Tödlicher Stoß vor die S-Bahn
Bei einem Streit an einem Nürnberger S-Bahn-Halt werden drei Jugendliche ins Gleis gestoßen. Zwei 16-Jährige sterben. Die Täter entschuldigen sich. Doch die entscheidende Frage ist offen
Nürnberg Der Stoß ins Gleisbett endete tödlich. Nach einem Streit am Nürnberger S-Bahnhof Frankenstadion waren zwei 16-Jährige von einem Zug überrollt worden. Ein Dritter im selben Alter konnte sich durch einen Sprung im letzten Moment retten. Zum Prozessauftakt am Donnerstag zeigten die beiden Angeklagten Reue. Sie hätten niemanden töten wollen, so die Verteidigung.
Vor der Jugendkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth müssen sich die zwei Jugendlichen wegen Körperverletzung mit Todesfolge verantworten. Im Zentrum steht die Frage, ob die beiden damals 17 Jahre alten Angeklagten mit Tötungsvorsatz handelten. Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ein Urteil soll am 20. November gesprochen werden.
Im mittelfränkischen Heroldsberg, dem Heimatort der beiden getöteten Jugendlichen, löste das Ereignis tiefe Betroffenheit aus. Die Staatsanwaltschaft war am Ende ihrer Ermittlungen vom ursprünglichen Vorwurf fahrlässiger Tötung abgerückt. Den Angeklagten könne kein Tötungsvorsatz angelastet werden. Sie hätten nicht gewusst, dass zum Tatzeitpunkt mit der Durchfahrt eines Zuges zu rechnen gewesen sei. Die nächste S-Bahn sollte erst zehn Minuten später eintreffen.
Die Eltern der Getöteten halten die Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge für unzureichend. Bei „Stern-TV“auf RTL hatten sie über ihr schweres Leben nach dem Verlust ihrer Kinder berichtet. Den Nürnberger Nachrichten sagte einer der Väter: „Körperverletzung mit Todesfolge klingt verharmlosend. Das hört sich nach einer Prügelei an, an deren Ende die Opfer versehentlich ins Gleisbett fallen.“
Rechtsanwalt Wolfgang Wittmann, der ein Elternpaar als Nebenkläger vertritt, sagt am ersten Verhandlungstag, eine Anklage nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge sende das falsche Signal. Sogenannte Raserurteile zeigten, wann Gerichte von Vorsatz ausgingen. Von der Heroldsberger Gruppe, zu der die beiden getöteten Jugendlichen gehörten, seien keine Aggressionen ausgegangen. „Die Überwachungsvideos zeigen, dass sie zu schlichten versucht haben und von der Aggressorengruppe um die zwei Angeklagten angegriffen worden sind“, betont der Anwalt des zweiten Elternpaares, Benjamin Schmitt. Die Jugendlichen hätten zudem nicht auf einer grünen Wiese gestanden. „Sie warteten alle am Bahngleis auf eine S-Bahn – es war doch schon deshalb klar, dass jederzeit ein Zug ein- oder ausfährt.“
Beide Gruppen waren in der Nacht zum 26. Januar mit zahlreichen weiteren jungen Leuten von einer U-18-Party für Jugendliche gekommen. Alle strömten zugleich auf den Bahnsteig. Wegen einer Lappalie gerieten die beiden Gruppen an einem Treppenaufgang aneinander. Angeblich habe einer der Angeklagten versucht, einem der Jugendlichen an den Rucksack zu fassen, wie Nebenklage-Anwalt Schmitt sagt. Um daraus etwas zu nehmen oder um den Reißverschluss zu schließen – darüber gehen die Meinungen von Nebenklägern und Verteidigung auseinander. Verteidiger Philipp Schulz-Merkel betont, dass sein Mandant den herannahenden Zug nicht wahrgenommen habe. Das Video der Überwachungskamera zeige die Ereignisse aus der Vogelperspektive, die Angeklagten hätten aber an dem vollen Bahnsteig keinen Blick auf das Gleis gehabt.
Beide Angeklagten entschuldigten sich den Worten ihrer Verteidiger zufolge bei den Opferfamilien und wollen helfen, die Ereignisse aufzuklären. „Mein Mandant bedauert zutiefst, was passiert ist. Das ist etwas, was er nie gewollt hat. Er würde es am liebsten ungeschehen machen“, erklärt Schulz-Merkel. Eine Tötungsabsicht hätten beide nicht gehabt. „Wir haben hier nicht den Fall, wo jemand allein am Bahngleis steht und bewusst auf den Zug geworfen wird“, so der Verteidiger. Bundesweit sorgen Angriffe auf Bahnhöfen immer wieder für Entsetzen. Als Konsequenz daraus kündigten Bundesregierung und Bahn an, die Videoüberwachung an Bahnhöfen auszuweiten. Herbert Mackert, dpa