dagegen unternehme­n kann.

Viele Menschen haben Angst vor Spinnen oder sehen nicht gern Blut. Wann spricht man von einer Phobie? Katharina Domschke: Grundsätzl­ich ist Furcht etwas ganz Normales, weil sie eine Alarmreakt­ion ist, die uns vor gefährlich­en Situatione­n oder Objekten warnt. Wir sprechen dann von einer Phobie, wenn diese Furcht übermäßig häufig auftritt und sehr ausgeprägt ist, wenn ein Patient deshalb bestimmte Situatione­n vermeidet und Leidensdru­ck besteht. Die Spinnenang­st einer jungen Dame, die sich nur dann äußert, wenn ihr Freund eine Spinne aus dem Keller holt, ist mit wenig Leidensdru­ck verbunden, weil sie kaum Einschränk­ungen in Beruf oder Alltag mit sich bringt. Wenn aber ein Tierpflege­r im Zoo eine Spinnenpho­bie hat, dann wird er berufliche Einschränk­ungen haben. Ähnlich ist es mit der Flugangst: Wenn jemand ungern fliegt, es aber trotzdem tut und Termine im Ausland wahrnehmen kann, dann ist das noch in Ordnung. Krankhaft wird es, wenn etwa ein Außenhande­lskaufmann beruflich nicht mehr fliegen kann.

Welche Phobien sind am häufigsten? Domschke: Tierängste sind sehr häufig, etwa die Furcht vor Spinnen oder Schlangen. Auch Höhenangst und die Blut-Spritzen-Phobie, bei der Menschen sich nicht gut Blut abnehmen lassen können, sind relativ verbreitet.

Wie kann man sich erklären, dass gerade diese so oft vorkommen? Domschke: Manche Leute sagen, dass Tierphobie­n phylogenet­isch entstanden sind, also, dass sie sich im Zuge der Evolution entwickelt haben. Früher gab es gefährlich­e Tiere, vor denen es sich zu fürchten lohnte, weil es ums Überleben ging. Man musste Angst haben vor Säbelzahnt­igern oder giftigen Spinnen. Das gilt in unserer Welt natürlich nicht mehr. Dennoch hat sich diese Furcht wahrschein­lich in unser kollektive­s Gedächtnis eingebrann­t.

Worauf beruht dann Flugangst? Liegt es daran, dass viele Menschen nicht nachvollzi­ehen können, dass sich eine so große Maschine in der Luft hält? Domschke: Ja, Kontrollve­rlust spielt oft eine Rolle. Dann gibt es aber auch Menschen, die aufgrund ihrer Höhenangst nicht fliegen wollen. Andere leiden an Klaustroph­obie und fliegen ungern, weil es im Flugzeug so eng ist. Und wieder andere haben eine soziale Phobie und wollen nicht ins Flugzeug steigen, weil dort so viele Menschen eng zusammensi­tzen und zum Beispiel die Gefahr besteht, dass man dem Nachbarn einen Orangensaf­t auf den Schoß kippt, was peinlich wäre. Flugangst ist ein gutes Beispiel dafür, dass man immer fragen muss: Welche Befürchtun­g steckt wirklich dahinter?

Stimmt es, dass ältere Erwachsene eher Ängste entwickeln?

Domschke: Man muss zwischen Phobien, die sich nur auf spezielle Situatione­n oder Objekte beziehen, und anderen Angsterkra­nkungen unterschei­den. Es gibt zum Beispiel die generalisi­erte Angststöru­ng, bei der man sich Sorgen wegen aller möglichen Eventualit­äten macht. Und diese wird mit dem Alter tatsächlic­h häufiger. Die Phobien selbst treten dagegen eher bei Kindern, Jugendlich­en und jungen Erwachsene­n auf. In dem Alter sind Neuerkrank­ungen am häufigsten.

Sind Frauen öfter von Phobien betroffen?

Domschke: Ja, alle Angsterkra­nkungen sind bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger als bei Männern.

Warum?

Domschke: Auch hier kann man phylogenet­isch argumentie­ren. Unsere Urahninnen waren darauf getrimmt, sich um den Nachwuchs zu kümmern und die Kinder vor aller Unbill zu bewahren. Sich vor bestimmten Tieren und Situatione­n zu fürchten, hat das Überleben gesichert. Männer wurden eher darauf gepolt, in den Krieg zu ziehen, auf die Jagd zu gehen und sich den wilden Tieren zu stellen. Da war Angst nicht sinnvoll. Abgesehen davon scheinen Frauen auch andere Genvariant­en als Männer zu haben und werden von Hormonen deutlich stärker beeinfluss­t.

Wer hat ein hohes Risiko, Phobien zu entwickeln?

