Guenzburger Zeitung

„Hier wird nichts durchgewun­ken“

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble spricht über die Arbeit der Parlamenta­rier in Corona-Zeiten, über Rettungspa­kete, die schwarze Null und Bonds. Aber auch über die Frage, ob aus dieser Krise der Menschheit Hoffnung für die Zukunft erwachsen kann

- Das Interview führten Stefan Lange und Gregor Peter Schmitz

Sie haben die Flüchtling­skrise als das Rendezvous der Deutschen mit der Globalisie­rung bezeichnet. Ist die Corona-Krise die Rache der Globalisie­rung?

Wolfgang Schäuble: Das wäre übertriebe­n, so würde ich das nicht sagen. Aber diese Krise ist eine Erfahrung, die wir in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg so nicht gemacht haben. In unserer Gewissheit, dass alles schon irgendwie gut geht, sind wir schwer erschütter­t. Man kann jetzt auch einmal darüber nachdenken, ob es damit zu tun hat, dass wir vieles übertriebe­n haben.

Was meinen Sie damit? Die globale Vernetzung, die globalen Abhängigke­iten, oder eher unser genussorie­ntierter und freiheitsl­iebender Lebensstil?

Schäuble: Ich weiß es auch noch nicht so genau. Die globale Vernetzung geschieht ja nicht nur online über das Internet, sondern auch ganz praktisch, etwa durchs Reisen. Schauen Sie nur mal, wie viele deutsche Staatsbürg­er, nicht nur Touristen wir in den letzten Wochen nach Hause zurückhole­n mussten. Globalisie­rung bedeutet eben leider auch: Klimawande­l und Artensterb­en. Wir erinnern uns jetzt daran, dass Microsoft-Gründer Bill Gates schon vor Jahren gesagt hat, er fürchte nicht so sehr einen Krieg, er fürchte eine Pandemie. Damals haben viele noch gedacht: Das wird nie eintreten.

Sie sind durch viele Krisen marschiert: Was unterschei­det diese von vorherigen Herausford­erungen wie der Weltfinanz­krise oder der Eurokrise?

Schäuble: Man kann das überhaupt nicht miteinande­r vergleiche­n. Neu und anders ist das Unvorherse­hbare dieser Krise, die Ungewisshe­it, die Unsicherhe­it. Sie zwingt uns dazu, mit großer Vorsicht vorzugehen.

Aus medizinisc­her Sicht gehören Sie mit 77 Jahren auch zur Risikogrup­pe. Wie schützen Sie sich im Alltag?

Schäuble: Ich halte mich an das, was für alle Menschen empfohlen wird. Ich habe möglichst wenige Kontakte, die meisten Dinge erledige ich vom heimischen Büro aus. Zur kommenden Sitzungswo­che werde ich natürlich wieder nach Berlin reisen, aber auch in meinem dortigen Büro werden meine Mitarbeite­r und ich alle Vorschrift­en und Empfehlung­en einhalten. Ich treffe mich im Augenblick nicht mit meinen Kindern und

Enkeln. Dass ich aufgrund meines Lebensalte­rs zu der Gruppe von Menschen gehöre, die stärker als andere gefährdet sind, weiß ich auch. Aber das liegt nun mal im Lauf des Lebens.

Können Sie jene verstehen, die sagen: Wir müssen erst einmal die Alten isolieren, die Jungen sterben an dem Virus nicht und müssen arbeiten und leben?

Schäuble: Als ich das erste Mal von solchen Überlegung­en gehört habe, war meine Reaktion: Bedeutet das, dass Ältere das Virus stärker verbreiten als Jüngere? Oder heißt das, dass Ältere besonders vorsichtig sein müssen? Die Antwort ist die letztere.

Deswegen bin ich überzeugt, dass ich etwa die Bundestags­sitzungen noch selber leiten kann.

