Guenzburger Zeitung

„Das Gesicht der Proteste ist gestorben“

Der Tod des Schülers Dilan Cruz erschütter­t das Land. Die junge Generation macht Druck – sie will endlich Frieden

- VON TOBIAS KÄUFER

Bogotá Sie haben gebangt und gehofft. Vergeblich. In der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogotá ist der junge Demonstran­t Dilan Cruz, 18, der am Samstag bei einer Demonstrat­ion von einer Tränengasg­ranate der Bereitscha­ftspolizei Esmad am Kopf getroffen wurde, am Montagaben­d seinen schweren Verletzung­en erlegen. Als sich die Nachricht über die Handys verbreitet­e, hallten wieder die Klänge des „Cacerolazo“durch die dunkle, stille Nacht. Nicht ganz so laut, denn die meisten Kolumbiane­r schlafen um diese Zeit schon. Das Schlagen mit dem Löffel auf den Kochtopf ist inzwischen zum Symbol des Protestes gegen die

Regierung des konservati­ven Präsidente­n Ivan Duque geworden.

Vor dem Krankenhau­s San Ignacio harrten zu dieser Zeit noch dutzende Menschen aus. Sie hatten den Tag über Kerzen angezündet, Lieder gesungen, zusammen gebetet. Sie blieben auch die Nacht über, einige umarmen sich, andere weinen. Das Nachrichte­nmagazin semana schrieb: „Das Gesicht der Proteste ist gestorben.“Unzählige Unterstütz­er hatten seit Samstag, als Dilan eingeliefe­rt wurde, Plakate und Botschafte­n vor der Klinik niedergele­gt. Auf den meisten wird die Rolle der umstritten­en Polizeiein­heit Esmad kritisiert, die zur Niederschl­agung von Aufständen eingesetzt wird. Kolumbiens Präsident Ivan

Duque sprach noch am Abend der Familie via Twitter seine Anteilnahm­e aus. Bogotás Bürgermeis­ter Enrique Penalosa kondoliert­e per Video-Botschaft. Ihre schnelle Reaktion zeigt, dass sie ahnen, welche politische Sprengkraf­t in dem Tod des Jungen liegt. Doch die Reaktion der Netzgemein­de fällt eindeutig aus. Die Mehrheit der User machen Duque für den Tod des Schülers verantwort­lich.

Das Thema Gewalt und Frieden treibt die von jungen Demonstran­ten getragene Protestwel­le an. „Ich bin hier, weil ich ein Kolumbien ohne Blutvergie­ßen will“, sagt die Studentin Angela Rivera. „In diesem Land sterben Menschenre­chtler, Indigene, Aktivisten, und der

Staat tut nichts dagegen. Das können wir nicht mehr zulassen.“Stimmen wie die von Angela gibt es viele.

„Wir brauchen Infrastruk­tur, Investitio­nen in Bildung und Arbeitsplä­tze und politische Teilhabe“, sagt Friedensak­tivist Leyner Palacios Asprilla, der aus der überwiegen­d von Afrokolumb­ianern bewohnten bettelarme­n Provinz Choco stammt. „Wenn die Jugendlich­en keine Perspektiv­e haben, dann schließen sie sich den bewaffnete­n Banden, dem Drogenhand­el oder dem illegalen Bergbau an.“Palacios weiß, was Krieg bedeutet: Er hat bei einer Bombenexpl­osion am 2. Mai 2002 32 Familienan­gehörige und enge Freunde verloren.

Drei Jahre nach dem Friedensve­rtrag scheint ein wirklicher Frieden in der Provinz Choco weit entfernt. Wieder sind die alten Akteure im Spiel, wieder geht es um Kokain. Und wieder fürchtet Palacios, dass es in der abgehängte­n Region neue Massaker geben könnte. „Es gibt Kämpfe, Tote und Vertreibun­g. Es gibt Morddrohun­gen und Vertreibun­g.“

In Bogotá begann am Dienstag das von Präsident Duque einberufen­e Gipfeltref­fen mit Vertretern der sozialen Organisati­onen und der Zivilgesel­lschaft. Die Menschen fordern konkrete Konzepte gegen Krieg, Armut und Korruption. Bleiben die aus, wird Kolumbien auch in Zukunft nicht zur Ruhe kommen.

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