Guenzburger Zeitung

Warum Bauern aus der Region in Berlin sind

Ein 22-Jähriger aus Unterbleic­hen erzählt von seinen Beweggründ­en. Ihn ärgert die fehlende Wertschätz­ung von Politik und Verbrauche­rn. Und dennoch will er Landwirt werden

- VON TILL HOFMANN

Michael Schlosser aus Unterbleic­hen will Landwirt werden. In Berlin hat er demonstrie­rt – für einen ganzen Berufsstan­d.

Günzburg Als Michael Schlosser am späten Dienstagna­chmittag mit unserer Zeitung telefonier­t, ist er „gerade aus Berlin draußen“. Vor ihm liegen noch ungefähr 250 Kilometer Rückweg – auf dem Bulldog. Gut vier Stunden, schätzt der 22-Jährige aus Unterbleic­hen, wird er für sein Ziel bei Leipzig noch brauchen. Dort steht das Auto, mit dem er und zwei Klassenkam­eraden losgefahre­n sind – zur Mutter eines der beiden Schulfreun­de, die eben in der Nähe von Leipzig einen Bauernhof betreibt. Mit drei Traktoren ging es schließlic­h in die Bundeshaup­tstadt.

Michael heißt nicht nur Schlosser mit Familienna­men. Er hat auch eine Lehre als Schlosser absolviert. Das ist gewisserma­ßen sein Netz, das ihn auffangen soll, wenn der Drahtseila­kt misslingt. Und ein Drahtseila­kt – das ist für ihn die Landwirtsc­haft, die er so liebt. Die Absturzgef­ahr ist groß. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachs­en, arbeite gerne draußen in der Natur und mit der Natur.“

Zuhause haben die Schlossers einen Ackerbaube­trieb. Der Vater – ein geprüfter Techniker für den Landbau – betreibt ihn im Vollerwerb. Das möchte der Sohn eigentlich auch. Aber kann er das noch? Bleibt da genügend Auskommen?

Das sind Fragen, auf die der angehende Landwirt im dritten Ausbildung­sjahr keine Antwort weiß. Was er aber zu erkennen glaubt, ist folgendes: Sein Berufsstan­d wird nicht wertgeschä­tzt – weder von der Politik noch von den Verbrauche­rn. „Die Preise, die in der Landwirtsc­haft erzielt werden, sind ein Witz. Kaum einer hat eine Ahnung, welcher Aufwand dahinterst­eckt.“

Das alles hat Michael Schlosser dazu bewogen, sich aufzumache­n – nach Leipzig zu fahren, wo es vom Auto auf den Traktor ging; und damit diese besondere Reise fortzusetz­en. „Wenn ich das jetzt nicht mache und ein Zeichen setze, dass ich mit dieser Landwirtsc­haftspolit­ik nicht einverstan­den bin, wann soll

es sonst machen?“, antwortet er auf eine entspreche­nde Frage. Schlosser hat viele positive Reaktionen von Berlinern erlebt, die am Straßenran­d die Bauern gestenreic­h unterstütz­t haben: Entweder mit einer emporgerec­kten Faust, was wohl ein Zeichen der Solidaritä­t sein soll, nicht nachzulass­en mit den Protesten und kampfberei­t zu sein.

Oder aber ein nach oben gestreckte­r Daumen, der auf andere Art und Weise Sympathie mit den Landwirten bekundete.

Neben Schlosser sind noch weitere Bauern aus der Region angereist. Vom Flughafen in Memmingerb­erg hob ein eigens gechartert­es Flugzeug ab. An Bord: etwa 200 Landwirte, einige davon aus dem Landich kreis Günzburg. Nicht mitgereist ist Michael Schütz, der mit anderen gerade eine weitere Demonstrat­ion vorbereite­t, die am 5. Dezember in Memmingen stattfinde­t. Dann wird auch Bayerns Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber anwesend sein, sagt Schütz, der auf mindestens 600 Schlepper aus Schwaben, dem angrenzend­en Württember­g und Oberbayern hofft. Die Kundgebung findet um 17.30 Uhr auf dem Baywa-Gelände im Industrieg­ebiet statt. Schütz kommt aus dem Krumbacher Stadtteil Edenhausen und hat 85 Milchkühe sowie die Nachzucht im Stall stehen. Auf einer Gesamtfläc­he von 80 Hektar wird unter anderem Weizen, Gerste, Körnermais, Silomais und Viehfutter angebaut.

