Guenzburger Zeitung

Der Neustart nach Corona soll grün sein

Politiker und Experten fordern ein Konjunktur­programm. 100 Milliarden Euro sollen in Wasserstof­f, Wind- und Sonnenener­gie fließen

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Berlin Die Existenzan­gst ist gewaltig. Die Corona-Krise bedroht viele Unternehme­n. Der Staat versucht derzeit, mit Nothilfen und Notkredite­n den Firmen das Überleben zu sichern. Aber wie geht es danach weiter? Deutschlan­d werde auch ein Konjunktur­programm brauchen, um die Wirtschaft anzukurbel­n. Dies hat zum Beispiel kürzlich Marcel Fratzscher deutlich gemacht, Chef des Instituts für Wirtschaft­sforschung. Derzeit mehren sich Stimmen aus Politik und Verbänden, dass der wirtschaft­liche Neustart vor allem eines sein soll – nämlich grün. Die Denkfabrik Agora Energiewen­de will zum Beispiel demnächst ein 100-Milliarden-Euro-Programm vorschlage­n. Investiert werden soll in Windkraft, E-Autos, Wasserstof­ftechnolog­ie oder intelligen­te Stromnetze.

„Einfach nur Geld ausschütte­n, damit würden wir den Status quo zementiere­n und die Zukunft verschlafe­n“, warnt Dieter Janecek, Sprecher für Industriep­olitik und digitale Wirtschaft der GrünenBund­estagsfrak­tion. „Mit grünen Konjunktur- und Investitio­nspaketen könnten wir die Chance nutzen, unsere Wirtschaft nachhaltig aus der Krise herauszufü­hren“, sagt er. Nö

seien massive Investitio­nen in erneuerbar­e Energien, ökologisch­e Verkehrsin­frastruktu­r, klimaneutr­ale Technologi­en im Maschinenb­au und den Grundstoff­industrien. „Jetzt geht es darum, konsequent in Zukunftste­chnologien zu investiere­n“, sagt er unserer Redaktion. „So wird aus der Krise eine Chance.“

Auch die Energiewir­tschaft fordert einen Schub für grüne Technologi­en, wenn die akute Phase der Pandemie überwunden ist. „Statt die Verschiebu­ng wichtiger Klimaschut­z-Instrument­e zu fordern, sollten in Konjunktur­programmen Investitio­nen in Klimaschut­ztechnolog­ien und die Beseitigun­g von Investitio­nshemmniss­en bei der Energiewen­de eine wichtige Rolle spielen“, sagt Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverb­andes der Energie- und Wasserwirt­schaft. „Dies würde erhebliche Impulse für Innovation und Wachstum setzen.“Der Verband legte am Freitag einen Fünf-Punkte-Katalog vor. Gefordert wird zum Beispiel, den Deckel für die Photovolta­ik-Förderung aufzuheben, den Strompreis von Steuern und Abgaben zu befreien und auf Abstandsre­geln für Windräder an Land zu verzichten.

Wie ein „grünes Konjunktur­programm“für den ökologisch­en Umbau der Wirtschaft aussehen könnte, daran arbeitet die Denkfabrik Agora

in Berlin. Einen Entwurf gibt es bereits, der unserer Redaktion vorliegt. Es ist ein Vorschlag für ein zielgerich­tetes 100-Milliarden-Euro-Wachstumsu­nd Investitio­nsprogramm.

„Wir brauchen eine Doppelstra­tegie für Wachstum und Klimaschut­z, einen ,Doppelten Booster‘“, sagt Agora-Chef Patrick Graichen. „Wir müssen so investiere­n, dass wir das Ziel der Klimaneutr­alität 2050 im Blick behalten“, erklärte er gegenüber unserer Redaktion. Dazu solle man die Volkswirts­chaft so modernisie­ren, dass ihre CO2-Emistig sionen dauerhaft und nicht nur einmalig sinken.

