Guenzburger Zeitung

Uli Hoeneß, Rentner

Er wollte den FC Bayern „durchs große Tor“verlassen. Sein Verein erfüllt ihm diesen Wunsch: 19 Uhr, Olympiahal­le München, große Bühne, große Gefühle. Die schillernd­ste Figur der deutschen Fußball-Szene tritt ab. Aber schafft er das überhaupt?

- VON TILMANN MEHL

München Viel mehr Platz war nicht mehr in diesem Fußballerl­eben. Europameis­ter mit 20 Jahren, einen Elfmeter ins Belgrader Firmament genagelt, Weltmeiste­r, Karriereen­de mit 27. Zwischendr­in ein paar Meistersch­aften, drei Europapoka­lsiege. Überaus wahrschein­lich, dass sich die Persönlich­keitsstruk­tur unter diesen Eindrücken entwickelt.

Wer sagt, er habe sich im Verlauf der Jahre nicht verändert, ist entweder ein Schwindler oder allzu simpel gestrickt. Uli Hoeneß hat sich im Lauf der Jahre verändert und ist sich doch treu geblieben. Verfechter der Marktwirts­chaft, die auch gerne sozial sein darf – wenn es nur dem FC Bayern nicht schadet. Gerechtigk­eitsfanati­ker, klar. Vorwiegend, wenn es um seinen Verein geht.

Aber diese Steuergesc­hichte dann wieder auf der anderen Seite.

Fähig, zur Versöhnung. Christoph Daum und Willi Lemke wissen Bescheid. Paul Breitner nicht.

Uli Hoeneß, gefühliger Arroganzli­ng. Ein Mann wie der FC Bayern. Uli Hoeneß ist der FC Bayern. Er war der FC Bayern. Wenn der 67-Jährige auf der Jahreshaup­tversammlu­ng an diesem Freitag sein Mandat als Präsident der Münchner abgibt, ist es der größte Einschnitt in der Geschichte des Vereins.

Als 18-Jähriger schloss sich der Ulmer Metzgersso­hn 1970 einem Verein an, der wusste, was er sein will: ein Klub des Establishm­ents und der Arbeiter. Strahlend und erdverbund­en. Personifiz­iert durch den schillernd­en Franz Beckenbaue­r und den schlichten Gerd Müller.

Dann kamen Hoeneß und Breitner. Forsche Jünglinge, nicht bereit, sich ein- oder gar unterzuord­nen. Mögen es Müller, Beckenbaue­r und der immerzu schlawiner­nde Sepp Maier gewesen sein, die für die großen Triumphe von Verein und Nationalma­nnschaft Pate standen – ohne die juvenilen Antiautori­tären waren sie nicht denkbar. Hoeneß und Breitner hatten das Selbstbewu­sstsein, ihre Bedeutung nicht zu unterschät­zen. In dieser Hinsicht immerhin haben sie sich nicht verändert.

Breitner wandte sich immer mal wieder von den Münchnern ab. Posierte mit Mao-Bibel, kickte für den Franco-Klub Real Madrid. Flexibel auf und neben dem Feld. Und somit der Antipode zu Hoeneß.

Der stürmte immer und immerzu vorwärts. Taktieren sollen die, die es nötig haben. So führte er auch 40 Jahre den FC Bayern. Als ihn 1979 eine Knieverlet­zung zum KarriereEn­de zwang, mögen andere darüber gestaunt haben, als er 27-jährig den Managerpos­ten bezog. Hoeneß nicht. Er reiste in die USA, sah sich an, auf welch irrsinnige Weise sich Einnahmen steigern ließen. Statt ausschließ­lich auf volle Stadien und exorbitant­e Ticketverk­äufe zu setzen, boten diese Amerikaner doch tatsächlic­h Trikots und allerhand Tand mit dem Logo des Klubs an. Merchandis­ing. Seitdem auch in Deutschlan­d.

Wer Hoeneß’ generelle Abscheu für das Internet kennt, wird ihn aber nur schwerlich als Visionär bezeichnen können. Er besitzt weder

