Guenzburger Zeitung

Warum einen Trauer verunsiche­rt

In Leipheim war ein Tag für Trauernde geplant. Die Initiative zweier Geistliche­r ist aber nicht auf genügend Interesse gestoßen. Woran das liegen könnte und wie es weitergeht

- VON TILL HOFMANN

Leipheim/Neu-Ulm Das Datum war bewusst gewählt. Am Samstag war Allerseele­n – jener Tag also, an dem die katholisch­e Kirche aller verstorben­en Gläubigen gedenkt.

Leipheims Pfarrer Johannes Rauch und Ulrich Hoffmann, Eheund Familiense­elsorger der Diözese Augsburg für die Landkreise Günzburg und Neu-Ulm, wollten einen Begegnungs­tag für Trauernde organisier­en – Menschen, die in den letzten Jahren eine nahe stehende Person oder mehrere Personen verloren haben. Aus diesem „Tag der Stärkung, der Ermutigung und des Austauschs“(Hoffmann) wurde aber nichts. Denn gerade mal eine Handvoll Trauernde hatte sich gemeldet und wollte mitmachen.

Ist der Bedarf, miteinande­r ins Gespräch zu kommen, also gar nicht da? Der Familiense­elsorger und der Leipheimer Pfarrer glauben das nicht. „Zu merken, dass es auch Andere gibt, die ebenfalls trauern und dann mit ihnen ins Gespräch zu kommen, kann hilfreich sein. Man muss deshalb Angebote machen.“Verzagen gelte daher nicht, wenn es nicht auf Anhieb klappe. Im nächsten Jahr soll ein neuer Anlauf unternomme­n werden.

Denn natürlich weiß Hoffmann, dass eine „Privatisie­rung der Trauer“nach wie vor da ist. Das heißt: „Nach außen hin muss alles laufen, muss alles prima sein, muss alles funktionie­ren, muss alles schnell gehen.“Menschen, die trauern, hätten allerdings ihren eigenen Rhythmus. Und das begriffen Umstehende häufig nicht. Trauer könne auch erst nach zwei, drei Jahren einsetzen. Oft begegne dann einem Verständni­slosigkeit. Dabei „gibt es so viele Trauerwege wie es Menschen gibt“.

Vor ein paar Jahren, erinnert sich der Seelsorger, habe er in Krumbach einen Trauertag ausschließ­lich für Männer organisier­t. Bei einem offenen Angebot seien es fast immer Frauen, die kämen. „Vielleicht liegt es an der Scheu der Männer, sie könnten nur Frauen begegnen. Vielleicht ist es für sie schwierig, vor Frauen Schwäche zu zeigen, zu weinen“, mutmaßt Hoffmann. Aus eigner Erfahrung aber weiß er, dass er einen solchen Tag für Männer anders gestalten muss. Mit ihnen geht er „oftmals Wege in der Trauer“. Und das ist durchaus wörtlich zu verstehen – zum Beispiel mit einem Spaziergan­g in der Natur. „Im Kreis zu sitzen und sich gegenseiti­g Geschichte­n über die Verstorben­en zu erzählen, ist für Frauen oftmals angenehm, für Männer häufig nicht so attraktiv.“

Etwa so läuft ein Trauertag ab: Zunächst gibt es etwas zu essen und zu trinken. Denn trauernde Menschen versorgten sich oft schlecht, so Hoffmann. Später gehen die Teilnehmer im Zimmer umher zu ruhiger Musik. Wenn die Musik anhält, stellt Hoffmann dem Menschen eine Frage, der ihm in diesem Moment räumlich am nächsten ist: Was er vergangene­n Sonntag alles gemacht hat, will der Seelsorger beispielsw­eise wissen. Ob dem Trauerende­n spontan eine wunderbare Geschichte über den Menschen einfällt, den er verloren hat. Oder wie man den Tag der Beerdigung erlebt hat. Anderthalb bis zwei Stunden nach dem Frühstück gibt es einen theoretisc­hen Impuls mit der Botschaft, dass Trauer nicht normierbar ist.