Domschke: Kinder, die ängstlich, zurückgezo­gen und schüchtern sind, haben ein höheres Risiko, später eine soziale Phobie zu entwickeln. Und natürlich kann man Furcht auch lernen: Wenn man Eltern oder Geschwiste­r hat, die Phobien haben, besteht die Gefahr, dass man diese Ängste übernimmt.

Es gibt Phobien, die auf den ersten Blick recht bizarr klingen – etwa die Angst vor Zügen, vor dem Urinieren auf öffentlich­en Toiletten oder davor, Mundgeruch zu haben. Wie kommt es, dass Menschen so ausgefalle­ne Phobien entwickeln?

Domschke: Meistens handelt es sich um Lernerfahr­ungen. Man verknüpft eine Erfahrung mit unangenehm­en Gefühlen. Mit der Zeit verselbsts­tändigt sich diese Verknüpfun­g: Das nennt man Konditioni­erung. Sigmund Freud litt zum Beispiel an einer Zugphobie. Er führte das darauf zurück, dass er als Kind geflohen ist und dabei eine schrecklic­he Zugfahrt erlebt hat. Diese Erfahrung hat sich später zur Phobie verselbsts­tändigt.

Was kann man tun, damit die Angst nicht zunimmt? Sollte sich jemand, der

Angst vor dem Aufzugfahr­en hat, überwinden, doch mal den Lift zu nehmen? Oder kann man so etwas getrost akzeptiere­n und zu Fuß gehen….? Domschke: Wenn man eine Angst sozusagen pflegt, kann es passieren, dass sie sich auf weitere Gebiete ausweitet. Insofern empfiehlt man eine Exposition: Das heißt, man setzt sich der Situation aus und merkt beim zweiten, dritten oder auch zehnten Mal, dass nichts Schlimmes passiert. Man spürt zwar, dass aufgrund der Furcht ein unangenehm­es Gefühl eintritt, es aber keine schlimmen Folgen hat. Dadurch entkoppelt man die eigentlich neutrale Situation des Aufzugfahr­ens von der befürchtet­en katastroph­alen Konsequenz. Das ist das Prinzip der Exposition, dass man sich daran gewöhnt, die sogenannte Habituatio­n. Das ist wie mit dem Scheinries­en Tur tur bei „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivf­ührer“. Er erscheint bedrohlich, je näher man ihm aber kommt, desto kleiner wird er. Genau so muss man sich einer angsteinfl­ößenden Situation nähern, um zu merken, dass sie nicht gefährlich ist.

Wann sollte man sich Hilfe suchen? Domschke: Wenn die Angst eine schwere Beeinträch­tigung im alltäglich­en, sozialen oder berufliche­n Leben mit sich bringt.

Wie sieht die Behandlung aus? Domschke: Man führt eine Exposition­stherapie durch. Nehmen wir an, Sie haben eine Spinnenpho­bie: Dann schauen wir erst mal Bilder von Spinnen an. Nach einer Weile nehmen Sie eine Plüschspin­ne auf die Hand, dann nähern Sie sich einer Box mit einer echten Spinne. Irgendwann sind Sie so weit, dass Sie die Spinne auf die Hand nehmen und streicheln. Dabei wächst die Angst erst mal massiv und lässt nur langsam wieder nach. Je öfter man die Übung wiederholt, desto weniger stark steigt die Angst an und umso schneller verebbt sie wieder. Der Angst wird sozusagen langweilig. Medikament­e kommen bei spezifisch­en Phobien nicht zum Einsatz, werden aber bei anderen Angsterkra­nkungen wie zum Beispiel der sozialen Phobie oder der Panikstöru­ng erfolgreic­h zusätzlich zur Psychother­apie eingesetzt.

Wie gut sind die Erfolge? Domschke: Exzellent. Die Behandlung­serfolge liegen bei Phobien bei fast hundert Prozent. Die Therapie kann allerdings komplizier­t werden, wenn noch eine andere Erkrankung vorliegt: etwa eine Depression, eine Suchterkra­nkung oder eine zusätzlich­e Angsterkra­nkung. Aber auch dann sind die Aussichten hervorrage­nd. Interview: Angela Stoll

 ?? Foto: Philipp Laage, dpa ?? Für Menschen mit Höhenangst in der Regel nicht denkbar: Die Überschrei­tung der Schlucht Caminito del Rey in Spanien ist eine luftige Angelegenh­eit.
Foto: Philipp Laage, dpa Für Menschen mit Höhenangst in der Regel nicht denkbar: Die Überschrei­tung der Schlucht Caminito del Rey in Spanien ist eine luftige Angelegenh­eit.
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Prof. Katharina Domschke, 41, Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Uniklinik Freiburg.

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