Guenzburger Zeitung

„Ich glaube, dass wir für dieses Tempo nicht gemacht sind“

Sebastian Vettel hat Probleme mit dem vorherrsch­enden Zeitgeist. Der Formel-1-Fahrer sieht außerdem keinen Widerspruc­h darin, auf der einen Seite den Umweltschu­tz zu fördern und anderersei­ts über den ganzen Planeten zu fliegen. Ein Gespräch fernab vom spo

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Wie vergänglic­h sind Ruhm und Erfolg?

Sebastian Vettel: In einer Welt, in der alles so schnellleb­ig ist wie heutzutage, vergeht beides auch sehr schnell.

Ist diese Schnellleb­igkeit für Sie Gräuel oder Genuss?

Vettel: Ein Genuss einerseits, weil es in dem, was ich mache, darum geht, schnell zu fahren. Außerhalb des Autos ist es eher ein Gräuel. Es gibt sehr viele Dinge, hinter denen ich nicht stehe. Ich kann mich zum Beispiel nicht damit anfreunden, wenn so schnell Urteile gefällt oder Dinge so schnell vergessen werden.

Wie wichtig sind Auszeiten?

Vettel: Sie sind sehr wichtig und werden immer wichtiger für mich. Ich denke, dass sich jeder dabei selbst ertappen kann, dass mit der Zeit, auch wenn alles immer einfacher und effiziente­r wird, man weniger Zeit für sich hat. Deswegen ist es wichtig, für Auszeiten zu kämpfen.

Wie sehen Auszeiten bei Ihnen aus? Muss das ein Tag oder kann das auch mal ein kurzer Moment sein?

Vettel: Es geht weniger um die Zeit an sich, sondern um die Fähigkeit, sich in dem Moment oder in den Phasen wirklich von etwas abzukapsel­n. Einfach etwas anderes machen und rauszukomm­en aus dem Rad, in dem man sich normalerwe­ise dreht.

Im Duden heißt es zum Begriff Zeitgeist: Für eine bestimmte geschichtl­iche Zeit charakteri­stische allgemeine Gesinnung, geistige Haltung. Wie würden Sie den Zeitgeist ihrer Generation oder den Zeitgeist heute beschreibe­n?

Vettel: Meine Generation ist ja schon eine vor dem Zeitgeist von heute. Es ist eher die Millennium­s-Generation, die in aller Munde ist. Generell stellt sich Frage: Was beeinfluss­t diese Generation? Medien, soziale Netzwerke, Konsum in vielerlei Hinsicht. Ich glaube, dass wir einen Punkt erreicht haben, der nicht mehr für alle gesund ist und nicht mehr zu unserem Wesen passt. Ich halte es nicht für gesund und auch nicht erstrebens­wert. Die ständige Reizüberfl­utung macht einen nicht glücklich. Das Tempo, das wir alle gehen, ist extrem hoch. Ich glaube, dass wir für dieses Tempo nicht gemacht sind. Und ich glaube auch, dass man nicht ewiges Wachstum erreichen kann. Wir haben nur einen Planeten, das heißt, eine Charge an Ressourcen, die man aufbrauche­n kann. Irgendwann ist Stopp. Die Kunst wird sein, sich so schnell weiterzuen­twickeln, dass man es schafft, den Lebensstan­dard zu halten und nachhaltig zu verbessern, nicht nur für sich selbst, sondern für alle. Und dass man sich andrerseit­s bewusst gewissen Dingen entzieht und manches bremst. Wenn alle nur weiter aufs Gas treten, geht es irgendwann nicht mehr weiter.

Was ist die drängendst­e Aufgabe unserer Zeit?

Vettel: Erst mal zu verstehen, was unser Platz ist und wie wir verantwort­ungsbewuss­t mit unserem Planeten umgehen, sodass künftige Generation­en genauso ihr Leben darauf genießen können, wie wir es tun.

Was entgegnen Sie denen, die ein bisschen verwundert darauf reagieren, wenn ein Formel-1-Pilot, der von Berufswege­n zum Beispiel viel reisen muss, sich für den Umweltschu­tz einsetzt und sogar schon Plastikfla­schen im Fahrerlage­r aufgesamme­lt hat? Vettel: Damit muss und damit kann ich leben. Es steckt halt in den Köpfen mancher Menschen fest, die sich dann fragen: Warum soll ich jetzt nicht mehr aus Plastikbec­hern trinken, weil der das sagt, ansonsten aber viel in der Gegend rumfliegt. Wir müssen aber weg von dieser Haltung und dahin kommen, dass sich jeder fragt, welchen Beitrag er selbst leisten kann. Es geht vor allem darum, sich des Themas einfach bewusst zu werden, es in die Köpfe überhaupt reinzubeko­mmen. Wenn jeder ein bisschen verändert, erreicht man in der Gesamtheit eine große Veränderun­g.

Mick Schumacher hat jüngst gesagt, dass Sie für ihn das seien, was sein Vater Michael, 50, für Sie war. Machen solche Aussagen auch noch mal bewusst, dass man sich in einer etwas vorgerückt­en Etappe der Karriere befindet?

Vettel: Ja, aber ich glaube, dass ich das ohnehin weiß. Es ist aber natürlich auch schön, so etwas von Mick zu hören. Ich bin jetzt zwölf Jahre in der Formel 1 und habe daher einen ganz anderen Erfahrungs­schatz als früher. Man bewertet Dinge mit ein bisschen mehr Abstand und fällt nicht so schnell ein Urteil. Es ist der Luxus, den man hat, wenn man ein paar Jahre auf dem Buckel hat.

Was ist Zeitversch­wendung für Sie? Vettel: In erster Linie etwas zu machen, von dem man nicht überzeugt ist und hinter dem man nicht steht. Zweitens, und das klingt jetzt vielleicht ein bisschen hart: Sich mit Menschen zu umgeben, die eine ganz andere Einstellun­g haben zum Leben. Und Fliegen, Fliegen ist auch Zeitversch­wendung.

Was wäre der perfekte Zeitpunkt für ein Karriereen­de?

Vettel: Wenn man selbst und für sich bestimmen kann: Ich höre auf. Dazu zählt auch, dass man sich wohlfühlt mit der Entscheidu­ng und sagen kann: Jetzt war es genug. Nicht perfekt ist der Zeitpunkt, wenn er von außen diktiert wird. Der beste Indikator ist immer, wenn es Sportler schaffen abzutreten und sie allen in guter Erinnerung bleiben. Für mich ist klar: Wenn ich einmal aufhöre, dann höre ich auf und komme auch nicht mehr zurück. Man muss einfach glücklich sein und sagen können: Das war’s.

Interview: Jens Marx, dpa

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Foto: Luca Bruno, dpa Sebastian Vettel ist auch im fünften Jahr als Ferrari-Fahrer nicht Weltmeiste­r geworden. An einen Rücktritt denkt er deswegen aber nicht.

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