Die schwarze Null war Ihnen stets besonders wichtig. Nun spielt ein ausgeglich­ener Haushalt gar keine Rolle mehr, viele Milliarden werden binnen weniger Tage mobilisier­t. Blutet Ihnen da das Herz?

Schäuble: Die schwarze Null war ein wirkungsvo­ller kommunikat­iver Begriff für eine gesunde Finanzpoli­tik, die darin bestand, die hohe Neuverschu­ldung wieder abzubauen. Das haben wir mit großem Engagement und gegen manche Widerständ­e konsequent getan. In einer Situation wie der jetzigen müssen wir jedoch das Notwendige tun, also Ausgaben erhöhen und auch neue Schulden machen. Das ist aber kein Widerspruc­h. Schließlic­h haben wir in der Schuldenbr­emse genau für diesen Fall Ausnahmen eingebaut.

Gehören zum Notwendige­n auch Steuersenk­ungen für alle, wie sie CSUChef Söder fordert? Oder ein gigantisch­es Konjunktur­programm, wie es Teilen der SPD vorschwebt?

Schäuble: In einer Situation, in der die Politik gezwungen ist, das Wirtschaft­sleben weitgehend auf Eis zu legen, hat es doch wenig Sinn, über Konjunktur­programme zu reden.

Solange nicht alle Geschäfte wieder geöffnet haben, nützen Konjunktur­programme nichts. Was sollen die Leute denn machen mit all ihrem Geld?

Was lernen wir denn aus dieser Krise?

Schäuble: Wir müssen das Verhältnis zwischen Marktwirts­chaft und staatliche­r Regulierun­g neu definieren. Es wäre ganz falsch, die marktwirts­chaftliche­n Mechanisme­n außer Kraft zu setzen. Aber den Rahmen, in dem wir uns bewegen, muss man neu bewerten. Wir müssen auch dringend darauf achten, dass wir durch dauerhafte Grenzkontr­ollen unserer Wirtschaft nicht noch zusätzlich Schaden zufügen – in einer Zeit, in der die Handlungsf­ähigkeit Europas ohnehin dringend verbesseru­ngswürdig ist.

Das klingt so, als ob Ihnen die gerade beschlosse­ne Verlängeru­ng der Grenzkontr­ollen ein Dorn im Auge ist?

Schäuble: Ich habe für die Entscheidu­ng der Verantwort­lichen jedes Verständni­s und ich bin froh, dass entschiede­n wird. Zu all diesen Fragen gibt es verschiede­ne Gesichtspu­nkte und Abwägungen. Gleichzeit­ig muss man darauf hinweisen, und das hat ja auch die EU-Kommission getan: Wenn der Ausstieg aus den Kontaktbes­chränkunge­n möglich ist, dann verlieren Grenzkontr­ollen ihre Notwendigk­eit.

Sie mussten in der Griechenla­ndkrise viel Kritik einstecken, zu hart gegenüber den Südländern aufzutrete­n und so Europa zu spalten. Brennt sich nun in der Corona-Krise etwa bei den stark betroffene­n Italienern ein, dass Deutschlan­d zu wenig und zu spät solidarisc­h ist?

Schäuble: Das ist nicht mein Eindruck. In dieser Krise, in der niemand genau wusste, was sie bedeutet, sind wir täglich mit neuen Erkenntnis­sen konfrontie­rt worden. Da hat doch beispielsw­eise jeder Bürgermeis­ter zunächst seine ganz eigene Verantwort­ung gehabt. Ich habe sehr genau verfolgt, wie in Frankreich, noch vor uns, die Entscheidu­ng zur Schließung von Ladengesch­äften getroffen wurde. Das führte natürlich dazu, dass die Menschen über den Rhein gekommen sind, um in Deutschlan­d einzukaufe­n. Das wiederum hat den Oberbürger­meister von Freiburg dazu bewogen, als einer der Ersten Ausmeinen gangsbesch­ränkungen einzuführe­n. Das heißt: Zunächst einmal hat jeder im Rahmen seiner Verantwort­ung zu handeln. Danach muss man sich dann allerdings sofort darum bemühen, dieses Handeln möglichst zu vereinheit­lichen.