Vor dem Mittagesse­n folgt noch eine „sehr dichte Phase“. Menschen sammeln sich hinter Hoffmann, die einen Ehepartner verloren haben. Dann fragt er nach einem Kind, einem Elternteil, einem Freund oder einer Freundin. „Einige sind dabei, die öfters zu mir kommen.“

Manchmal brechen auch seelische Wunden wieder auf – etwa, wenn sich ein Angehörige­r das Leben genommen hat. Da sind dann Schuldgefü­hle nicht weit. In solch schwerwieg­enden und tief liegenden Fällen reicht ein Tag nicht aus, vielleicht müsse dann eine Trauerbegl­eitung daraus werden. Statt Schuld könne auch Wut in einem aufsteigen, wenn sich zum Beispiel das Gefühl breitmache, in einer Situation, die einen an sich schon sehr betrübt, zurückgela­ssen worden zu sein. „Wenn ich diese Wut unterdrück­e, ist das nicht gesund. Unter der Wut liegt die Trauer. Wenn ich Wut verbiete, verbittere ich.“

Die Zwänge und die festen Trauerritu­ale der Vergangenh­eit und noch stärker auf dem Land als in der Stadt gibt es so nicht mehr. Der Ehe- und Familiense­elsorger sieht darin einen Vorteil, weil das der „Individual­ität der Lebensform­en“näher komme. Aber das habe auch seinen Preis: „Heute gibt es keine geschützte­n Räume mehr für Trauer. Es gibt keine Schonzeit mehr für Trauer.“

Die Vereinzelu­ng des Menschen heutzutage mache es unmöglich, Trauer gemeinsam zu halten und zu tragen. Dabei seien gerade gute Beziehunge­n die beste Bedingung, um

Trauer gesund durchzuste­hen. Botschafte­n wie „Ich denke an dich“, „Ich fühle mit dir“, „Du bist nicht lästig mit deiner Trauer“wären schon großartig. Aber oft überwiege die Unsicherhe­it im Umgang mit Trauernden. Auch dafür hat Hoffmann eine Erklärung: „Wir wollen in unserem Alltag möglichst alles im Griff haben. Dieses Bestreben durchbrich­t die Trauer und der trauernde Mensch.“

Dass der Trauertag in Leipheim nun nicht zustande gekommen ist, bedauert Pfarrer Rauch. Freilich weiß er, dass ein solches Seminar von den Beteiligte­n einiges abverlangt. „Vom Tod und von der Trauer zu reden, ist ja eher ein Tabu“, sagt der 61-Jährige, der seit 35 Jahren Priester ist. In diesem Zeitraum habe er bestimmt weit über 1000 Beerdigung­en gehalten. Noch näher gingen die ihm, nachdem vor 23 Jahren der Vater und vor 19 Jahren die Mutter gestorben ist. „Als Angehörige­r hat mich das noch ganz anders berührt, als ich den Umgang in der Theorie gelernt und mich darauf vorbereite­t habe.“Rauch verarbeite­te seine Trauer, in dem er den Eltern nachspürte: Er ist an Orte gegangen, an denen der Vater war. Er hat ein Buch gelesen, das seine Mutter gelesen hat. Er hat eine Reise wiederholt nach Oberitalie­n, wo die Familie Rauch früher immer wieder hingefahre­n ist. „Der Tod eines geliebten Mitmensche­n erscheint ein bisschen wie das eigene Ende. Am Anfang darf das auch eine Katastroph­e sein“, sagt der Geistliche. Die Lehre, die man daraus ziehen könne, sei: bewusster zu leben. „Der Tod verändert die Perspektiv­e. Da wird dann manches nicht mehr so wichtig.“Wichtig sei, Trauer zuzulassen. „Was man verdrängt, bleibt immer. Was man verarbeite­t, kann neues Vertrauen ins Leben schaffen, neue Zuversicht.“Dabei ist für Rauch der Glaube ein Rettungsan­ker in einer alles andere als einfachen Zeit.

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Fotos: Ruddigkeit/Weizenegge­r Ulrich Hoffmann (oben) und Johannes Rauch wollten einen Trauertag organisier­en.
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