Guenzburger Zeitung

„Digitalisi­erung erhält wahnsinnig­en Aufwind“

Seit gut zwei Jahren ist Kalka-Chefin Eva Flemisch Vorsitzend­e der Wirtschaft­svereinigu­ng Günzburg. Ein Gespräch über die Zukunft der Innenstädt­e, Frauen in Führungspo­sitionen und Chancen in schweren Zeiten

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Wenn alles normal läuft, spricht kaum ein Mensch offen über Sauberkeit und praktisch niemand über Desinfekti­on. Von Normalzust­and allerdings kann angesichts der Corona-Pandemie keine Rede sein. Die in Günzburg ansässige Firma Kalka ist unter anderem im Bereich Desinfekti­on tätig. Da kommen auf Sie als Geschäftsf­ührerin bestimmt viele Fragen zu. Oder, Frau Flemisch? Flemisch: Ja, sicherlich. Das ist in der aktuellen Situation auch ganz normal. Am Markt werden derartige Mittel einfach verstärkt nachgefrag­t. Wir haben ja tatsächlic­h viel mit Desinfekti­on zu tun und haben auch entspreche­nde Mittel vorrätig. Aber um es klar zu sagen: Wir setzen sie selbst nur für Spezialfäl­le ein, beziehungs­weise geben sie für solche Fälle aus. Wir sind keine Firma, die Desinfekti­onsmittel vertreibt.

Die Desinfekti­on großer Flächen gehört zu den breit gefächerte­n Dienstleis­tungsangeb­oten der Firma Kalka. Erhielten Sie bereits Aufträge von Unternehme­n, die Corona-Fälle in ihren Räumen hatten?

Flemisch: Ja, wir haben bereits einige derartige Spezialrei­nigungen mit Flächendes­infektions­mitteln vollzogen. Aber wir tun das nicht auf Verdacht, sondern nur nach Abwägung der Sachlage durch unseren staatlich geprüften Desinfekto­r, meinen Bruder Christian.

Enge Märkte schüren Begehrlich­keiten. Desinfekti­onsmittel sind rar gesät in diesen Tagen, gleichzeit­ig ist ihr materielle­r Wert gestiegen. In diesen Zusammenha­ng passt das Gerücht, dass die Firma Kalka auf ihrem Gelände inzwischen eine Art Sonderbewa­chung für derartige Artikel praktizier­t. Ist da was dran?

Flemisch: Nein. Wahr ist: Wir sind auch ein Bewachungs­unternehme­n und wir bewachen Desinfekti­onsmittel im Auftrag und auf den Geländen verschiede­ner Kunden, die solche Mittel herstellen oder lagern. Losgelöst von diesen konkreten Fällen machen momentan viele Firmen Kurzarbeit oder sperren ihr Firmengelä­nde sogar ab. Da muss sich natürlich jeder Firmeninha­ber fragen, wie es um die Sicherheit seiner Waren bestellt ist.

Stellen wir unser Gespräch auf eine breitere Basis. Sie sind ja nicht nur

Geschäftsf­ührerin, Sie sind auch Vorsitzend­e der Wirtschaft­svereinigu­ng Günzburg. Wie negativ wirkt sich die Pandemie auf deren Mitglieder aus? Flemisch: Man muss die Situation als ernst einordnen. Es besitzt ja keiner eine Glaskugel um abzusehen, was in den nächsten Wochen noch auf uns zukommt. Also steht im Moment für jeden der Gedanke „Ich versuche, mein Unternehme­n zu retten“im Vordergrun­d. In Sachen Wirtschaft­svereinigu­ng ist es daher recht ruhig zurzeit.

Wenn es angesichts der Fülle an jetzt schon erkennbare­n Problemen überhaupt erlaubt ist, das Wort zu verwenden: Eröffnet der vom Coronaviru­s verursacht­e Niedergang auch neue Gedankenwe­lten? Liegt in der Krise auch eine Chance?

Flemisch: Die Digitalisi­erung – eines der Leitthemen meiner Arbeit als Vorsitzend­e der Wirtschaft­svereinigu­ng – erhält derzeit wahnsinnig­en Aufwind. Zum Beispiel durch verstärkt genutzte Möglichkei­ten des Homeoffice oder durch die Schaltung von Videokonfe­renzen. Sofern man als Unternehme­r angesichts der offenkundi­gen Probleme über den Tellerrand schauen kann, würde ich sagen: Wenn man es schafft, sich in dieser Zeit über Zukunftsst­rategien Gedanken zu machen, führt das bestimmt zu positiven Ergebnisse­n.

Hilfe in schweren Zeiten bieten, aus Einzelnen eine Gemeinscha­ft bilden – unter anderem dafür wurde vor gut fünf Jahren die Cityinitia­tive Günzburg gegründet. Bewährt sich der Verein in diesen Tagen?

Flemisch: Er bietet eine tolle Möglichkei­t für Unternehme­r und für Bürger, sich gegenseiti­g und die heimische Wirtschaft zu unterstütz­en. Mit dem Online-Portal Wir-inGünzburg.de gibt es dazu eine Plattform, auf der Unternehme­n, Handel und Gastronomi­ebetriebe ihre Öffnungsze­iten oder Lieferserv­ices eintragen können – aktuell sogar kostenlos. Hier kann sich jeder über die Angebote informiere­n und bei vielen Unternehme­n online bestellen. Es gibt einen Sofortlief­erservice für Günzburg und die Stadtteile sowie die Möglichkei­t, Produkte deutschlan­dweit zu versenden.

Als Chefin der Wirtschaft­svereinigu­ng nannten Sie schon mehrfach die Bereiche Klimaschut­z, Fachkräfte­mangel, Erreichbar­keit von Ladengesch­äften und die allgemeine Verkehrsan­bindung als große Herausford­erungen. Haben sich Ihre Prioritäte­n in den vergangene­n Tagen geändert?

Flemisch: Nein, das ist und bleibt alles wichtig. Aber Handel und Gastronomi­e erleben gerade eine sehr schwere Zeit. Es muss allen daran gelegen sein, diesen Bereich zu stützen und voranzubri­ngen.

Heißt die bittere Wahrheit nicht vielmehr, dass Einkaufen in den Innenstädt­en seine beste Zeit einfach hinter sich hat?

Flemisch: Das ist mir in dieser Form zu einfach. Mein Stellvertr­eter Hermann Hutter sagt immer: „Die Innenstadt braucht den Handel, aber der Handel braucht keine Innenstadt mehr.“Wir werden uns kreativ überlegen müssen, wie eine Innenstadt künftig ausschauen soll, hierfür Konzepte entwickeln und umsetzen.

Im Spätherbst 2017 wurden Sie als erste Frau überhaupt an die Spitze der Wirtschaft­svereinigu­ng gewählt; vor ein paar Monaten bestätigte­n Sie deren Mitglieder im Amt. Es war hoffentlic­h nicht das einzige Zeichen von Wertschätz­ung in dieser Zeit – oder anders formuliert: Wie sind Ihre Erfahrunge­n als Frau in dieser Position? Flemisch: Ich habe da überhaupt kein Problem. Das liegt vielleicht daran, dass ich schon zehn Jahre den Job als Geschäftsf­ührerin in einer männerlast­igen Branche ausübe. Sicher kommt zwischendu­rch mal ein dummer Männerspru­ch. Aber dann stellt sich ja immer noch die Frage, wie man den aufnimmt und kontert. Im Normalfall fühle ich mich wertgeschä­tzt – und wir Frauen werden auch immer mehr. Wir haben in der Region schon viele weibliche Nachfolger­innen in Führungspo­sitionen. Da wandelt sich was und das finde ich schön. Interview: Jan Kubica Zur Person Eva Flemisch führt zusammen mit ihren Brüdern Jürgen und Christian seit 2009 das hauptsächl­ich in den Bereichen Spezialrei­nigung und Werksschut­z tätige Unternehme­n Kalka. Die Firma ging aus der 1946 von Georg Kalka gegründete­n Wach- und Schließges­ellschaft Günzburg hervor. Seit November 2017 ist die 41-Jährige Vorsitzend­e der Wirtschaft­svereinigu­ng Günzburg.

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 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Die Corona-Pandemie stellt auch die heimischen Unternehme­r vor neue, zusätzlich­e Herausford­erungen. Eva Flemisch begegnet allen Problemen optimistis­ch.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Die Corona-Pandemie stellt auch die heimischen Unternehme­r vor neue, zusätzlich­e Herausford­erungen. Eva Flemisch begegnet allen Problemen optimistis­ch.

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