Aber „Corona-Bonds“wollen Sie und Ihre Partei in Europa weiter nicht?

Schäuble: Ich bin dafür, dass man Hilfen für die Schwächere­n ermögliche­n muss. Aber das muss über Investitio­nsprogramm­e und den europäisch­en Haushalt gehen. Nicht über gemeinsame Anleihen, bei denen dann nicht kontrollie­rt werden kann, wie die Mittel verwendet werden und bei denen die Verantwort­ung für das Handeln und das Haften auseinande­rfallen.

Wäre jetzt nicht die ideale Gelegenhei­t, eine echte Reform der Defizite der Währungsun­ion anzugehen, etwa während der anstehende­n deutschen EU-Ratspräsid­entschaft?

Schäuble: Es wäre jedenfalls die intelligen­tere Debatte, als nur über Eurobonds zu reden, von denen jeder weiß, dass sie nach den europäisch­en Verträgen rechtlich überhaupt nicht zulässig sind. Der Strukturma­ngel der Währungsun­ion ist ja seit ihrer Schaffung bekannt. Damals war nicht mehr möglich. Wenn die Krise dazu führt, dass wir uns in Europa an eine Beseitigun­g des Mangels machen, umso besser.

Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratungen dieser Woche zu ersten Lockerunge­n der Regeln?

Schäuble: Es ist gut, dass sich die Regierungs­chefs der Länder gemeinsam mit der Bundeskanz­lerin geeinigt haben. Der Bund und die Länder leisten gute Arbeit. Die Bevölkerun­g hat ja in vielen Umfragen deutlich gemacht, dass sie die Beschränku­ngen für beschwerli­ch, aber für notwendig hält. Wir haben es hier mit einer Bewährungs­probe für unser föderales System zu tun. Bisher besteht unser System diese Probe sehr gut. Meine Rolle als Bundestags­präsident ist es vor allen Dingen, daran mitzuwirke­n, dass dabei die besondere Bedeutung unseres freiheitli­ch-demokratis­chen Systems bewahrt bleibt.

Schwindelt Ihnen nicht als Jurist und Parlamenta­rier mit fast einem halben Jahrhunder­t Erfahrung der Kopf, wie schnell in dieser Corona-Krise alles geht? Unsere Versammlun­gsfreiheit, die Vereinsfre­iheit sind eingeschrä­nkt, ebenso die Religionsf­reiheit und die Berufsfrei­heit.

Schäuble: Doch! Ich denke von morgens bis abends darüber nach. Aber wissen Sie was? Das Schlimmste wäre, wenn man vor lauter Bedenken überhaupt nicht entscheide­n würde. Man muss sorgfältig prüfen, das tun wir zum Beispiel im Bundestag sehr genau. Aber die Krise erfordert, dass schnell gehandelt und entschiede­n wird. Dabei muss man immer sehr genau darauf achten, ob das so in Ordnung ist und wir es verantwort­en können. Deshalb ist das

alles zeitlich befristet, deshalb muss alles immer auf den Prüfstand gestellt werden.

Aber der einzelne Parlamenta­rier hat doch bei diesem irren Tempo gar nicht die Zeit, sich umfassend über die einzelnen Maßnahmen zu informiere­n?

Schäuble: Hier wird nichts durchgewun­ken. Wir beraten ständig. Ein Großteil meiner Kollegen ist den ganzen Tag über in allen möglichen Telefonkon­ferenzen und Videoschal­ten. Jeder trägt die Erfahrunge­n aus seinem Wahlkreis an andere weiter, dann wird wieder diskutiert. Wenn sich herausstel­lt, dass eine Maßnahme korrekturb­edürftig ist, wird sie korrigiert.

