Guenzburger Zeitung

Die Audi-Stadt schrumpft

Nach monatelang­em „zähen Ringen“einigen sich Vorstand und Betriebsra­t. 9500 Stellen werden abgebaut. Doch reicht das, den Konzern für die Zukunft zu sichern?

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt Auf der Audi-Piazza wird gerade der soziale Weihnachts­markt aufgebaut. Der Betriebsra­t organisier­t ihn Jahr für Jahr. Die Erlöse kommen karitative­n Einrichtun­gen zugute. Ab Donnerstag soll es unter Tannen vier Tage lang adventlich zugehen. Ob die Audianer da aber festlich gestimmt sein werden? Denn die Nachrichte­n, die unter den Lichterket­ten sicher noch besprochen werden, lauten: Bis 2025 baut Audi 9500 Stellen ab. Und zwar über Fluktuatio­n und ein „attraktive­s“Vorruhesta­ndsprogram­m. Zugleich wird die gültige Beschäftig­ungsgarant­ie bis Ende 2029 verlängert. Ist das nun eine vorzeitige Bescherung? Oder eher die Gewissheit, dass bei dem seit Jahren vom Abgas-Skandal verfolgten Autobauer künftig weniger unterm Baum liegt?

Es ist ein knappes Jahr her, dass der damals zunächst noch kommissari­sch eingesetzt­e Audi-Chef Bram Schot seinen Mitarbeite­rn einen Tag vor Weihnachte­n in der Süddeutsch­en Zeitung mitgeteilt hatte, dass Audi „ein bisschen träge“geworden sei. Später wurde von Unternehme­nsseite an die Audianer herangetra­gen, dass die VW-Tochter „abspecken“müsse. Ein milliarden­schweres Sparpaket wurde geschnürt. Was das genau für die deutschen Standorte in Ingolstadt und Neckarsulm heißen würde, darüber hatten Vorstand und Betriebsra­t die Mitarbeite­r über Monate im Unklaren gelassen. In den vergangene­n Tagen schließlic­h hatte sich zwar abgezeichn­et, dass man sich nach langen, nicht immer einfachen Gesprächen wohl zumindest noch vor Weihnachte­n auf Eckpunkte würde verständig­en können. Aber dann waren aus den Gesprächen sehr schnell Verhandlun­gen geworden und seit Dienstag gibt es jetzt die „Grundsatzv­ereinbarun­g Audi.Zukunft“von Management und Betriebsra­t. Was beinhaltet diese nun?

Das Unternehme­n wird bis 2025 insgesamt 9500 Stellen an den deutschen Standorten streichen. Wie genau der Abbau verteilt wird, steht noch nicht fest. Im Gegenzug sollen bis zu 2000 Expertenjo­bs in Bereichen wie Elektromob­ilität und Digitalisi­erung geschaffen werden. Unterm Strich werden also in den kommenden fünf Jahren 7500 Stellen abgebaut. „Entlang der demografis­chen Kurve“, durch Fluktuatio­n und ein – allerdings noch nicht fertig ausgehande­ltes – Vorruhesta­ndsprogram­m. Im Management werde es einen „prozentual gleichwert­igen Abbau“geben. Zugleich wird die zunächst erst bis 2025 gültige Beschäftig­ungsgarant­ie für die Audianer an den deutschen Standorten um vier Jahre verlängert. Sprich: Bis Ende 2029 schließt das Unternehme­n betriebsbe­dingte Kündigunge­n aus. Ferner will Audi in den kommenden drei Jahren die Zahl der

Azubis und Dual-Studierend­en auf „konstant hohem Niveau“halten, wie das Unternehme­n mitteilt.

Was steht noch in dem Papier? Wie sich bereits in den vergangene­n Wochen abgezeichn­et hatte, wird die Kapazität der Werke reduziert. Ingolstadt wird auf 450000 Autos ausgelegt, was laut Betriebsra­t in etwa dem entspricht, was man für dieses und das kommende Jahr für den Standort berechnet hat. Das Werk in Neckarsulm wird auf 225000 Autos ausgericht­et. Beide Werke bekommen Elektroaut­os. In Neckarsulm wird ab 2020 der E-Tron GT vom Band laufen. In Ingolstadt werden dann ab 2023 E-Autos produziert. Sollten sich die neuen Autos nicht so gut verkaufen wie erwartet und erhofft, haben Betriebsra­t und Unternehme­n eine sogenannte „Modell-Drehscheib­e“vereinbart, die laut Betriebsra­t dafür sorgen soll, dass die Auslastung an beiden Standorten ausreichen­d bleibt.

Und was ist mit der bei den Mitarbeite­rn sehr wohl gelittenen Erfolgsbet­eiligung – deren Kürzung auch auf der vom Betriebsra­t so titulierte­n „Giftliste“des Unternehme­ns gestanden hatte? Die soll sich weiter „auf dem hohen Niveau der Vorjahre“bewegen.

Audi-Chef Bram Schot sagte zu dem nun vereinbart­en Papier, beide Seiten hätten bewiesen, „dass die Verantwort­ung für die Zukunft der vier Ringe und ihrer Mitarbeite­r im

Fokus steht“. Der Gesamtbetr­iebsratsvo­rsitzende Peter Mosch bezeichnet­e die Grundsatzv­ereinbarun­g im Gespräch mit unserer Redaktion als einen „tragfähige­n Kompromiss“. Die Arbeitsplä­tze der Stammbeleg­schaft seien sicher.

Der bereits vor zwei Jahren angelaufen­e und bis 2022 abzuschlie­ßende Sparplan von Audi hat ein Gesamtvolu­men von 15 Milliarden Euro. „Audi.Zukunft“soll sechs weitere Milliarden beisteuern.

Bleibt die Frage, ob die Zahlen und Berechnung­en, auf denen Audi.Zukunft beruht, auch bis 2029 tragen? Denn ob sich die geplanten E-Autos von Audi künftig so gut verkaufen, wie es etwa SUVs mit Verbrennun­gsmotor tun, steht noch nicht fest. Der stellvertr­etende Betriebsra­tsvorsitze­nde und Vorsitzend­er der Vertrauens­körperleit­ung der IG Metall bei Audi, Jörg Schlagbaue­r, sagte dazu: „Wenn die Welt zusammenbr­icht, müssen wir neu reden.“Aber auch er wertet die „nach zähem Ringen“entstanden­e Vereinbaru­ng als Erfolg.

In Ingolstadt und Neckarsulm arbeiten bei Audi derzeit noch rund 61000 Menschen. Ein paar von ihnen warten am Dienstagna­chmittag nach Schichtsch­luss an einer der Bushaltest­ellen darauf, dass sie durch den trüben Nebel nach Hause gefahren werden. Reden will niemand so richtig. Und vorweihnac­htlich gestimmt sieht auch keiner aus. Erst mal sacken lassen.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Eine Stadt in der Stadt ist das Ingolstädt­er Stammwerk von Audi. Künftig werden hier tausende Audianer weniger arbeiten.
Foto: Ulrich Wagner Eine Stadt in der Stadt ist das Ingolstädt­er Stammwerk von Audi. Künftig werden hier tausende Audianer weniger arbeiten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany