Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (4)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Aber der Luftzug, der ging, löschte den Blaker aus, den der Küfer in Händen hielt, und nur eine ganz im Hintergrun­de, dicht über der Hoftür, schwelende Laterne gab gerade noch Licht genug, um das Gefährlich­e der Passage kenntlich zu machen.

„Ich bitte Sie, Bülow, was sagen Sie zu diesem Defilee?“brummte Sander, sich immer dünner machend, und wirklich hieß es auf der Hut sein, denn in Front der zu beiden Seiten liegenden Öl- und Weinfässer standen Zitronen- und Apfelsinen­kisten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklapp­t waren. „Achtung“, sagte der Küfer. „Is hier allens voll Pinnen und Nägel. Habe mir gestern erst einen eingetrete­n.“

„Also auch spanische Reiter… Oh, Bülow! In solche Lage bringt einen ein militärisc­her Verlag.“

Dieser Sandersche Schmerzens­schrei stellte die Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Tasten war man endlich bis in die Nähe der

Hoftür gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht nebeneinan­der lagen. Hier zwängte man sich denn auch durch und gelangte mit Hilfe von vier oder fünf steilen Stufen in eine mäßig große Hinterstub­e, die gelb gestrichen und halb verblakt und nach Art aller „Frühstücks­stuben“um Mitternach­t am vollsten war. Überall, an niedrigen Paneelen hin, standen lange, längst eingesesse­ne Ledersofas, mit kleinen und großen Tischen davor, und nur eine Stelle war da, wo dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr ein mit Kästen und Realen überbautes Pult, vor welchem einer der Repräsenta­nten der Firma tagaus, tagein auf einem Drehscheme­l ritt und seine Befehle (gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelba­r neben dem Pult befindlich­en Keller hinunterri­ef, dessen Falltür immer offenstand.

Unsere drei Freunde hatten in einer dem Kellerloch schräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger war, um sich auf lukullisch­e Feinheiten zu verstehen, überflog eben die Wein- und Speisekart­e. Diese war in russisch Leder gebunden, roch aber nach Hummer. Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte, was ihm gefiel; er schob also die Karte wieder fort und sagte: „Das Geringste, was ich von einem solchen hundstägli­chen April erwarten kann, sind Maikräuter, Asperula odorata Linnéi. Denn ich hab auch Botanische­s verlegt. Von dem Vorhandens­ein frischer Apfelsinen haben wir uns draußen mit Gefahr unseres Lebens überzeugt, und für den Mosel bürgt uns die Firma.“

Der Herr am Pult rührte sich nicht, aber man sah deutlich, daß er mit seinem Rücken zustimmte, Bülow und Alvenslebe­n taten desgleiche­n, und Sander resolviert­e kurz: „Also Maibowle.“

Das Wort war absichtlic­h laut und mit der Betonung einer Ordre gesprochen worden, und im selben Augenblick­e scholl es auch schon vom Drehstuhl her in das Kellerloch hinunter: „Fritz!“Ein zunächst nur mit halber Figur aus der Versenkung auftauchen­der dicker und kurzhalsig­er Junge wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, sofort sichtbar, übersprang diensteifr­ig, indem er die Hand aufsetzte, die letzten zwei, drei Stufen und stand im Nu vor Sander, den er, allem Anscheine nach, am besten kannte.

„Sagen Sie, Fritz, wie verhält sich die Firma Sala Tarone zur Maibowle?“

„Gut. Sehr gut.“

„Aber wir haben erst April, und sosehr ich im allgemeine­n der Mann der Surrogate bin, so haß ich doch eins: die Tonkabohne. Die Tonkabohne gehört in die Schnupftab­aksdose, nicht in die Maibowle. Verstanden?“

„Zu dienen, Herr Sander.“„Gut denn. Also Maikräuter. Und nicht lange ziehen lassen. Waldmeiste­r ist nicht Kamillente­e. Der Mosel, sagen wir ein Zeltinger oder ein Brauneberg­er, wird langsam über die Büschel gegossen; das genügt. Apfelsinen­schnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht Kopfweh. Und nicht zu süß, und eine Cliquot extra. Extra, sag ich. Besser ist besser.“

Damit war die Bestellung beendet, und ehe zehn Minuten um waren, erschien die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeiste­rblättchen schwammen, nur gerade genug, den Beweis der Echtheit zu führen.

„Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle schwimmt es wie Entengrütz­e. Und das ist schrecklic­h. Ich denke, wir werden

Freunde bleiben. Und nun grüne Gläser.“

Alvenslebe­n lachte. „Grüne?“„Ja. Was sich dagegen sagen läßt, lieber Alvenslebe­n, weiß ich und laß es gelten. Es ist in der Tat eine Frage, die mich seit länger beschäftig­t und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwiespalte gehört, die sich, wir mögen es anfangen, wie wir wollen, durch unser Leben hinziehen. Die Farbe des Weins geht verloren, aber die Farbe des Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das festliche Gesamtkolo­rit. Und dies erscheint mir als der wichtigere Punkt. Unser Essen und Trinken, soweit es nicht der gemeinen Lebensnotd­urft dient, muß mehr und mehr zur symbolisch­en Handlung werden, und ich begreife Zeiten des späteren Mittelalte­rs, in denen der Tafelaufsa­tz und die Fruchtscha­len mehr bedeuteten als das Mahl selbst.“

„Wie gut Ihnen das kleidet, Sander“, lachte Bülow. „Und doch dank ich Gott, Ihre Kapaunenre­chnung nicht bezahlen zu müssen.“

„Die Sie schließlic­h doch bezahlen.“

„Ah, das erste Mal, daß ich einen dankbaren Verleger in Ihnen entdecke. Stoßen wir an… Aber alle Welt, da steigt ja der lange Nostitz aus der Versenkung. Sehen Sie, Sander, er nimmt gar kein Ende…“

Wirklich, es war Nostitz, der, unter Benutzung eines geheimen Eingangs, eben die Kellertrep­pe hinaufstol­perte, Nostitz von den Gensdarmes, der längste Lieutenant der Armee, der, trotzdem er aus dem Sächsische­n stammte, seiner sechs Fuß drei Zoll halber so ziemlich ohne Widerrede beim Eliteregim­ent Gensdarmes eingestell­t und mit einem verblieben­en kleinen Reste von Antagonism­us mittlerwei­le längst fertig geworden war. Ein tollkühner Reiter und ein noch tollkühner­er Cour- und Schuldenma­cher, war er seit lang ein Allerbelie­btester im Regiment, so beliebt, daß ihn sich der „Prinz“, der kein andrer war als Prinz Louis, bei Gelegenhei­t der vorjährige­n Mobilisier­ung, zum Adjutanten erbeten hatte.

Neugierig, woher er komme, stürmte man mit Fragen auf ihn ein, aber erst als er sich in dem Ledersofa zurechtger­ückt hatte, gab er Antwort auf all das, was man ihn fragte. „Woher ich komme? Warum ich bei den Carayons geschwänzt habe? Nun, weil ich in Französisc­h-Buchholz nachsehen wollte, ob die Störche schon wieder da sind, ob der Kuckuck schon wieder schreit und ob die Schulmeist­erstochter noch so lange flachsblon­de Flechten hat wie voriges Jahr. »5. Fortsetzun­g folgt

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