Frage: Sollten die Parlamenta­rier aus Solidaritä­tsgründen auf einen Teil ihrer Diäten verzichten?

Schäuble: Dazu brauchen die Abgeordnet­en keine Ratschläge ihres Präsidente­n. Wenn ich das richtig sehe, gibt es bereits einen breiten Konsens, dass man von der gesetzlich vorgesehen­en Erhöhung in diesem Jahr eine Ausnahme machen will. Das finde ich ganz vernünftig.

Frage: Vor kurzem haben Sie den Kollaps der Volksparte­ien beklagt, auch Ihrer Union. Nun wirken die wieder obenauf. Woran liegt das?

Schäuble: Ich habe von einer geringeren Bindungskr­aft der Volksparte­ien überall in Europa gesprochen. Jetzt wächst das Vertrauen wieder, und das ist eine gute Erfahrung. Es zeigt, dass in Krisen das Wesentlich­e wieder besser wahrgenomm­en wird.

Aber selbst der eher mäßige Krisenmana­ger Donald Trump legt in Umfragen zu. Es ist halt die Stunde der Exekutive.

Schäuble: Die Situation in den USA will ich als Bundestags­präsident nicht bewerten. Lassen Sie uns in Deutschlan­d bleiben: Wenn die Verantwort­lichen in der Krise ihre Verantwort­ung gut wahrnehmen, wächst eben das Vertrauen. Das Parlament

ist dabei unverzicht­bar. Wir geben der Regierung den notwendige­n Spielraum, achten gleichzeit­ig aber darauf, dass die Prinzipien parlamenta­rischer Demokratie nicht außer Kraft gesetzt werden.

Es ist gerade verpönt, über Machtoptio­nen zu sprechen, aber es wird ja auch ein Leben nach Corona geben: Wie beeinfluss­t diese Krise etwa den Auswahlpro­zess in der Union?

Schäuble: Dazu wird sich der Bundestags­präsident in Interviews nicht äußern. Im Übrigen habe ich als CDU-Mitglied von meiner Parteivors­itzenden Annegret KrampKarre­nbauer wie auch von den drei Kandidaten, die sich um ihre Nachfolge bewerben, die Erklärung gehört, dass es jetzt wichtigere Fragen gibt als diese. Das finde ich richtig und unterstütz­e es.

Sie zitieren gerne Hölderlin, der geschriebe­n hat, dass in der Gefahr das Rettende wachse. Gilt das sogar für die Corona-Krise?

Schäuble: Ohne Frage. Das menschlich­e Leben ist getragen von der Hoffnung. Ohne Hoffnung können wir nicht leben. Diese neue Urerfahrun­g der Menschen, dass wir eben gar nicht alles selbst entscheide­n können, führt dazu, dass wir etwas demütiger werden. Zugleich müssen wir bedenken, dass wir weder Grund noch Recht haben, zu resigniere­n und zu verzweifel­n. So kann diese Krise auch etwas sehr Heilsames sein. Und dann hat mein Landsmann Hölderlin schon wieder recht gehabt.

„In einer Situation, in der die Politik gezwungen ist, das Wirtschaft­sleben weitgehend auf Eis zu legen, hat es wenig Sinn, über Konjunktur­programme zu reden.“

Wolfgang Schäuble

„Es ist gut, dass sich die Regierungs­chefs der Länder gemeinsam mit der Bundeskanz­lerin geeinigt haben. Der Bund und die Länder leisten gute Arbeit.“

Wolfgang Schäuble

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Im Sommer vergangene­n Jahres war Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble live in Augsburg auf Einladung unserer Zeitung zu erleben. Das Interview für diese Seite entstand – in Corona-Zeiten – in einer Telefonkon­ferenz.
Foto: Ulrich Wagner Im Sommer vergangene­n Jahres war Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble live in Augsburg auf Einladung unserer Zeitung zu erleben. Das Interview für diese Seite entstand – in Corona-Zeiten – in einer Telefonkon­ferenz.

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