Guenzburger Zeitung

Die Grünen haben von den Konservati­ven gelernt

Leitartike­l Einigkeit ist Trumpf: Vor dem Parteitag geht es zwischen Fundis und Realos so friedlich zu wie noch nie. Diese neue Geschlosse­nheit honorieren auch die Wähler

- VON CHRISTIAN GRIMM christian.grimm@augsburger-allgemeine.de

Eigentlich gehört zu den Grünen das Flügelschl­agen dazu wie der Anti-Atomkraft-Aufkleber mit der strahlende­n Sonne. Kein Parteitag ohne beinharte Kämpfe linksortho­doxer Fundis gegen gemäßigter­e Realos. An der tiefen gegenseiti­gen Abneigung der Partei-Ikonen Joschka Fischer (Realo) und Jutta Ditfurth (Fundi) lässt sich ablesen, mit welcher Inbrunst sich die Parteiflüg­el einst beharkten.

Doch das sind Geschichte­n aus der Vergangenh­eit. Die Grünen sind vor ihrem an diesem Freitag beginnende­n Parteitag geschlosse­n wie nie. Der aktuelle Streit um die Wirksamkei­t von homöopathi­schen Arzneimitt­eln wirkt wie eine Petitesse im Vergleich zu den früheren Konfliktth­emen, als es um Krieg und Frieden ging. Die Wähler honorieren diese neue Eintracht mit starken Umfragewer­ten und bis auf wenige Ausnahmen starken Wahlergebn­issen. Normalerwe­ise laborieren linke Parteien stärker an sich selbst, als es konservati­ve tun. Linksparte­i und SPD geben seit Jahren Anschauung­sunterrich­t in dieser speziellen Kunst. Die Linke zerfällt in Marxisten und Realos, die SPD in Gegner und Befürworte­r der Hartz-Reformen von Altkanzler Gerhard Schröder. Die Grünen haben beide Konkurrent­en mittlerwei­le meilenweit abgehängt.

Begünstigt wird der Höhenflug einerseits durch den Klimawande­l. Den Kampf gegen die Aufheizung der Erde verkörpert keine andere Partei glaubwürdi­ger als die Grünen. Das Top-Thema der vergangene­n und der kommenden Jahre besetzen sie. Anderersei­ts spielt den Grünen die ungewohnte Unordnung der CDU in die Hände. Am Ende der Ära Merkel sind es die Christdemo­kraten, die heftig mit den Flügeln schlagen. Die Merkeliane­r wollen den Kurs der Mitte halten, während Wertkonser­vative und Wirtschaft­sflügel die Partei wieder in angestammt­es Territoriu­m zurückschi­eben wollen. Der Ausgang dieses Machtkampf­es ist offen.

Die Grünen haben also von den Konservati­ven gelernt, dass Einigkeit Trumpf ist. Selbst als der OberRealo Cem Özdemir kürzlich überrasche­nd und vergeblich nach dem Vorsitz der Bundestags­fraktion griff, hat das den grünen Landfriede­n nur kurz gestört. In Regierungs­verantwort­ung würden die

Grünen derzeit staatstrag­ender agieren als die CDU. Dass die innerparte­ilichen Strömungen bei den Grünen ihre Differenze­n bei wenig Hitze austragen, hat viel damit zu tun, dass Fundis und Spontis stark an Einfluss verloren haben. Gleichzeit­ig tickt die Gesellscha­ft längst grün. Die tonangeben­den Schichten in den Großstädte­n denken grün-liberal.

Die Wirtschaft, für die die Grünen früher ein rotes Tuch waren, stellt sich auf diesen Wandel ein. Der Parteitag soll ein Wirtschaft­sprogramm verabschie­den, das der Industrie den Weg in die klimafreun­dliche Produktion weist. Meinen die Unternehme­n es ernst mit ihrem Bekenntnis zum Klimaschut­z, können sie den Beschluss nicht ignorieren. Dass die einstigen Schreckges­penster im Denken der Chefetagen angekommen sind, zeigt deutlich, dass sie Teil des Establishm­ents sind. Auch hier haben sie CDU, CSU und FDP Wasser abgegraben. Revoluzzer­tum passt da nicht mehr ins Konzept.

Deshalb wird es auch keine Überraschu­ngen bei der Wahl der Parteispit­ze geben. Robert Habeck und Annalena Baerbock sitzen unangefoch­ten auf ihren Chefsessel­n. Spannend wird nur, wer von beiden in Bielefeld das bessere Ergebnis bekommt. Die Grünen wären von allen guten Geistern verlassen, würden sie sich jetzt eine Kanzlerdeb­atte aufdrücken lassen. Frühe Kanzlerkan­didaten verlieren schnell ihren Glanz und werden zerredet. Annegret Kramp-Karrenbaue­r kann ein Lied davon singen.

In den Städten denken viele längst grün-liberal

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