Die Überlebenskünstlerin
Tina Turner ist sicher eine Soullegende. Warum ihre gesellschaftliche Bedeutung aber erheblich größer ist
Küsnacht Eigentlich müsste man über Tina Turners 80. Geburtstag nicht viel Aufhebens machen. Schließlich hat die Soul-Legende 2009, da war sie 69, selbst ihren Ruhestand ausgerufen. Sie kehrt seitdem dem öffentlichen Leben weitgehend den Rücken und lässt ihr Leben in ihrer Küsnachter Villa hoch über dem Zürichsee ruhig angehen. Das versucht sie zumindest. Klappt aber nicht. Denn immer noch muss sie derbe Schicksalsschläge hinnehmen.
Tiefschläge hat die aus einfachen Verhältnissen stammende Südstaatlerin in ihrem Leben wahrlich genug erlebt. Lernschwach und darum gehänselt in der Schule. Von ihren Eltern
im Stich gelassen. Von ihrem Ehemann Ike Turner oftmals mit einem Schuhspanner – der Gitarrist wollte seine Finger schonen – grün und blau geschlagen, flüchtet sie 1976 mit nur 36 Cent, einer Tankkarte und einem blutbefleckten Kleid aus einem Motel über die Autobahn,
um dem Tyrannen zu entkommen.
Eigentlich war sie schon ein Weltstar, sogar in der Verfilmung der Rockoper „Tommy“von „The Who“ist sie zu sehen. Und musste dennoch ziemlich weit unten wieder anfangen. Denn: Sie galt im Showbusiness damals nur noch als alter weiblicher Rockstar. Oft genug kamen in den 70ern zu ihren Auftritten nur wenige hundert Menschen.
Bis zum Jahr 1984, als das Album „Private Dancer“sie in höchste Erfolgssphären schoss. So mancher Star griff ihr damals unter die Arme. Der Titelsong des Albums etwa wurde (was viele nicht mehr wissen) von Dire-Straits-Boss Mark Knopfler geschrieben. Und das Stück „Simply the best“stammt auch aus der Feder von Mike Chapman, dessen Lieder „Smokie“und „Sweet“groß gemacht hatten. Etwa 200 Millionen Tonträger soll Tina Turner bis heute verkauft haben.
Doch im selbst ausgerufenen Ruhestand kommen die nächsten Schicksalsschläge: Darmkrebs, Schlaganfall und ihr Sohn Craig nimmt sich 2018 das Leben. Eine Nierenerkrankung überlebt sie nur, weil ihr 16 Jahre jüngerer deutscher Ehemann Erwin Bach (mit ihm ist sie schon seit Mitte der 80er Jahre liiert) eine Niere spendet.
Tina Turner rappelt sich wieder auf. Im Oktober erst steht sie wieder bester Dinge und alles andere als vom Alter angegriffen auf dem New Yorker Broadway – anlässlich des Starts der amerikanischen Version des Musicals „Tina“, das ihr Leben erzählt – und das in Hamburg und London bereits etabliert ist. Immer wieder wurde geschrieben, dass es vor allem Tina Turners erotische Bühnen-Präsenz in den 80er Jahren gewesen sei, die den Männern den Kopf verdreht und ihr zu einem Comeback verholfen habe. Was für ein eindimensionaler Blödsinn. Viel bewegender war doch damals, wie es Tina Turner allen zeigte. Ihrem Ehemann, den sie plötzlich meilenweit hinter sich ließ (er starb 2007 an Drogen). Und dem Showbusiness, das die Frechheit besaß, zu meinen, dass eine Frau ab 40 für die Rockbühne zu alt zu sein hat. Was für Männer ab 40 natürlich nicht gilt. Aber das Thema ist – siehe #Me too – noch längst nicht aus der Welt.