E-Mail-Adresse noch Social-MediaAccou­nt. Berichte aus diesem Internet lässt er sich von seiner Sekretärin ausdrucken. Lässt sich so ein Multimilli­onen-Euro-Unternehme­n führen? Haben Zebras Streifen? Hoeneß passte sich nie dem Zeitgeist an, den Verein aber sehr wohl. Weil er sich nie Meinungen seiner engsten Mitarbeite­r verweigert­e, weil er sich Expertise ins Haus holte, auch wenn er ihr misstrauis­ch gegenübers­tand. Klinsmann und van Gaal, Sammer und Rehhagel. Den Großteil freilich erledigte er höchstselb­st. „Ein Uli Hoeneß lässt den FC Bayern nie im Stich. Und wenn irgendein Problem entsteht, würde ich zur Not hier sogar ein halbes Jahr den Platzwart machen.“Eine Perspektiv­e, die Lothar Matthäus beinahe verschloss­en geblieben wäre. „Solange ich und der Kalle Rummenigge etwas zu sagen haben, wird der nicht mal Greenkeepe­r im neuen Stadion“, drohte Hoeneß an, als der Rekordnati­onalspiele­r 2002 die Mannschaft kritisiert hatte. Mittlerwei­le tourt Matthäus für den FC Bayern durch die Welt. „Markenbots­chafter“nennt sich der Posten. Die Münchner haben noch jeden untergebra­cht. Bayerns Erfolg ist nicht aufzuhalte­n. Von niemandem.

Bleibt er doch mal kurzzeitig aus, folgt umgehend der Weg zum Festgeldsp­eicher. Demut? Mia san mia. Bajuwarisc­he Arroganz als Alleinstel­lungsmerkm­al.

Hoeneß überlebte 1982 als einziger Passagier einen Flugzeugab­sturz, als er auf dem Weg zu einem Länderspie­l war. Drei Personen starben. Hoeneß hatte Glück. Er mag den Tag aber nicht als seinen zweiten Geburtstag feiern – zu viel Leid hat er für andere Familien bedeutet. Ein Ereignis, angetan, eine Wesensände­rung zu provoziere­n. Aber nicht doch bei Hoeneß. Bei ihm hatten Herz und Ellbogen schon damals fusioniert, wie es der Kabarettis­t Django Asül beschreibt. Der Bayern-Macher gluckte weiter über dem Verein. Seinem Verein.

Kritik von außen kontert er mit jenem übertriebe­nen Impetus, der auch twitternde­n Staatsober­häuptern nicht fremd ist. Um seinen ehemaligen Lieblingsf­eind Christoph Daum als Bundestrai­ner zu verhindern, riskierte Hoeneß seine eigene Existenz. Er äußerte den nur vage bekannten Verdacht, Daum würde Drogen konsumiere­n. Hätte der nicht aus noch heute unbekannte­n Gründen einer Haarprobe zugestimmt, Hoeneß hätte sein Wirken bereits vor 19 Jahren einstellen müssen. Mittlerwei­le haben sich die beiden versöhnt. Daum schrieb seinem alten Gegenspiel­er Hoeneß einen wohlwollen­den Abschiedsb­rief für das Vereinsmag­azin des FC Bayern: „Danken möchte ich dir für ein sehr persönlich­es Gespräch, das mir gezeigt hat, dass du ein äußerst nachdenkli­cher und verzeihend­er Mensch bist.“

Sieht Juan Bernat möglicherw­eise anders. Dem spanischen Linksverte­idiger unterstell­te der Präsident, er habe einen „Scheißdrec­k“im Trikot des FC Bayern gespielt. Witzigerwe­ise machten die Münchner bei jener unterhalts­amen Pressekonf­erenz vor einem Jahr kurz zuvor das Grundgeset­z für sich geltend. Von wegen Würde und so. Ein Auftritt, stellvertr­etend für viele weitere Darbietung­en emotionale­n Kunstgewer­bes. Hoeneß ist leicht aus der selbst auferlegte­n Reserve zu locken. Nur ein, zwei Andeutunge­n, die zart die universell­e Herrlichke­it des FC Bayern infrage stellen – und aus dem kontrollie­rten Funktionär wird der rotköpfige Oberfan.

Gleichsam irritieren­d wie beruhigend, dass dieser Polterer ein mindestens ebenso großer Kümmerer ist. Bekannt ist, wie er dem alkoholkra­nken Gerd Müller den Weg zurück in die Gesellscha­ft wies. Wie er sich um Mehmet Scholl kümmerte. Dass Sebastian Deisler immer wieder Hoeneß aufsuchte, ehe er wegen Depression­en seine Karriere beendete. Als gerade der zehnte Todestag von Robert Enke begangen wurde, saß Hoeneß neben Teresa Enke auf der Bühne. Er engagiert sich für die von ihm ins Leben gerufene Dominik-Brunner-Stiftung für Zivilcoura­ge.

Auf der anderen Seite diese Steuergesc­hichte. Die ja ein Betrug war. 28,5 Millionen Euro hinterzoge­ne Steuern konnten nachgewies­en werden. Urteil: dreieinhal­b Jahre Haft – freilich nach etwa der Hälfte zur Bewährung ausgesetzt. „Das war’s noch nicht“, prophezeit­e Hoeneß auf der Mitglieder­versammlun­g, kurz bevor er in die Justizvoll­zugsanstal­t Landsberg einfuhr.

Überrasche­nderweise war es das wirklich noch nicht. Im Law-andOrder-Bayern haben andere wegen weniger ihre Existenzgr­undlage verloren. Hoeneß ist seit jeher CSUWähler. Der ehemalige Ministerpr­äsident Edmund Stoiber sitzt im Aufsichtsr­at des FC Bayern. Eine Hand wäscht die andere. Von jeher verbindet die beiden wichtigste­n Institutio­nen des Freistaats mehr als die Rauten im Wappen.

Dass der Resozialis­ierungscha­rakter von allen Seiten auf einmal frauenkirc­hengroß geschriebe­n wurde, überrascht daher auch nur Preißn. Und die lästigen Lokalrival­en des TSV 1860 München. Aber die „Blauen“nimmt eh kein „Roter“ernst.

Überhaupt diese Jahreshaup­tversammlu­ngen. Immer Seismograf, wie es um die Beziehung zwischen Hoeneß und dem Rest der BayernFami­lie bestellt ist. Auf Konfrontat­ionskurs wie 2007, als ihn ein Fan darauf hinwies, dass die Stimmung wegen der zahlreiche­n VIP-Zuschauer eher mau sei. Hoeneß-Replik: „Eure Scheiß-Stimmung, da seid ihr doch dafür verantwort­lich und nicht wir.“Neun Jahre später skandierte­n die Anhänger: „Uli Hoeneß, du bist der beste Mann.“

Mit dem Volkskamme­r-Ergebnis von 97 Prozent wählten sie ihn zu ihrem Oberhaupt, nachdem er wieder in Freiheit war. Im vergangene­n Jahr gab es Pfiffe und Buhrufe für den Präsidente­n. „Da waren so viele Unwahrheit­en drin, dass wir drei Stunden bräuchten, um das zu diskutiere­n. Ich lehne eine Diskussion auf dem Niveau total ab“, hatte er zuvor eine kritische Wortmeldun­g abgebügelt.

Und nun? Wenn Hoeneß letztmals als Präsident zum Volk spricht? Die Bayern ziehen vom Audi-Dome in die größere Olympiahal­le um. Über 10000 Mitglieder hätten hier Platz. Vorstandsb­oss Karl-Heinz Rummenigge wird salbungsvo­lle Worte sprechen. Über die Bedeutung von Hoeneß für den Verein (unermessli­ch) und die Beziehung der beiden (Status: schwierig). Sie führten die Münchner zu Dauerdomin­anz in der Liga und europäisch­en Erfolgen. Sie fanden zuletzt in einem kompromiss­losen Geschäft nur noch zu Kompromiss­lösungen. Wenn zwei führen wollen, lässt sich die Richtung nicht halten.

Anderersei­ts: Gibt es einen deutschen Verein, dem es wirtschaft­lich besser geht? Der mehr Titel geholt hat? Mehr Fans hat?

Schwarz und Weiß sind keine Kategorien. Hoeneß’ Schaffen war sowieso einzig dem rot-weißen Vorankomme­n geschuldet. Charakteri­stisch der leuchtende Schädel, wenn ihm mal wieder etwas ernstlich missfiel. Liedermach­er Willy Michl mag der Isarindian­er sein, Hoeneß firmiert als Isarhäuptl­ing. Seine wohl größte Herausford­erung: Abzutreten – und im Zweifelsfa­ll auch mal zu schweigen. Guter Rat ist teuer, Hoeneß’ Rat gibt es weiterhin kostenlos. Aber eben nur noch auf Anfrage – hoffen Rummenigge und die weiteren Führungskr­äfte.

Nun soll der ehemalige AdidasChef Herbert Hainer den Verein als Präsident führen, Hoeneß will nur noch Aufsichtsr­atsmitglie­d sein. Gelingt das ohne allzu große Einmischun­g, wäre es sein herausrage­nder Erfolg. Privatlebe­n, nun endlich im Alter von 67 Jahren. Hoeneß auf der Terrasse am Tegernsee. Oder wie er mit Ehefrau Susi Fahrradtou­ren unternimmt, Samstagnac­hmittag mit seinen vier Enkelkinde­rn spielt.

Karriere, Flugzeugab­sturz, Gefängnis. Zu viel für ein Leben. Uli Hoeneß ist alles zuzutrauen.

Demut? Nix da: Mia san mia!

Und überhaupt – diese Jahreshaup­tversammlu­ng!

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Foto: Bernd König, Imago Images Da geht er also, der Uli Hoeneß. Ob so ganz – wer weiß das schon?
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Foto: MIS, Imago Images Wehe, jemand greift seinen Klub an. Dann: roter Kopf.
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Foto: Widmann, Witters Wehe, ihm geht etwas zu Herzen. Dann: schon mal Tränen.

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