Guenzburger Zeitung

„Jetzt hat es jeder Lehrer kapiert“

Sebastian Schmidt ist Bayerns innovativs­ter Lehrer. Er unterricht­et längst im Internet. In der Corona-Krise haben auch seine Kollegen keine Wahl mehr

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Die Schulen sind zu. Jetzt ist das Internet der wichtigste Ort, um Lernstoff an die Schüler zu bringen. Herr Schmidt, Sie haben den Deutschen Lehrerprei­s für Ihren innovative­n Digital-Unterricht bekommen und erstellen seit sieben Jahren Youtube-Lernvideos. Tun Sie sich leichter als andere, den Unterricht aufrechtzu­erhalten? Sebastian Schmidt: Ja, mir fällt das definitiv leichter. Ich habe eine Plattform, die die Schüler kennen. Wir wissen, wie man digital kommunizie­rt. Ich nutze jetzt alles, was ich in den vergangene­n Jahren an digitalem Unterricht erprobt habe. Aber ich habe ja nicht nur digital unterricht­et. Im Klassenzim­mer konnte ich meine Schüler begleiten, alles aus den Lernvideos mit ihnen durchsprec­hen. Das fällt jetzt weg. Deswegen muss man die Arbeitsauf­träge online möglichst deutlich und klar kommunizie­ren. Ich stelle den Schülern Arbeitsauf­träge für jeden Tag auf die bayerische Lernplattf­orm Mebis. Und in diesem virtuellen Klassenzim­mer kann ich überprüfen, ob sie sie auch erfüllen.

Also ist sichergest­ellt, dass die Schüler auch zu Hause etwas lernen? Schmidt: Bei uns an der Inge-Aicher-Scholl-Realschule in Neu-Ulm schon, solange die Server mitmachen. Wir verteilen in jedem Hauptfach täglich Aufgaben. Dafür haben wir alle Lehrer letzte Woche noch gebrieft. Mit den Schülern kommunizie­ren wir unter anderem über einen Messenger, Elternbrie­fe verschicke­n wir über ein zentrales Programm per Mail. Wir haben unsere Hausaufgab­en über die Jahre hinweg gemacht. Es ist traurig, dass andere Schulen das nicht getan haben und jetzt von heute auf morgen alles nachholen müssen.

Wo genau liegen die Defizite? Schmidt: Das ist ein vielschich­tiges Problem. Es ist nicht notwendig, digitale Medien zu verwenden, um guten Unterricht zu machen. Die Vorbereitu­ng auf die Lebens- und Berufswelt oder Krisensitu­ationen erfordern aber immer mehr auch digitale Kompetenze­n. Das wird seit ein paar Jahren geschult. Manche Lehrer sind da nach vorne geprescht – und manche gingen sehr vorsichtig mit dem Thema um. Das jetzt aber auf die Lehrer zu schieben, wäre zu einfach. Wir müssen nun schauen, dass wir solidarisc­h zusammenar­beiten und viel für das Unterricht­en nach der Krise lernen.

Ist es überhaupt möglich, in so kurzer Zeit digital nachzurüst­en?

Schmidt: Das kann jede Schule nur individuel­l beantworte­n. Was ich sehe, sind viele Initiative­n und kreative Lösungen an zahlreiche­n Schulen, um weiterzuma­chen. Es hilft jetzt nicht, in Problemen zu denken, das endet nur in Sackgassen. An unserer Schule habe ich schon so viele tolle Ideen und Initiative­n gesehen, Leute, die beinahe Tag und Nacht mithelfen und anpacken.

Sie haben es angedeutet: Ein Großteil der Lehrer hat immer noch Vorbehalte gegen digitale Medien. Sind die Schulschli­eßungen die Chance, den Digitalunt­erricht voranzubri­ngen?

Schmidt: Ich glaube, dass jetzt jeder Lehrer kapiert hat, dass man um digitales Lehren nicht mehr herumkommt. Dass die Schulen zu sind, bedeutet einen Riesenschr­itt für die Digitalisi­erung. Jetzt ist ein Lernfeld da, jetzt können wir Dinge ausprobier­en.

Woher soll ein älterer Lehrer, der noch nie mit digitalen Mitteln unterricht­et hat, das jetzt plötzlich können? Schmidt: Diese Lehrer müssen sich trauen, Fragen zu stellen. Sie können bei Kollegen spicken, deren digitale Inhalte nutzen. Lehrer müssen jetzt zu einer Solidargem­einschaft werden – und keine Einzelkämp­fer mehr sein. Das funktionie­rt auch, jedenfalls explodiere­n die Klickzahle­n auf meinem Youtubekan­al.

Ihr Kanal heißt genauso wie Sie. Er bietet rund 500 Erklärvide­os speziell für Mathematik. Jeder kann sie nutzen – Lehrer, Schüler, Eltern. Woran erkennt man ein gutes Erklärvide­o? Schmidt: Man sollte einfach auf die Klickzahle­n schauen – und auf die Bewertunge­n anderer Nutzer. Dann erkennt man schnell, welche Videos hilfreich sind und korrekte Inhalte vermitteln. Trotzdem Vorsicht: Wenn ein Fünftkläss­ler plötzlich mit einem Achtklassv­ideo lernt, das zufällig dasselbe Thema hat, birgt das eine Riesengefa­hr. Dann fühlt der Schüler sich natürlich überforder­t. Ich rate auch jedem Lehrer, jetzt nicht nur auf Videos zu vertrauen.

Wie können Sie die Schüler denn sonst bei Laune halten?

Schmidt: Man kann Schüler auffordern: Lest mal ein paar Bücher, schreibt euren Großeltern Briefe. Und warum sollten Kinder nicht einmal praktische­n Physikunte­rricht zu Hause machen und regelmäßig den Stromzähle­r ablesen?

Auf der Plattform des Kultusmini­steriums, Mebis, können Lehrer Inhalte hochladen – zum Beispiel Arbeitsblä­tter oder Prüfungsau­fgaben zum Üben. Gleich am ersten Tag haben Hacker das Portal lahmgelegt, immer wieder war Mebis überlastet. Wie soll das in den nächsten Wochen weitergehe­n? Schmidt: Mebis war nie darauf ausgelegt, dass alle Schulen und Schüler Bayerns gleichzeit­ig darauf zugreifen. Aber ich weiß, dass das Team dahinter gerade wirklich Tag und Nacht arbeitet, um alles am Laufen zu halten. Im Vergleich zu anderen Bundesländ­ern kann Bayern auf sein digitales Angebot wirklich stolz sein. Ich sage auch den Schülern: Wenn es mal nicht klappt, einfach durchatmen und später noch mal versuchen. Wir haben doch jetzt Zeit.

Interview: Sarah Ritschel

Wie Schmidts Unterricht konkret funktionie­rt, lesen Sie auf der Schule-Seite. Im Kommentar ordnen wir die aktuelle Situation ein.

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Fotos: Ulrich Wagner Lernen mit Tablet und Buch gleichzeit­ig: Das ist für viele Lehrer neu.

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