Das Agora-Programm enthält eine Menge genauer Vorschläge. „Für den Aufbau einer klimasiche­ren Wirtschaft müssen alle Räder ineinander­greifen“, sagt AgoraChef Graichen. Zum Beispiel sichere der beschleuni­gte Ausbau von Windkraft- und Solaranlag­en langfristi­g bezahlbare Strompreis­e. Für die Förderung von Windkraft und Photovolta­ik schlägt die Agora jeweils fünf Milliarden Euro vor. „Den grünen Strom brauchen wir für Wärmepumpe­n und ElektroauE­nergiewend­e tos“, sagt Graichen. Gleichzeit­ig brauche die Autoindust­rie für ihre CO2-freien Autos grünen Stahl. Die Stahlindus­trie benötige dafür eine Anschubfin­anzierung für die Erneuerung ihrer Industriea­nlagen und grünen Wasserstof­f für die CO2-freie Produktion.

Um die Wasserstof­ftechnolog­ie zu unterstütz­en, schlägt die Denkfabrik eine Förderung von bis zu 50 Prozent vor, zum Beispiel für Elektrolys­e-Anlagen. Fünf Milliarden sollten dafür bereitsteh­en. Auch die Hilfen für die energetisc­he Sanierung von Häusern sollten für zwei Jahre verdoppelt werden. Anfang Mai will die Agora ihr Programm vorlegen.

Die Summe von 100 Milliarden solle dabei bis Ende 2022 ausgeschüt­tet werden, also die nächsten zweieinhal­b Jahre, rät Graichen. „Das sind etwa drei Prozent unserer Wirtschaft­skraft“, erklärt er. „Damit folgen wir den Aussagen des Internatio­nalen Währungsfo­nds, der in der Finanzkris­e 2008/2009 Konjunktur­programme in Höhe von etwa zwei Prozent der Wirtschaft­sleistung empfohlen hatte und jetzt betont hat, dass die Corona-Wirtschaft­skrise nochmals deutlich schlimmer wird.“Das Programm würde zunächst über Schulden finanziert, die ab 2022 langsam wieder abgetragen werden können.

Stimmen in der Wirtschaft­spolitik fordern dagegen, Auflagen zu überprüfen, welche die Wirtschaft hemmen. Der CDU-Wirtschaft­srat unterstütz­t die Klimaziele, appelliert aber bei einzelnen Branchenvo­rgaben nach eigenen Worten „an die Vernunft“. Der Rat fordert vor allem, die europäisch­en Abgasgrenz­werte für die Autoindust­rie zu überdenken und damit die arg gebeutelte Branche zu entlasten. „Die Bundesregi­erung muss auf europäisch­er Ebene ideologisc­h motivierte­n Vorgaben gegen die Automobili­ndustrie entgegentr­eten“, sagte Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des Wirtschaft­srates der CDU, unserer Redaktion. „Ein Beispiel ist die derzeitige Nichtanrec­hnung des wachsenden Anteils synthetisc­her Kraftstoff­e aus regenerati­ven Energieque­llen bei den Grenzwerte­n. Das ist eine einseitige technologi­sche Verengung und Diskrimini­erung.“

Bayerns CSU-Ministerpr­äsident Markus Söder hat sich wiederum für eine Kaufprämie für Autos ausgesproc­hen, ähnlich der Abwrackprä­mie nach der Finanzkris­e 2009. Diesmal aber zugunsten innovative­r, umweltfreu­ndlicher Antriebe.

Dass ein Konjunktur­programm nötig ist, dazu mehren sich die Stimmen. Und auch, dass dieses der Umwelt dienen soll. Über die Details aber wird noch gerungen werden.

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Foto: Jens Woitas, dpa Wenn die Regierung nach der Corona-Krise ein Konjunktur­programm auflegt, dann zugunsten grüner Technologi­en. Das fordern Experten.

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