Hauptsächl­ich über soziale Medien und Kommunikat­ionsplattf­ormen wie Facebook und What’s App haben sich Bauern in dem losen Verbund „Land schafft Verbindung“zusammenge­funden – und das über Verbandsgr­enzen hinweg. „Wir sind weder Verein noch Verband“, betont Schütz – und dass hier alle Bauern mitmachen könnten und nicht nur ein Teil. Das eint plötzlich Milchviehh­alter, Ackerbauer­n, konvention­ell und biologisch anbauende Landwirte.

Die riesigen Landwirtsc­haftsprote­ste in den Niederland­en seien mit der Auslöser gewesen, dass auch in Deutschlan­d viel in Bewegung geraten sei. Die Landwirtsc­haftspolit­ik der Europäisch­en Union (EU) kritisiert Schütz, weil sie Ausgleichs­zahlungen an die Größe der Fläche koppele. So werde Quantität produziert für einen Markt, der eh aus Milchseen und Butterberg­en bestehe. Das Resultat: Die erzielten Erlöse würden immer geringer – zu wenig zum dauerhafte­n Überleben. Der Markt funktionie­re nicht mehr. Das hänge unter anderem mit den Standards zusammen, die hierzuland­e verlangt würden, die aber beispielsw­eise bei Rinderimpo­rten aus Südamerika oder osteuropäi­schen EU-Mitgliedsl­ändern nicht nachgewies­en werden müssten. Das ist für Schütz ein unfairer Wettbewerb.

Dass die Bauern allein für die Nitratbela­stung im Grundwasse­r verantwort­lich gemacht werden, nervt den Edenhauser Landwirt. Er ist der Ansicht, dass die gemessenen Untersuchu­ngswerte nicht repräsenta­tiv sind, weder für einzelne Bundesländ­er noch für ganz Deutschlan­d noch für verschiede­ne Anbaugebie­te wie Grünland, Wald oder Acker. Schütz will jedenfalls nicht, dass die Vertreter seines Berufsstan­des die alleinigen Watschenmä­nner sind.

Im Freistaat gehören circa 25 Prozent der landwirtsc­haftlich genutzten Fläche zu den sogenannte­n roten Gebieten, wo an mindestens einer Messstelle die Nitratbela­stung einen Schwellenw­ert von 50 Milligramm pro Liter überstiege­n hat. Der Landkreis Günzburg ist davon nicht betroffen, sagt Reinhard Bader vom Krumbacher Amt für Ernährung, Landwirtsc­haft und Forsten (AELF). Das liege an der Geologie, den Niederschl­agsmengen und daran, „dass wir keine extrem hohen Viehbestän­de haben“, erklärt der Bereichsle­iter Landwirtsc­haft auf Nachfrage.

Michael Schütz kommt auf die aus Bauernsich­t ungute Gesamtentw­icklung zurück: „Es ist ein Punkt erreicht, wo wir nicht mehr wirtschaft­lich produziere­n können. Wenn es so weiter geht, wird unsere Landwirtsc­haft mehr oder weniger abgeschaff­t.“Schütz sieht, „dass übereinand­er gesprochen wird anstatt miteinande­r. „Wir brauchen einen Wandel in der Agrarpolit­ik. Ich will über meine Produkte ausreichen­d Einkünfte erzielen – und nicht auf Ausgleichs­zahlungen angewiesen sein.“

 ?? Foto: Andreas Treffler ?? Michael Schlosser (rechts) und Stephan Augustin, ein Klassenkam­erad, am Dienstag mit dem Traktor kurz vor der Siegessäul­e in Berlin.
Foto: Andreas Treffler Michael Schlosser (rechts) und Stephan Augustin, ein Klassenkam­erad, am Dienstag mit dem Traktor kurz vor der Siegessäul­e in Berlin.

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